Glücksgefühle entstehen, wenn der Nucleus Accumbens (ein Kern im mesolimbischen System unseres Gehirns) Dopamin ausschüttet. Dies hat also nicht viel mit religiösen Gefühlen zu tun.
Wenn man z.B. die Schriften der heiligen Theresa von Avila studiert, dann kann man schon dort klar nachlesen, dass es dem Gläubigen durchaus bewusst ist, dass einem Gefühle in die Irre leiten können, und dass nicht aller Wert darauf gelegt werden kann.
Die Frage "Ist es von Gott?" wurde von Theresa immer wieder aufgenommen und reflektiert. Ganz radikal soll alles Erlebte hinterfragt werden und nicht zum Eigenen gemacht werden. Man ist selber der Erleber, der sich vom Erlebten unterscheidet. Die Verschmelzung des Erlebers mit dem Erlebten nennt man „Aufblähung des Ichs“ (Übertragung des Identitätsgefühls auf das Vergängliche), Identifikation mit Unwirklichem.
Wer sich angeblich viele Jahre mit Religion auseinander gesetzt hat, der müsste solches eigentlich wissen.
Die vedischen Anweisungen zu Meditation beinhalten im Besonderen auch, dass der Adept den Gefühlen, die dabei entstehen können, keine Aufmerksamkeit schenken darf, denn die Theopraxis ist nicht dazu da, schöne Gefühle zu erzeugen – diese kommen und gehen – sondern von tiefstem Wesen her verfügbar für Gott zu werden.
Wolken kommen und gehen -
der Himmel bleibt.
Gedanken sammeln sich und verschwinden -
das Gemüt bleibt.
Gefühle tauchen auf und verklingen -
das Herz bleibt.
Liebesgeschichten beginnen und haben ein Ende -
die Liebe bleibt.
Der Körper wird geboren und wird schon bald nicht mehr sein -
das Leben aber bleibt.
Empfindungen kommen und vergehen –
derjenige, der sie wahrnimmt aber bleibt genau der Gleiche.
Universen treten in Erscheinung und verschwinden wieder -
Sri Krishna aber bleibt. (ein Gedanke zu Srimad Bhagavatam 2.9.33)
Religiöse und spirituelle Gefühle sind eine Grundkonstante im Gemütsleben der Menschen. Die Sehnsucht nach starken Emotionen, die in Zusammenhang mit übersinnlichen Ritualen und metaphysischen Hoffnungen stehen, treibt uns ein Leben lang an. Das ist gut so, denn die starken Gefühle regen uns an, Sinnfragen zu stellen.
Man muss einfach in Betracht ziehen, dass die Gefühlsskala unspezifisch und unendlich breit ist. Ein Animist erlebt ähnlich heftige Emotionen, wenn er bei einer Feuerzeremonie um einen Totemspfahl tanzt wie ein Pilger bei einem Gottesdienst in Lourdes oder ein Gaudiya Vaishnava in Samadhi des Nam-Bhajan. Es handelt sich dabei also nicht um Inhalt, sondern um einen Nebeneffekt und wenn man diesen bereits für den Inhalt hält, ist einem die Verfügbarkeit für das Wesentliche verloren gegangen.
Wir können uns also bei der Suche nach der religiösen Wahrheit nicht auf unsere Gefühle verlassen. Es scheint sogar, dass spirituelle Gefühle nicht in erster Linie von den religiösen Inhalten abhängig sind, sondern vor allem von suggestiven Elementen. Je stärker die gruppendynamischen Rituale, je übersteigerter die versprochenen Heilserwartungen, desto ekstatischer die Entäusserungen, das Gefühlserleben.
Verhängnisvoll dabei ist, dass die Gläubigen oft den Fehlschluss ziehen, dass intensive Gefühle ein besonderer Ausdruck der Glaubenserfahrung und Gottesnähe seien. Gesunde Spiritualität vermittelt Hilfestellung bei der Unterscheidung der beiden.
Spirituelle Gefühle werden vorschnell als Ausdruck der Frömmigkeit gewertet. Noch mehr: Die Empfindungen können sich sogar zum Gradmesser des Glaubens hochstilisieren. Gläubige sind überzeugt, dass Gott ihnen die starken Gefühle als Beweis für den richtigen Glauben schenkt.
Das ist ein Fehlschluss. Sri Krishna erklärt in der Bhagavad Gita, dass er einer Seele das Vertrauen schenkt, das Richtige zu tun, auch wenn es sich dabei um etwas komplett Unwirkliches handelt (7.21). Die Souveränität Gottes beinhaltet, dass er einer Seele das Recht für Unwissenheit zugesteht. Wenn man sich auf die religiösen Gefühle stützen würde, könnte man sich unter Umständen für sehr fortgeschritten halten, obwohl man eigentlich an einer Sicherheits-Stütze sich festhält.
So führen die spirituellen Gefühle viele Gläubige aufs Glatteis, weil sie diese falsch interpretieren. Auch negative konzeptionelle Inhalte können starke Gefühle hervorrufen. Ein Beispiel dafür sind Zusammenkünfte der Neonazis. Diese werten ihre intensiven Gefühle durchaus auch als religiös, ist für sie doch der Faschismus ein Religionsersatz.
Es lohnt sich also, die eigenen religiösen Gefühle kritisch zu beurteilen.
Lieber Krishna
Ich weile gerne bei Deinem Namen. Der Gedanke an Dich erfüllt das Herz mit einer zärtlichen Freude und Rührung. Die Seele ist wie verliebt im ersten Taumel der Liebe: und wirklich hat ihr Zustand mit jener "ersten Liebe" das gemeinsam, dass sie viel mehr SICH in dem von ihr geliebten Wesen geniesst als dieses Wesen selbst und es um seiner selbst willen liebt und sucht.
...eben hier, wo ich nun einmal bin......
Aber Stufen lassen sich auch in der Entwicklung meiner Beziehung zu Dir nicht überspringen.
Aber bitte verstehe mich, mein Herz muss nun am Anfang von dieser geradezu trunkenmachenden Seligkeit zu Dir erfüllt und überströmt werden, denn zu sehr hänge ich an mir selber und an allem, was mir von der Welt schmeichelt, dass es nur so von dort weg zu Dir hin gelockt werden kann.
Hat es bislang am Irdischen sein fast ausschliessliches Gefallen gefunden und sich daran berauscht, so erfährt es jetzt, dass es ganz konkret transzendentale Lieblichkeit gibt, die mich die Erfahrungswelt von meinem bisher Bekannten tatsächlich vergessen lassen. Ich darf mich nun in den religiösen Gefühlen laben.
Mit einem liebenswürdigen Lächeln magst Du auf diesen ersten Eifer einer noch sehr unerleuchteten und süchtigen "Liebe" herabschauen.
Du siehst nun aber in meinem Inneren doch eine neue Bereitschaft schlummern.
Du kannst mich weiter führen, indem Du mir langsam jenes fühlbare Glück, jene "gefühlsmässige Seligkeit" wieder entziehst. Ich bin noch immer vorwiegend bei Dir wegen der mich-selber-beglückenden Gabe.
Nur schon durch das selbstisch motivierte Zusammensein mit Dir übt das, was ich für Dich aufgegeben habe in dieser vergänglichen Welt, nicht mehr die vorherige Anziehungskraft und Faszination auf mich aus.
So wird meine japa, das leise Schreien nach Dir, nicht mehr so beglückend und berauschend, es wird mir sogar mühsam und trocken erscheinen.
Manchmal beginne ich nun zu denken, dass diese "Gefühlslosigkeit" eine Strafe ist von Dir, da ich doch immer wieder gierig am Irdischen genascht habe...
Dann jedoch erkenne ich wieder, dass ich auch in der Treue zu Dir das Entwöhnen vom Gefühlhaften brauche, Du schenkst es mir, denn es ist das wirkliche Abtrennen von dieser Welt.
Oft kehrt dieses scheinbare Glück aber rasch wieder zurück, und mir scheint es, als ob Du Sorge hättest, diese noch so schwache Seele möge Dir wieder entgleiten, weil ihr Deine neue Art der Führung zu hart sei.
Doch dann werden die Zeiten der Dürre länger; sie können sich auf Wochen, Monate oder sogar noch länger erstrecken.
Ich kann es aber ertragen aufgrund Deiner so wunderbar klugen und vorsichtigen Erziehung und der Hoffnung nach Deinem Darshan.
Bisweilen zeigt sich die freudige Glückseligkeit in mir wieder, aber sie hat schon ihren Charakter verändert. Ich möchte nun lernen, nicht mehr nach rein Fühlbarem für mich zu fragen und gar darum zu bitten, sondern ich wünsche, dass meine rati (heilige Zuneigung) zu Dir nicht einfach eine verhüllte Form der Liebe zu mir selbst ist.
Irgendwann einmal will ich wirklich danach fragen, was Dir gefällt.
Und selbst wenn Du mich dann in meiner "Wüste" im sadhana belassen möchtest, so möchte ich es einmal hinnehmen lernen, Dir dafür danken und vielleicht sogar einmal Dich darum bitten, mir nicht mehr mentale Tröstungen zu schenken, sondern Dich selbst statt der früher so geschätzten Gaben und Früchte.
Lange Zeit wollte ich nur haben und nichts geben, hielt meinen Blick starr gerichtet auf Deine "Geschenke". Ich habe nie aufgeschaut zu Deinem unsäglich liebenswürdigen Antlitz, das sich mir anbot.
Du hast nur einmal die Hand zurückgezogen, damit ich aufschaue. Vielleicht war ich ein wenig erstaunt zuerst, fast erschrocken, dass die Hand mit der Gabe nicht mehr da ist, dann aber tief beglückt, weil ich etwas so unbeschreiblich viel Schöneres und Gütigeres sehen darf....
Nun schaue ich nicht wieder auf die Hand zurück, auch wenn diese wieder gibt. Ich bleibe bei Deinem Darshan.
na dhanam na janam na sundarim....(Gauranga Mahaprabhu)
O allmächtiger Herr, ich trachte weder nach Reichtum, noch begehre ich das schöne in der Welt, noch ersehne ich eine grosse Anzahl von Anhängern (die mir das Gefühl der Anerkennung schenken-als Bestätigung für mein Ego).
Ich wünsche mir nichts anderes, als Dir grundlos und voller Hingabe - Geburt für Geburt - dienen zu dürfen.
8. Dezember 2010
7. Dezember 2010
Halbwertszeit von Glück
Eigentlich, so könnte man meinen, hätte Eva doch wunschlos glücklich sein müssen. Immerhin lebte sie ja im Paradies! Sie hatte stets hinreichend zu essen und zu trinken und brauchte vor nichts Angst zu haben. Sie musste weder arbeiten noch sich Sorgen um Altersvorsorge machen. Warum setzte sie all diese Annehmlichkeiten aufs Spiel – bloss um in den Genuss dieser einen verbotenen Frucht zu kommen?
Der Drang nach einer Steigerung unserer Existenz ist neben dem Streben nach Existenzsicherung das zweite Meta-Bedürfnis.
Da die Seele ins Unbegrenzte hineinwachsen möchte und die Beziehung zu Krishna von Grenzenlosigkeit als Grundlage gezeichnet ist, ist es für sie eine widernatürliche Situation, in der Begrenztheit der Materie zu existieren. So ist es nachzuvollziehen, dass die Seele dieses Manko durch grenzenlose innerweltliche Vielfalt zu kompensieren sucht und deshalb die Unruhe zur Grunderfahrung der materiellen Welt zählt.
Existenzsicherung meint nicht nur die Sicherung des biologischen Seins, sondern auch der Güter und Beziehungen, die sich darum herum gruppiert haben. Die Folge davon ist die Erfahrung von Angst und Sorge, da man die Dinge und Beziehungen erhalten möchte, sie aber alle notwendigerweise durch die Kraft der Zeit vergehen.
Aber selbst nachdem man im Sicherungsbemühen vorläufig erfolgreich war, so ist eine gesicherte Existenz noch lange keine erfüllte Existenz.
Stellen sie sich vor, ihr jetziges Leben würde genau in diesem Moment „eingefroren“. Sie und alle, die sie kennen, würden ewig so leben. All die Lebensumstände würden in Ewigkeit exakt so bleiben. Man bräuchte nie wieder eine Angst davor zu haben, irgendetwas zu verlieren – das Leben, die Liebe, die Freunde, die Besitztümer… Alles, was einem jetzt als wertvoll erscheint, würde für alle Zeit erhalten bleiben. Aber es würde auch nichts Neues dazukommen. Jeder Tag, den man erleben würde, wäre eine ewige Wiederkehr des Gleichen, ohne Verluste, ohne Gewinne, ohne Auf und Ab. Wäre man dauerhaft glücklich in einer solchen Welt ewiger Sicherheit?
Warum nicht? Weil Glück notwendigerweise mit einer Erweiterung, einer Steigerung verbunden ist.
Als Eva nach dem Apfel griff, tat sie das Vernünftigste, was sie unter den gegebenen Umständen hätte tun können. Sie nutzte die Chance, über sich selbst hinauszuwachsen. Diese Chance war jedes Risiko wert, auch das Risiko, sämtliche Annehmlichkeiten des Paradieses zu verlieren.
Die Schriftstellerin Esther Vilar hat in ihrem Buch „Die Schrecken des Paradieses – wie lebenswert wäre das ewige Leben?“ geschrieben: „Auf Dauer wäre ein ewiges Leben einfach unerträglich. Es würde nicht lange dauern und wir würden den allmächtigen Schöpfer auf Knien darum bitten, uns endlich sterben zu lassen. Um auf diese Weise der schrecklichen Monotonie des Paradieses zu entgehen.“
Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen. Sigmund Freud stellte fest, dass jede „Fortdauer einer vom Lustprinzip ersehnten Situation, letztlich ein Unbehagen erzeugt. Wir sind so eingerichtet, dass wir nur den Kontrast intensiv geniessen können, den Zustand allerdings nur sehr wenig.“ (Sigmund Freuds „Das Unbehagen in der Kultur“).
In dem Masse, indem man das Objekt der Freude als selbstverständlich verfügbar begreift, verliert die Beziehung zu diesem Objekt an Ekstase. Das heisst nicht, dass man den Lebenspartner, den Arbeitsplatz, sein Haus oder die Besitztümer nicht mehr wertschätzen könnte, aber sie versetzen einen nicht mehr in den Rauschzustand, den man zur Zeit der Eroberung verspürte. In der materiellen Welt verblasst alles allmählich unter dem Gesetz der Sättigung.
Glück in dieser Welt kann man nicht in Einmachgläser abfüllen, um es über längere Zeit zu konservieren. Glück besitzt eine äusserst kurze Halbwertszeit.
Das erklärt auch, warum man in der Welt wieder in Umstände hineingehen muss, die einen da wieder herauskatapultieren.
In diesem Zusammenhang sind Bücher zu verstehen wie Paul Watzlawicks „Anleitung zum Unglücklichsein“.
Das grundlegende Problem des modernen Glücksuchers lautet: Wie kann man Wachstumsprozesse (Glück) erleben, wenn man im Grunde doch schon alles besitzt, was man zum Leben benötigt? Was tut man in jenen Momenten, in denen sich einfach keine weiteren Wachstumsmöglichkeiten mehr erschliessen?
Dann sinkt man einfach auf ein niedrigeres Erlebnisniveau zurück, um so die Gelegenheit zu haben, von dort aus noch einmal lustvoll wachsen zu können. Man erzeugt Disonanzen, um sich danach wieder in der Harmonie baden zu können. Man schaut spannungsgeladene Filme (im Horrorfilm bezahlt man sogar Eintritt für die Erfahrung der Angst), man fastet und erlebt Glück durch Unglück.
Offensichtlich bereitet man sich lieber selbst Schmerzen, als das schreckliche Gefühl der Stagnation ertragen zu müssen. Vielleicht ist die Depression deshalb zur Volkskrankheit der Industrienationen geworden, weil wir unter gesicherten, weithin geregelten Lebensabläufen nicht mehr genügend Kontrasterfahrungen erleben.
So versucht man sich künstlich wieder Bedeutung im Alltagsleben zu verschaffen zum Beispiel im Sport, wo freiwillig Anstrengungen auf sich genommen werden und man an Grenzerfahrungen hingelangt. Man arbeitet fünf Tage in der Woche und geniesst dann das Wochenende. Im Fussball zelebriert man eine ritualisierte Form des Krieges mit glanzvollen Siegen und vernichtenden Niederlagen. Und man erlebt Abenteuer in Form von Filmen, Romanen und Berichten aus der Presse und liest von den aussergewöhnlichen Geschehnissen in der Welt in den Zeitungen. In diesen künstlichen Kontrasterfahrungen zum eigenen Alltagsleben versorgt man sich mit dem Stimuli, weil das Verständnis von Glück, dem man sich angehängt hat, davon ausgeht, dass etwas zu geschehen hat. Von daher kommt das englische Wort happiness (to happen – sich ereignen, geschehen).
Im Yoga wird Glück nicht als die Kontrasterfahrung zu Leid verstanden, sondern als ein tiefer Zustand der Seele. Weil in der Seele die Beziehung zum Unbegrenzten, zu Sri Krishna, inhärent angelegt ist, benötigt es zum Glück keinerlei äussere Umstände. Da man als ewige Seele gänzlich verschieden geartet ist als alles Weltliche, kann Freude nicht von dort her erzeugt werden – genauso wenig wie ein Mensch angenehm satt würde, wenn sein Hemd gerade in eine Schale feinster Vanille-Creme eingetaucht wird.
Selbst äussere Extremsituationen wie Tod oder Totalverlust vermögen über diese konstante sich steigernde Freude, die die Seele in Verbindung mit ihrer Heimat – Sri Krishna – erfährt, einen Schatten zu legen.
Dann berührt man einen Strom ununterbrochener stillen Freude, der kontinuierlich erfahren wird und der nicht mehr abhängig ist von den Umständen im Aussen.
Solange man diesen Zuständen noch Wert zuspricht, wird innere Tiefe verunmöglicht, da es eine Projektion ins Aussen wäre.
Die Seele ist nie verschmolzen mit all den erlebten Zuständen in der Welt der Gedanken und Emotionen und den Erlebnisse, die diese durchlaufen. Der innere Weg lehrt Abstand zu bewahren von der Welt der vorbeiziehenden Formen und Zustände.
Dann ist es wirklich gleichgültig, ob der Augenblick begeisternd oder schnöde ist, ob klein oder gross, ob einfach oder spektakulär, ob er viel Wirkung zeigt in der Welt oder bescheiden bei sich bleibt, ob er freudvoll oder schmerzvoll ist.
Bei Krishna ist die kleinste aufrichtige Zuwendung zu ihm niemals unvergessen.
Da sich dieses Glück nicht auf eine vergängliche Welt hinbezieht, sondern auf die ewige Substanz, braucht es darin auch nicht die Kontrasterfahrung. Es sättigt sich nie.
In den Jenseitsvorstellungen projizieren viele Menschen heute einfach die diesseitige weltliche menschliche Erfahrung auf die Ewigkeit und müssen so natürlicherweise zur Schlussfolgerung der oben zitierten Esther Vilar gelangen – dass man dann irgendwann alles abgegrast hat und Gott innigst um das Geschenk der endgültigen Auslöschung anfleht.
Freude im Austausch mit dem Ewigen, mit Krishna, trägt die Erfahrung der Grenzenlosigkeit in sich und man braucht nicht wieder ein wenig materielles Leid dazwischen, um es dann wieder schätzen zu können. Es ist ein Erleben jenseits der weltlichen Polarität.
Der Drang nach einer Steigerung unserer Existenz ist neben dem Streben nach Existenzsicherung das zweite Meta-Bedürfnis.
Da die Seele ins Unbegrenzte hineinwachsen möchte und die Beziehung zu Krishna von Grenzenlosigkeit als Grundlage gezeichnet ist, ist es für sie eine widernatürliche Situation, in der Begrenztheit der Materie zu existieren. So ist es nachzuvollziehen, dass die Seele dieses Manko durch grenzenlose innerweltliche Vielfalt zu kompensieren sucht und deshalb die Unruhe zur Grunderfahrung der materiellen Welt zählt.
Existenzsicherung meint nicht nur die Sicherung des biologischen Seins, sondern auch der Güter und Beziehungen, die sich darum herum gruppiert haben. Die Folge davon ist die Erfahrung von Angst und Sorge, da man die Dinge und Beziehungen erhalten möchte, sie aber alle notwendigerweise durch die Kraft der Zeit vergehen.
Aber selbst nachdem man im Sicherungsbemühen vorläufig erfolgreich war, so ist eine gesicherte Existenz noch lange keine erfüllte Existenz.
Stellen sie sich vor, ihr jetziges Leben würde genau in diesem Moment „eingefroren“. Sie und alle, die sie kennen, würden ewig so leben. All die Lebensumstände würden in Ewigkeit exakt so bleiben. Man bräuchte nie wieder eine Angst davor zu haben, irgendetwas zu verlieren – das Leben, die Liebe, die Freunde, die Besitztümer… Alles, was einem jetzt als wertvoll erscheint, würde für alle Zeit erhalten bleiben. Aber es würde auch nichts Neues dazukommen. Jeder Tag, den man erleben würde, wäre eine ewige Wiederkehr des Gleichen, ohne Verluste, ohne Gewinne, ohne Auf und Ab. Wäre man dauerhaft glücklich in einer solchen Welt ewiger Sicherheit?
Warum nicht? Weil Glück notwendigerweise mit einer Erweiterung, einer Steigerung verbunden ist.
Als Eva nach dem Apfel griff, tat sie das Vernünftigste, was sie unter den gegebenen Umständen hätte tun können. Sie nutzte die Chance, über sich selbst hinauszuwachsen. Diese Chance war jedes Risiko wert, auch das Risiko, sämtliche Annehmlichkeiten des Paradieses zu verlieren.
Die Schriftstellerin Esther Vilar hat in ihrem Buch „Die Schrecken des Paradieses – wie lebenswert wäre das ewige Leben?“ geschrieben: „Auf Dauer wäre ein ewiges Leben einfach unerträglich. Es würde nicht lange dauern und wir würden den allmächtigen Schöpfer auf Knien darum bitten, uns endlich sterben zu lassen. Um auf diese Weise der schrecklichen Monotonie des Paradieses zu entgehen.“
Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen. Sigmund Freud stellte fest, dass jede „Fortdauer einer vom Lustprinzip ersehnten Situation, letztlich ein Unbehagen erzeugt. Wir sind so eingerichtet, dass wir nur den Kontrast intensiv geniessen können, den Zustand allerdings nur sehr wenig.“ (Sigmund Freuds „Das Unbehagen in der Kultur“).
In dem Masse, indem man das Objekt der Freude als selbstverständlich verfügbar begreift, verliert die Beziehung zu diesem Objekt an Ekstase. Das heisst nicht, dass man den Lebenspartner, den Arbeitsplatz, sein Haus oder die Besitztümer nicht mehr wertschätzen könnte, aber sie versetzen einen nicht mehr in den Rauschzustand, den man zur Zeit der Eroberung verspürte. In der materiellen Welt verblasst alles allmählich unter dem Gesetz der Sättigung.
Glück in dieser Welt kann man nicht in Einmachgläser abfüllen, um es über längere Zeit zu konservieren. Glück besitzt eine äusserst kurze Halbwertszeit.
Das erklärt auch, warum man in der Welt wieder in Umstände hineingehen muss, die einen da wieder herauskatapultieren.
In diesem Zusammenhang sind Bücher zu verstehen wie Paul Watzlawicks „Anleitung zum Unglücklichsein“.
Das grundlegende Problem des modernen Glücksuchers lautet: Wie kann man Wachstumsprozesse (Glück) erleben, wenn man im Grunde doch schon alles besitzt, was man zum Leben benötigt? Was tut man in jenen Momenten, in denen sich einfach keine weiteren Wachstumsmöglichkeiten mehr erschliessen?
Dann sinkt man einfach auf ein niedrigeres Erlebnisniveau zurück, um so die Gelegenheit zu haben, von dort aus noch einmal lustvoll wachsen zu können. Man erzeugt Disonanzen, um sich danach wieder in der Harmonie baden zu können. Man schaut spannungsgeladene Filme (im Horrorfilm bezahlt man sogar Eintritt für die Erfahrung der Angst), man fastet und erlebt Glück durch Unglück.
Offensichtlich bereitet man sich lieber selbst Schmerzen, als das schreckliche Gefühl der Stagnation ertragen zu müssen. Vielleicht ist die Depression deshalb zur Volkskrankheit der Industrienationen geworden, weil wir unter gesicherten, weithin geregelten Lebensabläufen nicht mehr genügend Kontrasterfahrungen erleben.
So versucht man sich künstlich wieder Bedeutung im Alltagsleben zu verschaffen zum Beispiel im Sport, wo freiwillig Anstrengungen auf sich genommen werden und man an Grenzerfahrungen hingelangt. Man arbeitet fünf Tage in der Woche und geniesst dann das Wochenende. Im Fussball zelebriert man eine ritualisierte Form des Krieges mit glanzvollen Siegen und vernichtenden Niederlagen. Und man erlebt Abenteuer in Form von Filmen, Romanen und Berichten aus der Presse und liest von den aussergewöhnlichen Geschehnissen in der Welt in den Zeitungen. In diesen künstlichen Kontrasterfahrungen zum eigenen Alltagsleben versorgt man sich mit dem Stimuli, weil das Verständnis von Glück, dem man sich angehängt hat, davon ausgeht, dass etwas zu geschehen hat. Von daher kommt das englische Wort happiness (to happen – sich ereignen, geschehen).
Im Yoga wird Glück nicht als die Kontrasterfahrung zu Leid verstanden, sondern als ein tiefer Zustand der Seele. Weil in der Seele die Beziehung zum Unbegrenzten, zu Sri Krishna, inhärent angelegt ist, benötigt es zum Glück keinerlei äussere Umstände. Da man als ewige Seele gänzlich verschieden geartet ist als alles Weltliche, kann Freude nicht von dort her erzeugt werden – genauso wenig wie ein Mensch angenehm satt würde, wenn sein Hemd gerade in eine Schale feinster Vanille-Creme eingetaucht wird.
Selbst äussere Extremsituationen wie Tod oder Totalverlust vermögen über diese konstante sich steigernde Freude, die die Seele in Verbindung mit ihrer Heimat – Sri Krishna – erfährt, einen Schatten zu legen.
Dann berührt man einen Strom ununterbrochener stillen Freude, der kontinuierlich erfahren wird und der nicht mehr abhängig ist von den Umständen im Aussen.
Solange man diesen Zuständen noch Wert zuspricht, wird innere Tiefe verunmöglicht, da es eine Projektion ins Aussen wäre.
Die Seele ist nie verschmolzen mit all den erlebten Zuständen in der Welt der Gedanken und Emotionen und den Erlebnisse, die diese durchlaufen. Der innere Weg lehrt Abstand zu bewahren von der Welt der vorbeiziehenden Formen und Zustände.
Dann ist es wirklich gleichgültig, ob der Augenblick begeisternd oder schnöde ist, ob klein oder gross, ob einfach oder spektakulär, ob er viel Wirkung zeigt in der Welt oder bescheiden bei sich bleibt, ob er freudvoll oder schmerzvoll ist.
Bei Krishna ist die kleinste aufrichtige Zuwendung zu ihm niemals unvergessen.
Da sich dieses Glück nicht auf eine vergängliche Welt hinbezieht, sondern auf die ewige Substanz, braucht es darin auch nicht die Kontrasterfahrung. Es sättigt sich nie.
In den Jenseitsvorstellungen projizieren viele Menschen heute einfach die diesseitige weltliche menschliche Erfahrung auf die Ewigkeit und müssen so natürlicherweise zur Schlussfolgerung der oben zitierten Esther Vilar gelangen – dass man dann irgendwann alles abgegrast hat und Gott innigst um das Geschenk der endgültigen Auslöschung anfleht.
Freude im Austausch mit dem Ewigen, mit Krishna, trägt die Erfahrung der Grenzenlosigkeit in sich und man braucht nicht wieder ein wenig materielles Leid dazwischen, um es dann wieder schätzen zu können. Es ist ein Erleben jenseits der weltlichen Polarität.
3. März 2010
Drei Kriterien der Unterscheidung einer religiösen Tradition
In unserer modernen Welt haben die religiösen ‚Wahrheiten‘ inzwischen Bescheidenheit und Kränkung ertragen gelernt, dass sie auf offenem Markte als bloße ‚Meinungen‘ oder ‚Gesinnungen‘ gehandelt werden. Eine päpstliche Enzyklika konkurriert mit den Do-it-yourself-Lebenshilfen und die Bibel mit esoterischen Schriften. Wir leben in einem Zeitalter eines säkularisierten Polytheismus. In der pluralistischen Gesellschaft gibt es unzählige Gottesvorstellungen, viele Wertorientierungen, eine Vielzahl von religiösen und halb-religiösen Sinnbestimmungen - alle nebeneinander. Der eine Gott, der einst den geistigen Zusammenhang der abendländischen Gesellschaft verbürgte, ist zersprungen in die vielen kleinen Hausgötter. Religion wurde privatisiert. Die großen Kirchen leeren sich, aber das Angebot für den religiösen Hobbykeller wächst.
Das verwirrt viele Menschen und diese Pluralität von verschiedensten Wegen, die sich zudem noch als die „besten“ und manchmal sogar „einzigen“ proklamieren, schafft eine solch zerrissene Situation, dass viele Menschen der religiösen Gleichgültigkeit den Vorzug geben.
Was sind nun die Orientierungspunkte in diesem Ekklektrizismus, wo letztlich jeder einfach seine eigene Religion zusammenbastelt?
Der Anfang eines inneren Weges ist Viveka, die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit, die Unterscheidungskraft an sich. Doch was sind die Kriterien dafür?
Wesentliche Unterscheidungsmerkmale sind da die Eschatologie und die Analyse der Grundmotivationen, sowie auch die Betrachtung, ob eine Religion brennend oder erkaltet ist.
Doch nun zum ersten Unterscheidungskriterium:
Wesentlicher als die Details der einzelnen Praxis (wie was für Mantras man chantet oder ob das Gotteshaus nun Tempel oder Moschee heisst) , tiefer gehender als das „WAS“, was man genau tut, verehrt oder anbetet, ist immer die eschatologische Frage, was denn LETZTENDLICH angestrebt wird.
Das „Was“ – die eschatologische Frage
Erfahrung von Friede
(advaita)
Einheitsmystik
Erfahrung von Liebe
(dvaita)
Liebesmystik
Wohin mündet die Praxis letztlich hin? Was ist das, was ich wirklich will? Was ist das, was der Natur der Seele entspricht.?
Das nächste grundlegende Unterscheidungsmerkmal:
Das „Wie“ – die Frage nach der Grundmotivation
Man mag die gleiche Religion praktizieren, die gleichen Rituale und Sadhana, doch was entscheidet, ist letztlich die innerste Motivation.
Diese Analyse durchzieht alle konfessionellen Ansätze dieser Welt. Darin spielt es also überhaupt keine Rolle, ob man seine innere Praxis als christlich, buddhistisch oder hinduistisch bezeichnet.
Die spirituelle Praxis hängt ab von der Grundmotivation, vom „wie ich mich als Seele in dieser Welt platziere“. Und diese Urausrichtung ist unabhängig von konfessionellem Credo, unabhängig von Ritualen und unabhängig von visuellen Unterschieden In der Bhagavad Gita werden verschiedene Grundmotivationen für die spirituelle Praxis zusammenfassend als Karma, Jnana und Bhakti beschrieben.
Karma: Das Ziel ist innerweltlich – wie zum Beispiel Gesundheit und Friede auf dem Planeten, bis hin zu einem angenehmen Leben in dieser Welt oder in höheren Lichtwelten. Es geht um das Gelingen persönlicher Anliegen und Wünsche.
Man kann auch Gott dafür instrumentalisieren und ihn darum bitten.
Die Grundmotivation darin ist, etwas zu bekommen, zu erhalten… und man glaubt, Zufriedenheit existiere im Erfüllen seiner Wünsche.
Jnana: Das Ziel ist die Auflösung all dessen, was man innerhalb der Welt findet. Denn auch das Angenehmste geht vorbei und ist somit leidverursachend. Der Ansatz des Jnana ist die radikale Verneinung sämtlicher vorbeiziehender Phänomene, also auch der schönen. Man verneint auch Persönlichkeit, Form und sämtliche Dualität dieser Welt, somit auch die Liebe.
Die Grundmotivation darin ist, von etwas bewahrt zu werden… und man glaubt, Zufriedenheit existiere im Aufgeben seiner Wünsche.
Bhakti: Das Ziel ist die liebende Gottesbeziehung, wobei die Liebe dann natürlicherweise auch dahin fliesst, was mit ihm in Verbindung steht – und das ist auch die gesamte Schöpfung. Transzendieren der materiellen Welt und ihrer Umstände (mit Gott in Verbindung zu setzen) ist etwas anderes als das Negieren (die Grundmentalität des Jnana).
Man instrumentalisiert Gott aber nicht für persönliche Wunscherfüllung (karma) oder für das Bewahren vor Leiden (jnana), sondern will lernen, die Absicht Gottes selber zu ergründen und sich für diese zur Verfügung zu stellen. Die Freude in Bhakti rührt nicht aus der persönlichen Wunscherfüllung her, sondern in der Harmonie mit Gott.
Die Liebe schafft eine Einheit zwischen Gott (und seiner gesamten Schöpfung) und dem Lebewesen, die Individualität beibehält.
Die Grundmotivation darin ist, nicht etwas zu erhalten und von etwas bewahrt zu werden, sondern sich einzig und allein für Gottes Wünsche zur Verfügung zu stellen. und Zufriedenheit existiert im Harmonieren mit seinen Wünschen.
Das Folgende ist eine kleine Analyse von Grundmotivationen… angefangen der niedrigsten bis hin zu höheren:
Bhaya – Zuwendung zum Heiligen, zu Gott aus Angst (vor der Konsequenz der Unterlassung, oder vor seiner Strafe, vor seiner Grösse und Macht)
↓
Asha – Zuwendung zu Gott aus materieller Ambition heraus, weil man etwas will (Friede,Gelingen von Vorhaben, Gesundheit, angenehmes Eingerichtet-sein im Zeitweiligen, Sorgenfreiheit, einen ruhigen Geist….)
↓
dharma – Zuwendung zu Gott aus einem Pflichtgefühl heraus (religiöser Alltag,
Regelmässigkeit, Gewohnheit, weil es die ewige Aufgabe des ewigen Lebewesens ist)
↓
raga – Zuwendung zu Gott aus Anziehung und Zuneigung heraus, Faszination ohne das Inbetrachtziehen von persönlichem Gewinn oder Verlust.
Ein weiteres wesentliches Unterscheidungsmerkmal von einem inneren Weg ist, ob er brennend oder erkaltet ist.
Brennende und erkaltete Religion
Was wird unter einer brennenden Religion verstanden?
Eine ‚brennende ‘ Religion ist die, die jenseits-orientiert ist und auf eine Erlösung nicht von der Welt, aber von der Identifizierung mit der Welt, setzt. Sri Krishna spricht in der Bhagavad Gita von der Heilung der unnatürlichen Situation, einen materiellen Körper zu besitzen (8.5 – muktva kalevaram „Befreiung vom Körper“ 5.23 – völlige Befreiung vom Körper). Die Religion zeigt sich zwar in dieser Welt, erklärt aber von sich selbst, dass sie nicht von dieser Welt ist und nicht als Heilmittel für ein besseres innerweltliches Leben gedacht ist. Für die ‚brennende Religion‘ bedeutet In-der-Welt-Sein nichts anderes als „in-der-falschen-Veranstaltung-sein.“ Darum ist das Herzstück einer ‚brennenden‘ Religion: Heimkehr, Rückkehr in die ewige Welt, Liebe zu einem Gott, der sich nicht primär als Schöpfer, Erhalter und Auflöser materieller Welten versteht, sondern transzendent-bezogen.
Die Bhagavad gita spricht davon, dass Gott mehr ist als die kosmische Manifestation (9.5).
Auch das Christentum war über lange Zeit eine solche ‚brennende‘ Religion.
Wenn das diesseitige Hier nur als Provisorium, als Transitraum verstanden wird, dann ändert sich auch das Gesamtverständnis, wie man die gesamte Welt versteht.
Eine typische Grundhaltung für den religiösen Transitraum enthält zum Beispiel die Bergpredigt, wo die Heimkehr zum Königreich Gottes mehr gewichtet wird und in der Prioritätenliste höher steht als alle innerweltlichen Bemühungen um Sicherheit und Erhalt. In einer Welt, die von Selbstbehauptungskämpfen bestimmt ist, hat man aus weltlicher Perspektive mit der Bergpredigt auf Dauer keine Überlebenschancen. Aber darauf kommt es einer ‚brennenden‘ Religion auch gar nicht an. Ein ‚brennende‘ Religion ist in ihrem Selbstverständnis keine Einrichtung zur Stabilisierung irgendwelcher gesellschaftlicher Ordnungen: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
Jesus lehrt nicht innerweltliches Einrichten, sondern aus ihm sprüht die brennende Religion:
„Als sie des Weges weiter zogen, sagte einer zu ihm: „Ich will dir folgen, wohin du auch gehst.“ Da sprach Jesus zu ihm: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat nicht, wohin er sein Haupt legen kann“.
Er sprach aber zu einem anderen: „Folge mir nach!“ Jener aber sprach: „Erlaube mir, zuerst hinzugehen und meinen Vater zu begraben.“ Er aber antwortete ihm: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes.“
Und ein anderer sagte: „Ich will dir nachfolgen, Herr; doch erlaube mir zuvor, von meinen Hausgenossen Abschied zu nehmen“. Jesus aber sprach: „Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist nicht tauglich für das Reich Gottes.“ (Lukasevangelium, Kapitel 9)
Das alltägliche Lebensgefühl ist in der Regel nicht von dieser Dringlichkeit gezeichnet. Brennende Religion relativiert den ganzen Erlebnisbereich. Die eigenen Gefühle und emotionale Wahrnehmungen werden einem fremd - als ob sie ein anderer empfände und als ob man selber beziehungslos in der Welt umher treiben würde.
Wenn sich der Mensch von allem löst, auch von seiner bisherigen Identifikationsrolle (das was man als sein Selbst betrachtet hatte), wird man diese wie ein fremdes Objekt betrachten.
Man wohnt dem, was einem zustösst, aus der Ferne, abgelöst von der provisorischen Ich-Rolle, bei, und lächelt leichthin über die Dinge, die einem im Leben widerfahren. Man ist Zuschauer des Lebens ohne sich zu gewaltig in dieses einzumischen.
Das ist die Erfahrung des Unzuhause, der Unheimlichkeit („kein Heim zu haben“).
Krishna sagt in der Bhagavad Gita (12.19)
aniketah sthira matir
„Derjenige, der sich nicht um eine Wohnstätte kümmert, der im Zeitweiligen kein Heimatsgefühl hat, ist mir sehr lieb.“
Das Wort, das Krishna da gebraucht ist aniketa. Mit Niketan ist ein Wohnort gemeint, aber kein gewöhnlicher, sondern ein spiritueller! Viele Ashrams in den Himalayas heissen "santi-Niketan“, Ort des Friedens.
Krishna meint also, es im Gottesbezug nicht um ein friedliches Einbetten geht. Er will nicht, dass man sich mit ihm in einer Scheingewissheit wähnt, die die Suche nach dem wirklichen Gott blockieren würde.
Krishna drängt einen immer weiter. Wohin weiss nur er.
Im Bhagavatam (11.9.14) heisst es:
“Eine Person, welche es ernst meint mit Transzendenz, soll alleine Leben und einfach durch die Umstände der Welt hindurchwandern ohne feste Residenz. Er ist wachsam, bleibt verborgen und handelt auf eine Weise, dass er von anderen gar nicht erkannt und beachtet wird. So lebt er unabhängig und spricht keine unnötigen Worte.“
„Ich selber bin seine Heimat. Er hat sein Heim in mir.“ (Bhagavad Gita 9.18)„
Vor der Begegnung mit dem Selbst kommt die Begegnung mit dem inneren Loch.
Es ist ein Loch des Mangels ausgelöst durch lebenslanges Ausfliessen in die äussere Welt.
Diese Seinswunde ist es, die nach Aufmerksamkeit verlangt.
Gewöhnliche Menschen haben ein Leben dafür gegeben, dieses Loch zu füllen. Dazu ist die Aussenwelt da.
Und so will man das Loch füllen mit Beziehungen, mit Besitz, mit Dingen des Vergänglichen, mit Eindrücken und Erlebnissen, Erfahrungen und Ablenkungen aller Art, Beziehungen im Zeitweiligen. Man benützt Menschen, welche gar nicht die Aufgabe haben, meine eigenen Löcher zu füllen.
Bis wir nach langer Zeit der Lernunwilligkeit feststellen müssen, dass dieses Loch nicht füllbar ist.
Das „ich“ ist ein unfüllbares Loch. Dies anzuerkennen ist entweder eine Katastrophe oder eine Heilung – je nachdem in welchem Reifezustand man sich befindet.
Man bleibt einfach bei ihm sitzen, tritt ihm näher, bewusst und heilsam. Bis man bereit ist, für den Fall. Und da merkt man, dass man wirklich aufgehoben ist von Sri Krishna.
Erst wenn man andere Menschen und auch Gott nicht mehr gebraucht, Löcher zu füllen, wird man entdecken, was Freundschaft sein kann, was Gottesliebe wirklich bedeutet.
Begegnung mit dieser Leere, mit diesem Loch ist Erwachsenwerden. Man hat sich gelöst von der infantilen Vorstellung, das Loch könne gefüllt werden. Liebe ist eine Situation, die aus Erfüllung entsteht, nicht aus Mangel. Man lernt, dass man ganz alleine ist und erkennt vollständig die Konsequenzen, was Alleinsein wirklich bedeutet. Erst dann eröffnet sich Liebe.
Dann kann man wirklich sadhusanga haben und man missbraucht spirituelle Gemeinschaft nicht, um eigentlich zu sozialisieren oder eben Löcher zu stopfen..
So fühlt sich „brennende" Religion an: ungefilterte Ergriffenheit statt lauer Behaglichkeit.
Erkaltete Religion
Mit dieser ‚heißen‘ Ekstatik der etablierten Religionen ist es ziemlich vorbei. Aus ihnen ist weitgehend das kalte Projekt der Zivilreligion geworden. Sie sollen piritueller Flankenschutz geben bei der Bewältigung innerweltlicher Probleme, vor allem Moral, Schicksal und Sinn betreffend. Sie wird Begleitung an Momenten, wo alles zusammenfällt wie beim Tod. Die ‚kalte‘ Religion kommt ohne ernsthafte Transzendenz aus. Sie ist immanent gerichtet, pragmatisch, karitativ, rhetorisch. Die Glaubenswelt ist so weit psychologisiert und soziologisiert, dass daraus ein Gemisch wird aus Sozialethik, institutionellem Machtdenken, Psychotherapie, Meditationstechnik, Museumsdienst, Kulturmanagement, Sozialarbeit. Hoffnungen auf Erlösung haben sich, wo es sie noch gibt, von der letztendlichen Ebene auf die Befreiung von Krankheit und Schwierigkeiten verlagert. Reine Gottesliebe, ohne das Fragen nach Eigennutzen, ist in er erkalteten Religion einfach nicht das wesentliche Thema, welches einen beschäftigt.
Diese Veräusserlichung, Psychologisierung, Therapeutisierung, Medizinisierung des Gottesbezuges gehört zur Geschichte der Abkühlung der Religion.
‚Kalte‘ Religionen sind solche, die sich auf das Gesellschaftsdienliche herunterkühlen lassen. Mit einem Wort: die von dieser Welt und allein für diese Welt sein wollen.
Anders die ‚heiße‘ Religion: Ihre Wahrheit will das Ganze des Lebens erfassen und verwandeln; hier gibt es keine Trennung der Wertsphären des Privaten und Heiligen. Ihr geht es ums Ganze und sie greift nach dem ganzen Menschen. Sie will ihn von dieser Welt herauslösen.
Die offiziellen spirituellen Traditionen sind in der Regel von „brennenden“ zu ‚erkalteten‘ Religionsprojekten geworden.
Verwechslung
Zur Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan berichtete ein deutscher Journalist von dem Gespräch mit dem „Außenminister“ der Taliban, der auf die Frage, weshalb das Regime keine Anstrengungen unternehme, das zerstörte Land wieder aufzubauen, mit einem Gleichnis antwortete. „Wenn Sie“, sagte er, „bei einem Rückflug nach Deutschland in einem unwirtlichen Land abstürzen, aber überleben und die Gewissheit haben, dass Sie in absehbarer Zeit zurückgeholt werden – dann würden Sie doch auch nicht damit anfangen, an dem Absturzort etwas aufzubauen.“ Das, so sagte der Außenminister, sei die Lage der Taliban: Sie würden bald ins Himmelreich eingehen. Es lohne nicht, an diesem hiesigen Elend noch etwas zu ändern. Das ist exakt jenes Transitraum- und Warteraumbewusstsein, welches man doch aus der brennenden Religiosität kennt. Oberflächlich betrachtet sieht es ähnlich aus wie brennende Religion – ist aber die barbarische Seite der brennenden Religion, die völlige Verdrehung der Entschlossenheit zur Transzendenz.
Wie lässt sich religiöse Erfahrung definieren? Vielleicht als das durch Rituale, Institutionen, Symbole stabilisierte Gefühl der Zugehörigkeit zu einem übergreifenden und tragenden Sinnzusammenhang; als eine authentische Beziehungserfahrung, Kontingenzbewältigung, Lebensorientierung. Man will in einem seelisch-geistigen Sinne zu Hause sein. Dieses Verlangen nach umfassender Sinnerfüllung ist wahrscheinlich grundlegend. Es kann unterschiedlich befriedigt werden. Und dieses Verlangen nach Sinn und Zugehörigkeit kann auch auf sehr ungöttliche Weise befriedigt werden.
Religionen können pervertieren – man spricht dann von ‚Ersatzreligionen‘ oder Ideologien. Der Nationalsozialismus war auch eine solche Ersatzreligion, ein aus religiösen Motiven gespeister Aufstand gegen die Zumutung einer säkularisierten, pluralistischen Moderne. Carl Friedrich von Weizsäcker schrieb kurz nach dem Ende der Naziherrschaft: „Der Nationalsozialismus war eine Religion. Glaubenssehnsucht, die die Kirche nicht mehr erfüllte, Glaubenskraft, die die Kirche nicht mehr band, sind in ihn eingeflossen.“
Wenn man die potenzielle Schattenseite der brennenden Religion nicht genau beleuchtet, ist es höchstwahrscheinlich, dass man in deren Einflussbereich ist.
Die pathologische Form der Heimatlosigkeit ist das krankhafte Loslösen, einfach weil es nicht mehr auszuhalten ist. Versöhnung mit den Umständen und die Zufriedenheit in ihnen ist die Voraussetzung für deren Überwindung.
Heimatlosigkeit ist nicht gleichzusetzen mit innerweltlicher Gleichgültigkeit. Viele wollen dieses eschatologische Gefühl vermeiden und dies führt zu krampfhaften Versuchen, Halt zu finden im Gehäuse einer Weltanschauung, Religion, Menschengruppe oder einer Beziehung.
Nach-Gedanke
In unserer Zeit, wo sich die Orientierung vom Monopol der Kirche abgetrennt hat und jeder seine eigene Patchwork-Version der Religion kreiert, sind diese drei Unterscheidungsmerkmale sehr wesentlich. Und die Betrachtung derer legt ein Grundfundament des inneren Weges.
Das verwirrt viele Menschen und diese Pluralität von verschiedensten Wegen, die sich zudem noch als die „besten“ und manchmal sogar „einzigen“ proklamieren, schafft eine solch zerrissene Situation, dass viele Menschen der religiösen Gleichgültigkeit den Vorzug geben.
Was sind nun die Orientierungspunkte in diesem Ekklektrizismus, wo letztlich jeder einfach seine eigene Religion zusammenbastelt?
Der Anfang eines inneren Weges ist Viveka, die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit, die Unterscheidungskraft an sich. Doch was sind die Kriterien dafür?
Wesentliche Unterscheidungsmerkmale sind da die Eschatologie und die Analyse der Grundmotivationen, sowie auch die Betrachtung, ob eine Religion brennend oder erkaltet ist.
Doch nun zum ersten Unterscheidungskriterium:
Wesentlicher als die Details der einzelnen Praxis (wie was für Mantras man chantet oder ob das Gotteshaus nun Tempel oder Moschee heisst) , tiefer gehender als das „WAS“, was man genau tut, verehrt oder anbetet, ist immer die eschatologische Frage, was denn LETZTENDLICH angestrebt wird.
Das „Was“ – die eschatologische Frage
Erfahrung von Friede
(advaita)
Einheitsmystik
Erfahrung von Liebe
(dvaita)
Liebesmystik
Wohin mündet die Praxis letztlich hin? Was ist das, was ich wirklich will? Was ist das, was der Natur der Seele entspricht.?
Das nächste grundlegende Unterscheidungsmerkmal:
Das „Wie“ – die Frage nach der Grundmotivation
Man mag die gleiche Religion praktizieren, die gleichen Rituale und Sadhana, doch was entscheidet, ist letztlich die innerste Motivation.
Diese Analyse durchzieht alle konfessionellen Ansätze dieser Welt. Darin spielt es also überhaupt keine Rolle, ob man seine innere Praxis als christlich, buddhistisch oder hinduistisch bezeichnet.
Die spirituelle Praxis hängt ab von der Grundmotivation, vom „wie ich mich als Seele in dieser Welt platziere“. Und diese Urausrichtung ist unabhängig von konfessionellem Credo, unabhängig von Ritualen und unabhängig von visuellen Unterschieden In der Bhagavad Gita werden verschiedene Grundmotivationen für die spirituelle Praxis zusammenfassend als Karma, Jnana und Bhakti beschrieben.
Karma: Das Ziel ist innerweltlich – wie zum Beispiel Gesundheit und Friede auf dem Planeten, bis hin zu einem angenehmen Leben in dieser Welt oder in höheren Lichtwelten. Es geht um das Gelingen persönlicher Anliegen und Wünsche.
Man kann auch Gott dafür instrumentalisieren und ihn darum bitten.
Die Grundmotivation darin ist, etwas zu bekommen, zu erhalten… und man glaubt, Zufriedenheit existiere im Erfüllen seiner Wünsche.
Jnana: Das Ziel ist die Auflösung all dessen, was man innerhalb der Welt findet. Denn auch das Angenehmste geht vorbei und ist somit leidverursachend. Der Ansatz des Jnana ist die radikale Verneinung sämtlicher vorbeiziehender Phänomene, also auch der schönen. Man verneint auch Persönlichkeit, Form und sämtliche Dualität dieser Welt, somit auch die Liebe.
Die Grundmotivation darin ist, von etwas bewahrt zu werden… und man glaubt, Zufriedenheit existiere im Aufgeben seiner Wünsche.
Bhakti: Das Ziel ist die liebende Gottesbeziehung, wobei die Liebe dann natürlicherweise auch dahin fliesst, was mit ihm in Verbindung steht – und das ist auch die gesamte Schöpfung. Transzendieren der materiellen Welt und ihrer Umstände (mit Gott in Verbindung zu setzen) ist etwas anderes als das Negieren (die Grundmentalität des Jnana).
Man instrumentalisiert Gott aber nicht für persönliche Wunscherfüllung (karma) oder für das Bewahren vor Leiden (jnana), sondern will lernen, die Absicht Gottes selber zu ergründen und sich für diese zur Verfügung zu stellen. Die Freude in Bhakti rührt nicht aus der persönlichen Wunscherfüllung her, sondern in der Harmonie mit Gott.
Die Liebe schafft eine Einheit zwischen Gott (und seiner gesamten Schöpfung) und dem Lebewesen, die Individualität beibehält.
Die Grundmotivation darin ist, nicht etwas zu erhalten und von etwas bewahrt zu werden, sondern sich einzig und allein für Gottes Wünsche zur Verfügung zu stellen. und Zufriedenheit existiert im Harmonieren mit seinen Wünschen.
Das Folgende ist eine kleine Analyse von Grundmotivationen… angefangen der niedrigsten bis hin zu höheren:
Bhaya – Zuwendung zum Heiligen, zu Gott aus Angst (vor der Konsequenz der Unterlassung, oder vor seiner Strafe, vor seiner Grösse und Macht)
↓
Asha – Zuwendung zu Gott aus materieller Ambition heraus, weil man etwas will (Friede,Gelingen von Vorhaben, Gesundheit, angenehmes Eingerichtet-sein im Zeitweiligen, Sorgenfreiheit, einen ruhigen Geist….)
↓
dharma – Zuwendung zu Gott aus einem Pflichtgefühl heraus (religiöser Alltag,
Regelmässigkeit, Gewohnheit, weil es die ewige Aufgabe des ewigen Lebewesens ist)
↓
raga – Zuwendung zu Gott aus Anziehung und Zuneigung heraus, Faszination ohne das Inbetrachtziehen von persönlichem Gewinn oder Verlust.
Ein weiteres wesentliches Unterscheidungsmerkmal von einem inneren Weg ist, ob er brennend oder erkaltet ist.
Brennende und erkaltete Religion
Was wird unter einer brennenden Religion verstanden?
Eine ‚brennende ‘ Religion ist die, die jenseits-orientiert ist und auf eine Erlösung nicht von der Welt, aber von der Identifizierung mit der Welt, setzt. Sri Krishna spricht in der Bhagavad Gita von der Heilung der unnatürlichen Situation, einen materiellen Körper zu besitzen (8.5 – muktva kalevaram „Befreiung vom Körper“ 5.23 – völlige Befreiung vom Körper). Die Religion zeigt sich zwar in dieser Welt, erklärt aber von sich selbst, dass sie nicht von dieser Welt ist und nicht als Heilmittel für ein besseres innerweltliches Leben gedacht ist. Für die ‚brennende Religion‘ bedeutet In-der-Welt-Sein nichts anderes als „in-der-falschen-Veranstaltung-sein.“ Darum ist das Herzstück einer ‚brennenden‘ Religion: Heimkehr, Rückkehr in die ewige Welt, Liebe zu einem Gott, der sich nicht primär als Schöpfer, Erhalter und Auflöser materieller Welten versteht, sondern transzendent-bezogen.
Die Bhagavad gita spricht davon, dass Gott mehr ist als die kosmische Manifestation (9.5).
Auch das Christentum war über lange Zeit eine solche ‚brennende‘ Religion.
Wenn das diesseitige Hier nur als Provisorium, als Transitraum verstanden wird, dann ändert sich auch das Gesamtverständnis, wie man die gesamte Welt versteht.
Eine typische Grundhaltung für den religiösen Transitraum enthält zum Beispiel die Bergpredigt, wo die Heimkehr zum Königreich Gottes mehr gewichtet wird und in der Prioritätenliste höher steht als alle innerweltlichen Bemühungen um Sicherheit und Erhalt. In einer Welt, die von Selbstbehauptungskämpfen bestimmt ist, hat man aus weltlicher Perspektive mit der Bergpredigt auf Dauer keine Überlebenschancen. Aber darauf kommt es einer ‚brennenden‘ Religion auch gar nicht an. Ein ‚brennende‘ Religion ist in ihrem Selbstverständnis keine Einrichtung zur Stabilisierung irgendwelcher gesellschaftlicher Ordnungen: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
Jesus lehrt nicht innerweltliches Einrichten, sondern aus ihm sprüht die brennende Religion:
„Als sie des Weges weiter zogen, sagte einer zu ihm: „Ich will dir folgen, wohin du auch gehst.“ Da sprach Jesus zu ihm: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat nicht, wohin er sein Haupt legen kann“.
Er sprach aber zu einem anderen: „Folge mir nach!“ Jener aber sprach: „Erlaube mir, zuerst hinzugehen und meinen Vater zu begraben.“ Er aber antwortete ihm: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes.“
Und ein anderer sagte: „Ich will dir nachfolgen, Herr; doch erlaube mir zuvor, von meinen Hausgenossen Abschied zu nehmen“. Jesus aber sprach: „Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist nicht tauglich für das Reich Gottes.“ (Lukasevangelium, Kapitel 9)
Das alltägliche Lebensgefühl ist in der Regel nicht von dieser Dringlichkeit gezeichnet. Brennende Religion relativiert den ganzen Erlebnisbereich. Die eigenen Gefühle und emotionale Wahrnehmungen werden einem fremd - als ob sie ein anderer empfände und als ob man selber beziehungslos in der Welt umher treiben würde.
Wenn sich der Mensch von allem löst, auch von seiner bisherigen Identifikationsrolle (das was man als sein Selbst betrachtet hatte), wird man diese wie ein fremdes Objekt betrachten.
Man wohnt dem, was einem zustösst, aus der Ferne, abgelöst von der provisorischen Ich-Rolle, bei, und lächelt leichthin über die Dinge, die einem im Leben widerfahren. Man ist Zuschauer des Lebens ohne sich zu gewaltig in dieses einzumischen.
Das ist die Erfahrung des Unzuhause, der Unheimlichkeit („kein Heim zu haben“).
Krishna sagt in der Bhagavad Gita (12.19)
aniketah sthira matir
„Derjenige, der sich nicht um eine Wohnstätte kümmert, der im Zeitweiligen kein Heimatsgefühl hat, ist mir sehr lieb.“
Das Wort, das Krishna da gebraucht ist aniketa. Mit Niketan ist ein Wohnort gemeint, aber kein gewöhnlicher, sondern ein spiritueller! Viele Ashrams in den Himalayas heissen "santi-Niketan“, Ort des Friedens.
Krishna meint also, es im Gottesbezug nicht um ein friedliches Einbetten geht. Er will nicht, dass man sich mit ihm in einer Scheingewissheit wähnt, die die Suche nach dem wirklichen Gott blockieren würde.
Krishna drängt einen immer weiter. Wohin weiss nur er.
Im Bhagavatam (11.9.14) heisst es:
“Eine Person, welche es ernst meint mit Transzendenz, soll alleine Leben und einfach durch die Umstände der Welt hindurchwandern ohne feste Residenz. Er ist wachsam, bleibt verborgen und handelt auf eine Weise, dass er von anderen gar nicht erkannt und beachtet wird. So lebt er unabhängig und spricht keine unnötigen Worte.“
„Ich selber bin seine Heimat. Er hat sein Heim in mir.“ (Bhagavad Gita 9.18)„
Vor der Begegnung mit dem Selbst kommt die Begegnung mit dem inneren Loch.
Es ist ein Loch des Mangels ausgelöst durch lebenslanges Ausfliessen in die äussere Welt.
Diese Seinswunde ist es, die nach Aufmerksamkeit verlangt.
Gewöhnliche Menschen haben ein Leben dafür gegeben, dieses Loch zu füllen. Dazu ist die Aussenwelt da.
Und so will man das Loch füllen mit Beziehungen, mit Besitz, mit Dingen des Vergänglichen, mit Eindrücken und Erlebnissen, Erfahrungen und Ablenkungen aller Art, Beziehungen im Zeitweiligen. Man benützt Menschen, welche gar nicht die Aufgabe haben, meine eigenen Löcher zu füllen.
Bis wir nach langer Zeit der Lernunwilligkeit feststellen müssen, dass dieses Loch nicht füllbar ist.
Das „ich“ ist ein unfüllbares Loch. Dies anzuerkennen ist entweder eine Katastrophe oder eine Heilung – je nachdem in welchem Reifezustand man sich befindet.
Man bleibt einfach bei ihm sitzen, tritt ihm näher, bewusst und heilsam. Bis man bereit ist, für den Fall. Und da merkt man, dass man wirklich aufgehoben ist von Sri Krishna.
Erst wenn man andere Menschen und auch Gott nicht mehr gebraucht, Löcher zu füllen, wird man entdecken, was Freundschaft sein kann, was Gottesliebe wirklich bedeutet.
Begegnung mit dieser Leere, mit diesem Loch ist Erwachsenwerden. Man hat sich gelöst von der infantilen Vorstellung, das Loch könne gefüllt werden. Liebe ist eine Situation, die aus Erfüllung entsteht, nicht aus Mangel. Man lernt, dass man ganz alleine ist und erkennt vollständig die Konsequenzen, was Alleinsein wirklich bedeutet. Erst dann eröffnet sich Liebe.
Dann kann man wirklich sadhusanga haben und man missbraucht spirituelle Gemeinschaft nicht, um eigentlich zu sozialisieren oder eben Löcher zu stopfen..
So fühlt sich „brennende" Religion an: ungefilterte Ergriffenheit statt lauer Behaglichkeit.
Erkaltete Religion
Mit dieser ‚heißen‘ Ekstatik der etablierten Religionen ist es ziemlich vorbei. Aus ihnen ist weitgehend das kalte Projekt der Zivilreligion geworden. Sie sollen piritueller Flankenschutz geben bei der Bewältigung innerweltlicher Probleme, vor allem Moral, Schicksal und Sinn betreffend. Sie wird Begleitung an Momenten, wo alles zusammenfällt wie beim Tod. Die ‚kalte‘ Religion kommt ohne ernsthafte Transzendenz aus. Sie ist immanent gerichtet, pragmatisch, karitativ, rhetorisch. Die Glaubenswelt ist so weit psychologisiert und soziologisiert, dass daraus ein Gemisch wird aus Sozialethik, institutionellem Machtdenken, Psychotherapie, Meditationstechnik, Museumsdienst, Kulturmanagement, Sozialarbeit. Hoffnungen auf Erlösung haben sich, wo es sie noch gibt, von der letztendlichen Ebene auf die Befreiung von Krankheit und Schwierigkeiten verlagert. Reine Gottesliebe, ohne das Fragen nach Eigennutzen, ist in er erkalteten Religion einfach nicht das wesentliche Thema, welches einen beschäftigt.
Diese Veräusserlichung, Psychologisierung, Therapeutisierung, Medizinisierung des Gottesbezuges gehört zur Geschichte der Abkühlung der Religion.
‚Kalte‘ Religionen sind solche, die sich auf das Gesellschaftsdienliche herunterkühlen lassen. Mit einem Wort: die von dieser Welt und allein für diese Welt sein wollen.
Anders die ‚heiße‘ Religion: Ihre Wahrheit will das Ganze des Lebens erfassen und verwandeln; hier gibt es keine Trennung der Wertsphären des Privaten und Heiligen. Ihr geht es ums Ganze und sie greift nach dem ganzen Menschen. Sie will ihn von dieser Welt herauslösen.
Die offiziellen spirituellen Traditionen sind in der Regel von „brennenden“ zu ‚erkalteten‘ Religionsprojekten geworden.
Verwechslung
Zur Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan berichtete ein deutscher Journalist von dem Gespräch mit dem „Außenminister“ der Taliban, der auf die Frage, weshalb das Regime keine Anstrengungen unternehme, das zerstörte Land wieder aufzubauen, mit einem Gleichnis antwortete. „Wenn Sie“, sagte er, „bei einem Rückflug nach Deutschland in einem unwirtlichen Land abstürzen, aber überleben und die Gewissheit haben, dass Sie in absehbarer Zeit zurückgeholt werden – dann würden Sie doch auch nicht damit anfangen, an dem Absturzort etwas aufzubauen.“ Das, so sagte der Außenminister, sei die Lage der Taliban: Sie würden bald ins Himmelreich eingehen. Es lohne nicht, an diesem hiesigen Elend noch etwas zu ändern. Das ist exakt jenes Transitraum- und Warteraumbewusstsein, welches man doch aus der brennenden Religiosität kennt. Oberflächlich betrachtet sieht es ähnlich aus wie brennende Religion – ist aber die barbarische Seite der brennenden Religion, die völlige Verdrehung der Entschlossenheit zur Transzendenz.
Wie lässt sich religiöse Erfahrung definieren? Vielleicht als das durch Rituale, Institutionen, Symbole stabilisierte Gefühl der Zugehörigkeit zu einem übergreifenden und tragenden Sinnzusammenhang; als eine authentische Beziehungserfahrung, Kontingenzbewältigung, Lebensorientierung. Man will in einem seelisch-geistigen Sinne zu Hause sein. Dieses Verlangen nach umfassender Sinnerfüllung ist wahrscheinlich grundlegend. Es kann unterschiedlich befriedigt werden. Und dieses Verlangen nach Sinn und Zugehörigkeit kann auch auf sehr ungöttliche Weise befriedigt werden.
Religionen können pervertieren – man spricht dann von ‚Ersatzreligionen‘ oder Ideologien. Der Nationalsozialismus war auch eine solche Ersatzreligion, ein aus religiösen Motiven gespeister Aufstand gegen die Zumutung einer säkularisierten, pluralistischen Moderne. Carl Friedrich von Weizsäcker schrieb kurz nach dem Ende der Naziherrschaft: „Der Nationalsozialismus war eine Religion. Glaubenssehnsucht, die die Kirche nicht mehr erfüllte, Glaubenskraft, die die Kirche nicht mehr band, sind in ihn eingeflossen.“
Wenn man die potenzielle Schattenseite der brennenden Religion nicht genau beleuchtet, ist es höchstwahrscheinlich, dass man in deren Einflussbereich ist.
Die pathologische Form der Heimatlosigkeit ist das krankhafte Loslösen, einfach weil es nicht mehr auszuhalten ist. Versöhnung mit den Umständen und die Zufriedenheit in ihnen ist die Voraussetzung für deren Überwindung.
Heimatlosigkeit ist nicht gleichzusetzen mit innerweltlicher Gleichgültigkeit. Viele wollen dieses eschatologische Gefühl vermeiden und dies führt zu krampfhaften Versuchen, Halt zu finden im Gehäuse einer Weltanschauung, Religion, Menschengruppe oder einer Beziehung.
Nach-Gedanke
In unserer Zeit, wo sich die Orientierung vom Monopol der Kirche abgetrennt hat und jeder seine eigene Patchwork-Version der Religion kreiert, sind diese drei Unterscheidungsmerkmale sehr wesentlich. Und die Betrachtung derer legt ein Grundfundament des inneren Weges.
28. Januar 2010
eine Geschichte.....
Stellen wir uns vor, es hätte einmal vor langer Zeit eine Religion gegeben, die „das Gute“ hiess. Ihre Anhänger nannten sich „die Guten“ und der Stifter dieser Religion wurde als „der Beste“ verehrt. Es war eine Religion für alle, die niemanden ausschloss und Liebe zum Ursprung und allen Mitgeschöpfen lehrte.
Am Anfang war – wie in jeder Liebe – alles leicht. Jeder, der von dieser Religion erfuhr, empfand das innere Angerührtsein, die Berührung des Herzens und fühlte von innen her die Inspiration, sich auch dem Guten zuzuwenden, ein Guter zu werden. Wer will schon nicht gut sein? Wer glaubt nicht, dass er gut ist und wer glaubt nicht an das Gute? Jedenfalls niemand, der einigermassen normal ist.
Daraus folgte, dass mit denen, die aus unerfindlichen Gründen nicht zu den Guten gehören wollten, etwas nicht stimmte. Es konnte eigentlich nur daran liegen, dass sie über die Religion des Guten nicht richtig informiert worden waren. Oder aber – sie waren böse! Dass die Bösen vielleicht wirklich böse waren, merkte man auch daran, dass sie sagten, das Gute sei gar nicht gut, sondern in Wahrheit böse. Wie konnte man so etwas Widersinniges behaupten?
Da sich die Guten aufgrund der Zugehörigkeit zu den Guten als gut betrachteten und nicht aufgrund des Gut-seins, entstand die Gespaltenheit zu denen, die eben nicht dazu gehörten.
Bei den Guten fühlte man sich gut und bei den anderen eigentlich heimlich bedroht und in Frage gestellt. Einige der Guten sprachen offen darüber, dass sie eigentlich unsicher sind und deshalb die Distanz bräuchten. Die Abgrenzung gab ihnen ihre Identität als die Guten.
Die Nicht-guten haben das natürlich beobachtet, dass die ritualisierte äussere Form der Guten effektiv die eigentliche Essenz verdeckte – und genau diese Dynamik schreckte sie ab und sie betrachteten das ganze Theater als eine gewöhnliche disfunktionale Machtstruktur, die aber göttlich verklärt wurde. Die Guten interpretierten ihre Vorbehalte, sich den Guten anzuschliessen, als Anzeichen, dass sie nicht gut waren.
Seit also die Guten ihre eigene Religion hatten und sich die „Guten“ nannten, gab es auch die Bösen. Wie es sich für das Böse gehört, musste es bekämpft oder irgendwie zur Umkehr gezwungen werden. Die Widerstände wurden als Vorboten einer Verdammnis verstanden.
Zu den Bösen zählte auch jene Gruppe, die sich früher selbst einmal die Guten genannt hatten. Und obwohl sie sich untereinander nach wie vor so nannten und auch verstanden, waren sie für die „Guten“ doch eigentlich böse, denn sie hatten gewisse Zweifel am Gesamt-Glaubenspacket der „Guten“. Auf ihre Zweifel und Einwände ging niemand wirklich ein, da sie ja jetzt böse geworden waren und einfach zu vermeiden sind. Es hätte zudem Risse im Glaubensgebäude geben können und da wäre man vielleicht auch noch ein Böser geworden.
Mehr und mehr Menschen bekehrten sich nun zum Guten. Der Beste bekam einen Ruf, der seinem Namen alle Ehre machte. Der Tod des Besten hob ihn nun in eine Domäne der absoluten Perfektheit und alles, was der Beste getan und gesprochen hatte, wurde zur Maxime und zur Nachahmung empfohlen. Nur die Bösen empfanden diesen Kult als überidealisiert und nicht mehr ganz der Wahrheit entsprechend. Für sie war es eine religiöse Aufblähung, in dem die innere Führung zu stark ins Aussen verlegt wird.
Dass das Gute auch ohne das unmittelbare Wirken des Besten einen solchen Erfolg hatte, bestätigte die Guten darin, wahrhaft die Guten zu sein. Nur das wirklich Gute kann einen solchen Erfolg haben, nur das Wahre ist erfolgreich. Irgendwann in nicht allzu ferner Zeit würde das Gute auf der ganzen Welt herrschen und alle Menschen würden Gute geworden sein…
Doch als immer mehr Menschen zu Guten wurden, begannen sie, nicht mehr immer alle dasselbe Gute zu wollen und manche fingen an zu behaupten, sie wüssten, was unter allem Guten das Allerbeste sei. Aber warum sie es für das Bessere hielten, wussten sie selten zu sagen. Und wenn sie es zu sagen wussten, klang es nicht überzeugend. Es gab Konferenzen und Konzile, in welchen das Gute festgelegt wurde, aber auch Schismen und unzählige Splittergruppen, die unter dem Guten einfach etwas anderes verstanden.
In diesem unendlichen Durcheinander von Anschauungen, wussten die meisten gar nicht mehr, was sie jetzt als das Gute betrachten sollten. In dem Gewirr von Meinungen und Gegenmeinungen wussten die meisten gar nicht mehr, was sie nun glauben sollten. Das erstaunliche war, dass alle von sich behaupteten, das Gute wirklich zu kennen und die richtige Auslegungen des Guten zu haben.
Um seine Sicht zu rechtfertigen und bekräftigen, behauptete irgendwann einer, dass die anderen Meinungen überhaupt nicht mehr gut, sondern im Grunde genommen schon böse seien. Das fanden nun die derart beschimpften Guten selber ziemlich böse: Wer von den Guten sagte, sie seien böse, konnte kein Guter mehr sein, war also selber ein Böser.
Die Guten, obwohl sie an das Gute glaubten, wussten bald nicht mehr, was das Gute war. Zwar war jeder einzelne Gute nach wie vor davon überzeugt, dass er es wüsste, aber wenn er sich dann mit anderen darüber unterhielt und austauschte, musste er feststellen, dass sie etwas anderes für konnten eine ungeheure Verwirrung feststellen.
Das Volk, der einfache Gutmensch, war in diesen Fragen sehr arglos, da ihnen das Gute ja als Stütze für ihr Leben diente. Er glaubte alles naiv, wenn man ihm nur versicherte, dass es so gut war und so ist. Das war der Zeitpunkt, wo es ziemlich schlecht um das Gute stand.
Dieser peinliche, den Guten und der Idee des Guten so abträgliche Zustand war den Besseren unter den Guten natürlich schon länger aufgefallen. Sie sannen nach einer Lösung. Sie begriffen: Es hilft nichts, darüber zu diskutieren, was das bessere und das schlechtere Gute sei. Jeder glaubt, die besten Argumente für seine Sicht zu haben.
Wenn wir die Religion des Guten bewahren wollen, müssen wir einen anderen Weg finden, das Gute zu bestimmen. So besannen sie sich auf den Besten. Wenn wir ihn nachzuahmen suchen, können wir nichts falsch machen. Denn niemand kann ernsthaft behaupten, er selbst wüsste es besser als der Beste. Das Gute wurde daher festgelegt, sei das, was der Beste getan und gesprochen hat – und sonst nichts.
Daraufhin sammelten die Guten alles, was sie noch vom Besten wussten. Sie überprüften, ob die Nachrichten glaubwürdig waren und wer sie vermittelt hatte. Sie stellten Untersuchungen an über die Glaubwürdigkeit der Übermittler. Sie sammelten und sammelten, und als sie genug aus dem Leben des Besten zutage gefördert hatten, beschlossen sie, es sei nun genug, und ordneten alles zu dicken Büchern. So gelang den Guten, das Gute zu definieren und für immer festzuschreiben. Und fortan machten sie alles genauso, wie sie glaubten herausgefunden zu haben, dass es auch der Beste auf diese Weise getan hätte.
Unter dem Deckmantel des Guten geschahen nun auch viele bösen Dinge, die eigentlich nur dem Eigennutz dienten. Und viele ehemalige Gute konnten nicht mehr und wollten auch nicht mehr zu den Guten gehören. Da sie die Anführer der Guten für Scharlatane erklärten, wurden sie als böse eingestuft. In dieser alten Rivalität hielten sich diejenigen, die aus der Sicht der Guten die Bösen waren, nach wie vor für gut und sogar noch als besser als die Guten.
Sie beobachteten, was die Guten unter Berufung auf den Besten taten und für gut befanden, hätte niemand, nicht einmal ein Guter, getan oder gut befunden, wenn es nicht angeblich der Beste getan hätte. Die Guten taten wegen dem Besten Dinge, die gar nicht gut waren. Nur weil er es getan hatte. Konnte das, was ungerecht war, gut sein, nur weil es der Beste ebenfalls getan hatte?
Natürlich gab es auch darin ernsthafte Geister, denen es wirklich um das Gute ging und um nichts sonst.
Die Guten glaubten tief im Grunde eigentlich nicht wirklich daran und wenn sie daran glaubten, handelten sie nicht danach. Am Ende machten sie immer das, was sie zu tun gewohnt waren und was ihnen nützte, ganz egal, ob es nun gut oder gerecht oder wahr war oder eben nicht.
Da viele Gute wirklich glaubten, im alleinigen Besitz des Guten zu sein, legitimierte dies natürlich die gewaltsame Bekehrung der Bösen. Diese dunkle Historizität der Guten liess viele Menschen die Guten verlassen und sich auf die Suche nach ihrem eigenen Guten machen. Das Thema des Guten wurde privatisiert und jeder begann, seine eigene Patchwork-Version vom Guten zu haben.
Diese Geschichte ist endlos. Wer Wahrheit hinter dem Gerede aufrichtig sucht, verlässt sie. Sie erkennen, dass das Wichtigste am Guten das Gutsein ist, das Prinzip des Guten und dies hat nicht viel gemeinsam mit dem, was die Guten gemacht haben und die Bösen bekämpften.
„Wenn deine Erkenntnis-Kraft aus dem dicken Wald der Verblendung herausgetreten ist, wirst du gleichgültig werden gegenüber allem, was gehört wurde und was noch zu hören ist (über diese Welt und die nächste).
Wenn die Vernunft nicht mehr von den heiligen Schriften verwirrt wird (von deren verschiedensten Interpretationen), und unbeirrt in tiefer Versenkung (Samadhi) bewegnungslos verharrt, erst dann wirst du yoga (die Beziehung zu Krishna) erlangen.“ Bhagavad gita 2.52-53
Am Anfang war – wie in jeder Liebe – alles leicht. Jeder, der von dieser Religion erfuhr, empfand das innere Angerührtsein, die Berührung des Herzens und fühlte von innen her die Inspiration, sich auch dem Guten zuzuwenden, ein Guter zu werden. Wer will schon nicht gut sein? Wer glaubt nicht, dass er gut ist und wer glaubt nicht an das Gute? Jedenfalls niemand, der einigermassen normal ist.
Daraus folgte, dass mit denen, die aus unerfindlichen Gründen nicht zu den Guten gehören wollten, etwas nicht stimmte. Es konnte eigentlich nur daran liegen, dass sie über die Religion des Guten nicht richtig informiert worden waren. Oder aber – sie waren böse! Dass die Bösen vielleicht wirklich böse waren, merkte man auch daran, dass sie sagten, das Gute sei gar nicht gut, sondern in Wahrheit böse. Wie konnte man so etwas Widersinniges behaupten?
Da sich die Guten aufgrund der Zugehörigkeit zu den Guten als gut betrachteten und nicht aufgrund des Gut-seins, entstand die Gespaltenheit zu denen, die eben nicht dazu gehörten.
Bei den Guten fühlte man sich gut und bei den anderen eigentlich heimlich bedroht und in Frage gestellt. Einige der Guten sprachen offen darüber, dass sie eigentlich unsicher sind und deshalb die Distanz bräuchten. Die Abgrenzung gab ihnen ihre Identität als die Guten.
Die Nicht-guten haben das natürlich beobachtet, dass die ritualisierte äussere Form der Guten effektiv die eigentliche Essenz verdeckte – und genau diese Dynamik schreckte sie ab und sie betrachteten das ganze Theater als eine gewöhnliche disfunktionale Machtstruktur, die aber göttlich verklärt wurde. Die Guten interpretierten ihre Vorbehalte, sich den Guten anzuschliessen, als Anzeichen, dass sie nicht gut waren.
Seit also die Guten ihre eigene Religion hatten und sich die „Guten“ nannten, gab es auch die Bösen. Wie es sich für das Böse gehört, musste es bekämpft oder irgendwie zur Umkehr gezwungen werden. Die Widerstände wurden als Vorboten einer Verdammnis verstanden.
Zu den Bösen zählte auch jene Gruppe, die sich früher selbst einmal die Guten genannt hatten. Und obwohl sie sich untereinander nach wie vor so nannten und auch verstanden, waren sie für die „Guten“ doch eigentlich böse, denn sie hatten gewisse Zweifel am Gesamt-Glaubenspacket der „Guten“. Auf ihre Zweifel und Einwände ging niemand wirklich ein, da sie ja jetzt böse geworden waren und einfach zu vermeiden sind. Es hätte zudem Risse im Glaubensgebäude geben können und da wäre man vielleicht auch noch ein Böser geworden.
Mehr und mehr Menschen bekehrten sich nun zum Guten. Der Beste bekam einen Ruf, der seinem Namen alle Ehre machte. Der Tod des Besten hob ihn nun in eine Domäne der absoluten Perfektheit und alles, was der Beste getan und gesprochen hatte, wurde zur Maxime und zur Nachahmung empfohlen. Nur die Bösen empfanden diesen Kult als überidealisiert und nicht mehr ganz der Wahrheit entsprechend. Für sie war es eine religiöse Aufblähung, in dem die innere Führung zu stark ins Aussen verlegt wird.
Dass das Gute auch ohne das unmittelbare Wirken des Besten einen solchen Erfolg hatte, bestätigte die Guten darin, wahrhaft die Guten zu sein. Nur das wirklich Gute kann einen solchen Erfolg haben, nur das Wahre ist erfolgreich. Irgendwann in nicht allzu ferner Zeit würde das Gute auf der ganzen Welt herrschen und alle Menschen würden Gute geworden sein…
Doch als immer mehr Menschen zu Guten wurden, begannen sie, nicht mehr immer alle dasselbe Gute zu wollen und manche fingen an zu behaupten, sie wüssten, was unter allem Guten das Allerbeste sei. Aber warum sie es für das Bessere hielten, wussten sie selten zu sagen. Und wenn sie es zu sagen wussten, klang es nicht überzeugend. Es gab Konferenzen und Konzile, in welchen das Gute festgelegt wurde, aber auch Schismen und unzählige Splittergruppen, die unter dem Guten einfach etwas anderes verstanden.
In diesem unendlichen Durcheinander von Anschauungen, wussten die meisten gar nicht mehr, was sie jetzt als das Gute betrachten sollten. In dem Gewirr von Meinungen und Gegenmeinungen wussten die meisten gar nicht mehr, was sie nun glauben sollten. Das erstaunliche war, dass alle von sich behaupteten, das Gute wirklich zu kennen und die richtige Auslegungen des Guten zu haben.
Um seine Sicht zu rechtfertigen und bekräftigen, behauptete irgendwann einer, dass die anderen Meinungen überhaupt nicht mehr gut, sondern im Grunde genommen schon böse seien. Das fanden nun die derart beschimpften Guten selber ziemlich böse: Wer von den Guten sagte, sie seien böse, konnte kein Guter mehr sein, war also selber ein Böser.
Die Guten, obwohl sie an das Gute glaubten, wussten bald nicht mehr, was das Gute war. Zwar war jeder einzelne Gute nach wie vor davon überzeugt, dass er es wüsste, aber wenn er sich dann mit anderen darüber unterhielt und austauschte, musste er feststellen, dass sie etwas anderes für konnten eine ungeheure Verwirrung feststellen.
Das Volk, der einfache Gutmensch, war in diesen Fragen sehr arglos, da ihnen das Gute ja als Stütze für ihr Leben diente. Er glaubte alles naiv, wenn man ihm nur versicherte, dass es so gut war und so ist. Das war der Zeitpunkt, wo es ziemlich schlecht um das Gute stand.
Dieser peinliche, den Guten und der Idee des Guten so abträgliche Zustand war den Besseren unter den Guten natürlich schon länger aufgefallen. Sie sannen nach einer Lösung. Sie begriffen: Es hilft nichts, darüber zu diskutieren, was das bessere und das schlechtere Gute sei. Jeder glaubt, die besten Argumente für seine Sicht zu haben.
Wenn wir die Religion des Guten bewahren wollen, müssen wir einen anderen Weg finden, das Gute zu bestimmen. So besannen sie sich auf den Besten. Wenn wir ihn nachzuahmen suchen, können wir nichts falsch machen. Denn niemand kann ernsthaft behaupten, er selbst wüsste es besser als der Beste. Das Gute wurde daher festgelegt, sei das, was der Beste getan und gesprochen hat – und sonst nichts.
Daraufhin sammelten die Guten alles, was sie noch vom Besten wussten. Sie überprüften, ob die Nachrichten glaubwürdig waren und wer sie vermittelt hatte. Sie stellten Untersuchungen an über die Glaubwürdigkeit der Übermittler. Sie sammelten und sammelten, und als sie genug aus dem Leben des Besten zutage gefördert hatten, beschlossen sie, es sei nun genug, und ordneten alles zu dicken Büchern. So gelang den Guten, das Gute zu definieren und für immer festzuschreiben. Und fortan machten sie alles genauso, wie sie glaubten herausgefunden zu haben, dass es auch der Beste auf diese Weise getan hätte.
Unter dem Deckmantel des Guten geschahen nun auch viele bösen Dinge, die eigentlich nur dem Eigennutz dienten. Und viele ehemalige Gute konnten nicht mehr und wollten auch nicht mehr zu den Guten gehören. Da sie die Anführer der Guten für Scharlatane erklärten, wurden sie als böse eingestuft. In dieser alten Rivalität hielten sich diejenigen, die aus der Sicht der Guten die Bösen waren, nach wie vor für gut und sogar noch als besser als die Guten.
Sie beobachteten, was die Guten unter Berufung auf den Besten taten und für gut befanden, hätte niemand, nicht einmal ein Guter, getan oder gut befunden, wenn es nicht angeblich der Beste getan hätte. Die Guten taten wegen dem Besten Dinge, die gar nicht gut waren. Nur weil er es getan hatte. Konnte das, was ungerecht war, gut sein, nur weil es der Beste ebenfalls getan hatte?
Natürlich gab es auch darin ernsthafte Geister, denen es wirklich um das Gute ging und um nichts sonst.
Die Guten glaubten tief im Grunde eigentlich nicht wirklich daran und wenn sie daran glaubten, handelten sie nicht danach. Am Ende machten sie immer das, was sie zu tun gewohnt waren und was ihnen nützte, ganz egal, ob es nun gut oder gerecht oder wahr war oder eben nicht.
Da viele Gute wirklich glaubten, im alleinigen Besitz des Guten zu sein, legitimierte dies natürlich die gewaltsame Bekehrung der Bösen. Diese dunkle Historizität der Guten liess viele Menschen die Guten verlassen und sich auf die Suche nach ihrem eigenen Guten machen. Das Thema des Guten wurde privatisiert und jeder begann, seine eigene Patchwork-Version vom Guten zu haben.
Diese Geschichte ist endlos. Wer Wahrheit hinter dem Gerede aufrichtig sucht, verlässt sie. Sie erkennen, dass das Wichtigste am Guten das Gutsein ist, das Prinzip des Guten und dies hat nicht viel gemeinsam mit dem, was die Guten gemacht haben und die Bösen bekämpften.
„Wenn deine Erkenntnis-Kraft aus dem dicken Wald der Verblendung herausgetreten ist, wirst du gleichgültig werden gegenüber allem, was gehört wurde und was noch zu hören ist (über diese Welt und die nächste).
Wenn die Vernunft nicht mehr von den heiligen Schriften verwirrt wird (von deren verschiedensten Interpretationen), und unbeirrt in tiefer Versenkung (Samadhi) bewegnungslos verharrt, erst dann wirst du yoga (die Beziehung zu Krishna) erlangen.“ Bhagavad gita 2.52-53
18. September 2009
Sri Krishna ist nicht vor 5000 Jahren erschienen
-eine Betrachtung
Indische Götterbeschreibungen sind für gewöhnliche Menschen sehr verwirrend. Da tauchen Wesen mit grüner, roter oder eben blauer Hautfarbe auf. Manchmal mit mehreren Köpfen. Es werden Wesen beschrieben, die tausende von Jahren leben, in den Himmeln fliegen und ihre äussere Erscheinungsform nach Belieben zu verändern vermögen.
Es ist umso erstaunlicher, wenn man von den Geweihten Krishnas erfährt, dass die innere Reflektion und das Gedenken an solche offenbarten Beschreibungen (lila-katha), die Essenz der Theopraxis (der spirituellen Übung) des Krishnabewusstseins darstellt.
Vor einigen Jahren wurde ich an der Universität Zürich von einem Professor gefragt, ob ich denn wirklich an diese Beschreibungen glaube. „Sind diese Beschreibungen symbolisch oder ist das wahr? Ist dies alles eine Allegorie, die ein Etwas jenseits von Worten beschreibt? Oder glaubst du als Mensch mit einer Schulbildung effektiv an all diese vielköpfigen Geschöpfe mit vielen Armen aus deren Nabel Lotosblumen wachsen? Ich habe mich dazumals geschämt, „Ja“ zu sagen.
Das ist aber eine wunderbare Frage. Die Frage muss jedoch in einen Zusammenhang gestellt werden.
Wenn wir an etwas denken, dann tun wir das in Kategorien unserer Erfahrung: Wahrheit, Tatsache, Fiktion, Mythologie, Wirklichkeit, Symbolismus…und wir glauben, eine genau Vorstellung von diesen Denk-Kategorien zu haben.
Aber all unsere Gedanken-Kraft und unser gesamtes Vermögen zu verstehen und all unsere Gedanken-Prozesse, unsere Standpunkte basieren auf Grund-Annahmen, die nicht wirklich sind.
Am Anfang des inneren Weges steht deshalb immer die Einladung zur radikalen Entgrümpelung unserer Vorstellungen und Denkmuster (Bhagavad gita 2.11). Auf unserer Suche nach Begrenzung, die wir „unseren Standpunkt“ nennen, suchen wir immer wieder nach Orientierungspunkten, nach Bezugsmöglichkeiten, nach Strohhalmen, an denen sich das Ich wieder festhalten kann. Somit wird Vertiefung verunmöglicht. Wir haben gar nicht gemerkt, wie das bedingte Ich die Begriffe „wahr“ und unwahr“ für sich vereinnahmt hat.
Ich möchte ein paar Beispiele geben.
Dieser Körper ist nicht das Selbst. Wir sind eine Seele, die kein einziger Berührungspunkt mit allen Erlebnissen und Erfahrungen in dieser Welt hat. Aber Tag für Tag – und dies seit unvorherdenklicher Zeit – identifizieren wir uns mit diesem Rollenspiel des Körpers und denken, wir seien Mann oder Frau, gesund oder krank und wir glauben, wir würden älter werden. Die Seele wird nicht von Zeit berührt, aber weil dieses Denken angewöhnt ist, leben wir weiterhin ausserhalb unserer Identität und dies bedeutet: in einer verzerrten Wahrnehmung. Unsere Vernunft ist zusammengesetzt aus Ideen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen.
Wir glauben, etwas zu besitzen. Das Ich hat alles in Besitz genommen: meine Beziehung, meinen Partner, mein Kind, meine Gedanken, meine Gefühle, mein Haus, meine Güter, meine Heimat, meine Welt.
Wenn man innerlich das Gefühl hat, mehr zu wiegen als eine Feder, so trägt man eine Last, die einem nicht gehört. Und erstickt unter dem Gewicht, das schwerer wiegt als ein Fels.
Hat man sich selber wirklich schon einmal die Wahrheit darüber gesagt, wie man sich fühlt mit all diesem Besitz?
Mit Sicherheit schwerer als eine Feder.
Das Gefühl von Besitz ist völlig falsch – aber diese Idee durchzieht unser Bewusstsein und unser Denken und die Perspektive zur Wirklichkeit ist genau davon vernebelt.
Isavasyam idam sarvam (Isopanishad 1) „Alles im gesamten Universum, mich selber inbegriffen, gehört Gott.“ Aber wir stellen Besitzansprüche und leiden an der Bewusstseinsverzerrung.
Wir haben ein materielles Identitätsgefühl und denken, wir würden so viel tun. Aber Krishna erklärt in der Gita (3.27):
„Durch die Erscheinungsweisen der materiellen Natur werden alle Handlungen überall vollzogen.
Wer vom Ich-Gefühl (von Identifikation mit dem Körper) verblendet ist, meint, er selbst sei der Vollbringer einer Handlung.“
Die Erscheinungsweisen der materiellen Natur fluktuieren und kreieren unbegrenzte Blasen (alle Phänomene der Zeitweiligkeit) auf dem Ozean materieller Energie – aber das verwirrte Lebewesen denkt, es sei selbst der alleinige Ausführer von Handlungen. Wir gleichen ein paar Strohhalmen, welche in einem grossen Fluss vor sich hintreiben. Wie komisch wäre es, wenn sie denken würden „Ich gehe nun hier oder dort hin und erreiche so viel, habe Errungenschaften und Gewinne, die ich für mich beanspruche….“
Illusionäre Wahrnehmung verunmöglicht aber den Einblick in die Realität.
Wir denken, wir seien der Bhokta, der Geniesser und unser Leben sei für unseren persönlichen Genuss bestimmt. Dies ist das grundlegendste aller Missverständnisse.
Krishna erklärt in der Gita, dass alle Tätigkeiten letztlich nur für seine Freude bestimmt sind völlig unabhängig vom eigenen Freud und Leid, das dabei resultieren möge. Und nur in der tiefen Akzeptanz dessen und dem praktischen Applizieren dieser Erkenntnis ist Friede möglich. (5.29 / 9.24)
In den Religionen wird Gott meistens betrachtet als Schöpfer und Erhalter dieser Welt, dem keine separate Existenz jenseits seiner Schöpfung zugestanden wird oder welche zumindest nicht im Hauptfokus steht.
Radha-krishna-bhakti setzt genau da an. Da ist Gott nicht mehr Schöpfer. Zwar durchdringt er alles, aber der Aspekt seiner Allmacht und Allgegenwart ist nur ein äusserlicher. Sein wahres Sein ist in Vrindavan – dort, wo er geboren wurde. Dort geniesst er den Austausch der Liebe. Gott ist unendlich glücklich.
Es geht nicht primär darum, Gott in sein eigenes Leben hinein zu beziehen, sondern vielmehr sich selbst in das Leben Gottes zu beziehen. Als der österreichische Schriftsteller Walter Eidlitz in den 30 er Jahren des letzten Jahrhunderts die indische Gottesliebe kennen lernte, sprach er von einer "erstaunlichen und für den westlichen Menschen erschreckenden Theozentrik". Es geht um die Freude Gottes unabhängig von seinem eigenen Wohl oder Weh und man ist selber nicht der Bhokta, der primäre Geniesser, der Welt und ihren fluktuierenden Phänomenen.
Unser gesamtes Denken und unsere Weltwahrnehmung sind durchdrungen und zusammengesetzt von Denkweisen und Grundannahmen, die nicht real sind. Die Denkvorgänge sind konditioniert durch die materiellen Erfahrungen aus unzähligen Leben.
Im täglichen Leben bemühen wir uns, frei von Vorurteilen zu sein, aber jeder einzelne Gedanke, der sich in diesen Bahnen bewegt, ist nichts anderes als ein Vorurteil.
Wenn nun jemand fragt, ob dieses Krishna-lila (die Gespräche über Krishna) Mythologie und Allegorie seien, oder ob es „wahr“ sei - dann müssen zuerst die gesamten Kategorien des Verständnisses von Wahrheit grundlegend in Frage gestellt werden.
Sind all die Ideen, welche man in seinem Geist trägt, wahr?
Wir haben unsere Erfahrung der Zeit – Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit.
Sri Krishna erklärt in der Gita (2.16):
„Es gibt keine Existenz in dem, was vergeht. Zeitweilige Dinge existieren nicht.
Und nie hat es Inexistenz gegeben von dem, was ewig ist.“
Im Alltagsbewusstsein orientiert man sich aber praktisch die ganze Zeit am Nicht-Ewigen und ist aufgewühlt an vorbeiziehenden Phänomenen und deren Bewertungen.
Ist Krishna-lila wahr? Was ist das Verständnis von „wahr“, welches die Person in sich trägt? Es sind Ideen der Verbindung mit dem Zeitweiligen, die gemäss Sri Krishna eben nicht existieren, also nicht „wahr“ sind.
Krishna-lila ist nicht Allegorie, da es ein Hereinbrechen der Ewigkeit in unsere Welt hinein ist. Und es ist auch nicht Historie, da es nie im Fluss der materiellen Zeit statt gefunden hat.
Als ich vor vielen Jahren in Vrindavan war, erlebte ich starke Gefühle der Ergebung, als ich mich erinnerte, dass Sri Krishna hier vor 5000 Jahren erschienen sei.
Sadhus haben mich dann belehrt, dass Krishnas lila nie stattgefunden hat im Fluss der materiellen Zeit, der weltlichen Geschichte und Krishna nicht vor 5000 Jahren hier auf Erden gewesen sei. Es machte mich traurig zu hören, dass es also gar nicht stattgefunden hatte. Sie sagten dann weiter: „Krishnas Lila findet ewig statt in jedem Moment, gerade jetzt – denn es ist ewige Realität. So wie jeder Moment unseres Lebens vorbeigeht und irreversibel der Vergangenheit angehört, so ist Krishnas lila nie vorbei, sondern jeder einzelne Moment im Krishna-lila bleibt ewig bestehen.“ Krishnas Geburt ist der Einbruch der Ewigkeit inmitten unserer Zeit hinein.
Es ist nicht staubige Geschichte, sondern ewige Realität und es wird zugänglich, wenn man von verwirklichten Heiligen darüber hört.
Sri Krishna Janmastami ist das Fest, in welchem man sich nicht nur an Krishnas Erscheinen erinnert – sondern auch seine eigene Zugehörigkeit zur Ewigkeit feiert.
Die Teilnehmer des Festes werden zu Zeitgenossen des mystischen Ereignisses.
Anders gesagt: sie treten aus ihrer historischen Zeit heraus, heraus aus der Zeit, die sich aus der Summe der profanen, persönlichen und zwischenpersönlichen Ereignissen konstituiert und finden zurück in eine primordiale Zeit, die immer dieselbe ist, die Ewigkeit ist. Der religiöse Mensch mündet anfänglich periodisch (in den Zeiten der Meditation oder den heiligen Festen) in diese heilige Zeit ein, die nicht "abläuft", sondern die die im gewöhnlichen Leben oft ausgeblendete ewige Gegenwart ist, eben Wirklichkeit.
Alles verdankt seine Existenz Gott. Der Ursprung von allem - auch von unserem Leben - ist religiös.
Das heilige Fest bewahrt einen davor, das effektiv Wesentliche nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Es ist die Erinnerung daran, dass die Existenz ein Geschenk Gottes ist. Das Fest stellt die sakrale Dimension unseres Lebens wieder her, die in der Turbulenz der Alltagsarrangierungen in Gefahr ist, ausgeblendet zu werden.
Das heilige Fest ist eine Rückkehr an ein Ereignis (das Erscheinen Gottes innerhalb seiner eigenen Schöpfung), welches nichts Historisches hat, sondern Ewigkeit ist.
Das Bedürfnis des Menschen, diese heiligen Ereignisse in seinem Leben zu wiederholen, wiederzubeleben, entspringt seinem Urbedürfnis, das alle Bestreben durchzieht - die Nähe zu Radha Krishna.
Im Fest bricht Krishnas Ewigkeit in unsere Zeit hinein. Fest ist Unterbrechung der Arbeit, des Nutzbringenden, des Kalkulierbaren. Das Fest ist zeitlos und zweckfrei. Darin werden wir herausgehoben aus dem blossen Funktionieren, aus der Hektik des Alltags. Das Fest ist gekennzeichnet von Mühelosigkeit und Leichtigkeit und vermittelt so eine Ahnung des lila.
Wenn das Zentrum von allem nicht in der zentralen Ausrichtung seines eigenen Bewusstseins ist, dann wird die Gestaltung der Feste künstlich und eine noch atemlosere Form der Arbeit. Das zentrale Anliegen des heiligen Festes ist Erinnerung an Sri Krishna.
Was ist der Effekt der Erinnerung daran? Alle Misskonzepte, die der Mensch in sich trägt - die Idee, etwas zu besitzen, der Glaube, Dinge zu kontrollieren, die Identifikation mit dem Körper und den Gedankenstrukturen, in welchen man glaubt, man existiere innerhalb der materiellen Zeit und sei der Geniesser der Umstände – werden aufgelöst.
Indische Götterbeschreibungen sind für gewöhnliche Menschen sehr verwirrend. Da tauchen Wesen mit grüner, roter oder eben blauer Hautfarbe auf. Manchmal mit mehreren Köpfen. Es werden Wesen beschrieben, die tausende von Jahren leben, in den Himmeln fliegen und ihre äussere Erscheinungsform nach Belieben zu verändern vermögen.
Es ist umso erstaunlicher, wenn man von den Geweihten Krishnas erfährt, dass die innere Reflektion und das Gedenken an solche offenbarten Beschreibungen (lila-katha), die Essenz der Theopraxis (der spirituellen Übung) des Krishnabewusstseins darstellt.
Vor einigen Jahren wurde ich an der Universität Zürich von einem Professor gefragt, ob ich denn wirklich an diese Beschreibungen glaube. „Sind diese Beschreibungen symbolisch oder ist das wahr? Ist dies alles eine Allegorie, die ein Etwas jenseits von Worten beschreibt? Oder glaubst du als Mensch mit einer Schulbildung effektiv an all diese vielköpfigen Geschöpfe mit vielen Armen aus deren Nabel Lotosblumen wachsen? Ich habe mich dazumals geschämt, „Ja“ zu sagen.
Das ist aber eine wunderbare Frage. Die Frage muss jedoch in einen Zusammenhang gestellt werden.
Wenn wir an etwas denken, dann tun wir das in Kategorien unserer Erfahrung: Wahrheit, Tatsache, Fiktion, Mythologie, Wirklichkeit, Symbolismus…und wir glauben, eine genau Vorstellung von diesen Denk-Kategorien zu haben.
Aber all unsere Gedanken-Kraft und unser gesamtes Vermögen zu verstehen und all unsere Gedanken-Prozesse, unsere Standpunkte basieren auf Grund-Annahmen, die nicht wirklich sind.
Am Anfang des inneren Weges steht deshalb immer die Einladung zur radikalen Entgrümpelung unserer Vorstellungen und Denkmuster (Bhagavad gita 2.11). Auf unserer Suche nach Begrenzung, die wir „unseren Standpunkt“ nennen, suchen wir immer wieder nach Orientierungspunkten, nach Bezugsmöglichkeiten, nach Strohhalmen, an denen sich das Ich wieder festhalten kann. Somit wird Vertiefung verunmöglicht. Wir haben gar nicht gemerkt, wie das bedingte Ich die Begriffe „wahr“ und unwahr“ für sich vereinnahmt hat.
Ich möchte ein paar Beispiele geben.
Dieser Körper ist nicht das Selbst. Wir sind eine Seele, die kein einziger Berührungspunkt mit allen Erlebnissen und Erfahrungen in dieser Welt hat. Aber Tag für Tag – und dies seit unvorherdenklicher Zeit – identifizieren wir uns mit diesem Rollenspiel des Körpers und denken, wir seien Mann oder Frau, gesund oder krank und wir glauben, wir würden älter werden. Die Seele wird nicht von Zeit berührt, aber weil dieses Denken angewöhnt ist, leben wir weiterhin ausserhalb unserer Identität und dies bedeutet: in einer verzerrten Wahrnehmung. Unsere Vernunft ist zusammengesetzt aus Ideen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen.
Wir glauben, etwas zu besitzen. Das Ich hat alles in Besitz genommen: meine Beziehung, meinen Partner, mein Kind, meine Gedanken, meine Gefühle, mein Haus, meine Güter, meine Heimat, meine Welt.
Wenn man innerlich das Gefühl hat, mehr zu wiegen als eine Feder, so trägt man eine Last, die einem nicht gehört. Und erstickt unter dem Gewicht, das schwerer wiegt als ein Fels.
Hat man sich selber wirklich schon einmal die Wahrheit darüber gesagt, wie man sich fühlt mit all diesem Besitz?
Mit Sicherheit schwerer als eine Feder.
Das Gefühl von Besitz ist völlig falsch – aber diese Idee durchzieht unser Bewusstsein und unser Denken und die Perspektive zur Wirklichkeit ist genau davon vernebelt.
Isavasyam idam sarvam (Isopanishad 1) „Alles im gesamten Universum, mich selber inbegriffen, gehört Gott.“ Aber wir stellen Besitzansprüche und leiden an der Bewusstseinsverzerrung.
Wir haben ein materielles Identitätsgefühl und denken, wir würden so viel tun. Aber Krishna erklärt in der Gita (3.27):
„Durch die Erscheinungsweisen der materiellen Natur werden alle Handlungen überall vollzogen.
Wer vom Ich-Gefühl (von Identifikation mit dem Körper) verblendet ist, meint, er selbst sei der Vollbringer einer Handlung.“
Die Erscheinungsweisen der materiellen Natur fluktuieren und kreieren unbegrenzte Blasen (alle Phänomene der Zeitweiligkeit) auf dem Ozean materieller Energie – aber das verwirrte Lebewesen denkt, es sei selbst der alleinige Ausführer von Handlungen. Wir gleichen ein paar Strohhalmen, welche in einem grossen Fluss vor sich hintreiben. Wie komisch wäre es, wenn sie denken würden „Ich gehe nun hier oder dort hin und erreiche so viel, habe Errungenschaften und Gewinne, die ich für mich beanspruche….“
Illusionäre Wahrnehmung verunmöglicht aber den Einblick in die Realität.
Wir denken, wir seien der Bhokta, der Geniesser und unser Leben sei für unseren persönlichen Genuss bestimmt. Dies ist das grundlegendste aller Missverständnisse.
Krishna erklärt in der Gita, dass alle Tätigkeiten letztlich nur für seine Freude bestimmt sind völlig unabhängig vom eigenen Freud und Leid, das dabei resultieren möge. Und nur in der tiefen Akzeptanz dessen und dem praktischen Applizieren dieser Erkenntnis ist Friede möglich. (5.29 / 9.24)
In den Religionen wird Gott meistens betrachtet als Schöpfer und Erhalter dieser Welt, dem keine separate Existenz jenseits seiner Schöpfung zugestanden wird oder welche zumindest nicht im Hauptfokus steht.
Radha-krishna-bhakti setzt genau da an. Da ist Gott nicht mehr Schöpfer. Zwar durchdringt er alles, aber der Aspekt seiner Allmacht und Allgegenwart ist nur ein äusserlicher. Sein wahres Sein ist in Vrindavan – dort, wo er geboren wurde. Dort geniesst er den Austausch der Liebe. Gott ist unendlich glücklich.
Es geht nicht primär darum, Gott in sein eigenes Leben hinein zu beziehen, sondern vielmehr sich selbst in das Leben Gottes zu beziehen. Als der österreichische Schriftsteller Walter Eidlitz in den 30 er Jahren des letzten Jahrhunderts die indische Gottesliebe kennen lernte, sprach er von einer "erstaunlichen und für den westlichen Menschen erschreckenden Theozentrik". Es geht um die Freude Gottes unabhängig von seinem eigenen Wohl oder Weh und man ist selber nicht der Bhokta, der primäre Geniesser, der Welt und ihren fluktuierenden Phänomenen.
Unser gesamtes Denken und unsere Weltwahrnehmung sind durchdrungen und zusammengesetzt von Denkweisen und Grundannahmen, die nicht real sind. Die Denkvorgänge sind konditioniert durch die materiellen Erfahrungen aus unzähligen Leben.
Im täglichen Leben bemühen wir uns, frei von Vorurteilen zu sein, aber jeder einzelne Gedanke, der sich in diesen Bahnen bewegt, ist nichts anderes als ein Vorurteil.
Wenn nun jemand fragt, ob dieses Krishna-lila (die Gespräche über Krishna) Mythologie und Allegorie seien, oder ob es „wahr“ sei - dann müssen zuerst die gesamten Kategorien des Verständnisses von Wahrheit grundlegend in Frage gestellt werden.
Sind all die Ideen, welche man in seinem Geist trägt, wahr?
Wir haben unsere Erfahrung der Zeit – Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit.
Sri Krishna erklärt in der Gita (2.16):
„Es gibt keine Existenz in dem, was vergeht. Zeitweilige Dinge existieren nicht.
Und nie hat es Inexistenz gegeben von dem, was ewig ist.“
Im Alltagsbewusstsein orientiert man sich aber praktisch die ganze Zeit am Nicht-Ewigen und ist aufgewühlt an vorbeiziehenden Phänomenen und deren Bewertungen.
Ist Krishna-lila wahr? Was ist das Verständnis von „wahr“, welches die Person in sich trägt? Es sind Ideen der Verbindung mit dem Zeitweiligen, die gemäss Sri Krishna eben nicht existieren, also nicht „wahr“ sind.
Krishna-lila ist nicht Allegorie, da es ein Hereinbrechen der Ewigkeit in unsere Welt hinein ist. Und es ist auch nicht Historie, da es nie im Fluss der materiellen Zeit statt gefunden hat.
Als ich vor vielen Jahren in Vrindavan war, erlebte ich starke Gefühle der Ergebung, als ich mich erinnerte, dass Sri Krishna hier vor 5000 Jahren erschienen sei.
Sadhus haben mich dann belehrt, dass Krishnas lila nie stattgefunden hat im Fluss der materiellen Zeit, der weltlichen Geschichte und Krishna nicht vor 5000 Jahren hier auf Erden gewesen sei. Es machte mich traurig zu hören, dass es also gar nicht stattgefunden hatte. Sie sagten dann weiter: „Krishnas Lila findet ewig statt in jedem Moment, gerade jetzt – denn es ist ewige Realität. So wie jeder Moment unseres Lebens vorbeigeht und irreversibel der Vergangenheit angehört, so ist Krishnas lila nie vorbei, sondern jeder einzelne Moment im Krishna-lila bleibt ewig bestehen.“ Krishnas Geburt ist der Einbruch der Ewigkeit inmitten unserer Zeit hinein.
Es ist nicht staubige Geschichte, sondern ewige Realität und es wird zugänglich, wenn man von verwirklichten Heiligen darüber hört.
Sri Krishna Janmastami ist das Fest, in welchem man sich nicht nur an Krishnas Erscheinen erinnert – sondern auch seine eigene Zugehörigkeit zur Ewigkeit feiert.
Die Teilnehmer des Festes werden zu Zeitgenossen des mystischen Ereignisses.
Anders gesagt: sie treten aus ihrer historischen Zeit heraus, heraus aus der Zeit, die sich aus der Summe der profanen, persönlichen und zwischenpersönlichen Ereignissen konstituiert und finden zurück in eine primordiale Zeit, die immer dieselbe ist, die Ewigkeit ist. Der religiöse Mensch mündet anfänglich periodisch (in den Zeiten der Meditation oder den heiligen Festen) in diese heilige Zeit ein, die nicht "abläuft", sondern die die im gewöhnlichen Leben oft ausgeblendete ewige Gegenwart ist, eben Wirklichkeit.
Alles verdankt seine Existenz Gott. Der Ursprung von allem - auch von unserem Leben - ist religiös.
Das heilige Fest bewahrt einen davor, das effektiv Wesentliche nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Es ist die Erinnerung daran, dass die Existenz ein Geschenk Gottes ist. Das Fest stellt die sakrale Dimension unseres Lebens wieder her, die in der Turbulenz der Alltagsarrangierungen in Gefahr ist, ausgeblendet zu werden.
Das heilige Fest ist eine Rückkehr an ein Ereignis (das Erscheinen Gottes innerhalb seiner eigenen Schöpfung), welches nichts Historisches hat, sondern Ewigkeit ist.
Das Bedürfnis des Menschen, diese heiligen Ereignisse in seinem Leben zu wiederholen, wiederzubeleben, entspringt seinem Urbedürfnis, das alle Bestreben durchzieht - die Nähe zu Radha Krishna.
Im Fest bricht Krishnas Ewigkeit in unsere Zeit hinein. Fest ist Unterbrechung der Arbeit, des Nutzbringenden, des Kalkulierbaren. Das Fest ist zeitlos und zweckfrei. Darin werden wir herausgehoben aus dem blossen Funktionieren, aus der Hektik des Alltags. Das Fest ist gekennzeichnet von Mühelosigkeit und Leichtigkeit und vermittelt so eine Ahnung des lila.
Wenn das Zentrum von allem nicht in der zentralen Ausrichtung seines eigenen Bewusstseins ist, dann wird die Gestaltung der Feste künstlich und eine noch atemlosere Form der Arbeit. Das zentrale Anliegen des heiligen Festes ist Erinnerung an Sri Krishna.
Was ist der Effekt der Erinnerung daran? Alle Misskonzepte, die der Mensch in sich trägt - die Idee, etwas zu besitzen, der Glaube, Dinge zu kontrollieren, die Identifikation mit dem Körper und den Gedankenstrukturen, in welchen man glaubt, man existiere innerhalb der materiellen Zeit und sei der Geniesser der Umstände – werden aufgelöst.
21. Juli 2009
Alleine-Sein
Gott, die Liebe, Freundschaft, Beziehungen – all dies sind keine Notwendigkeit.
Weil alle Menschen dies als Grundnotwendigkeit betrachten, suchen unzählige Menschen nach Liebe.
Die Suche zielt aber nicht darauf hin, zu lieben, sondern geliebt zu werden. Man sehnt sich nach jemandem, der einem seinen unersättlichen Durst, geliebt zu sein, stillen könnte.
Diese Haltung hat aber nichts mit Liebe zu tun. Das Suchen nach Befriedigung der eigenen Bedürfnisse schafft eine Art von Sucht, die „Anhaftung“ genannt wird.
Anhaftung ist nie identisch mit Liebe, obwohl es sehr ähnlich ausschaut. Oft ist die „Verliebtheit“ von Paaren nichts mehr als eine gegenseitig sich ergänzende Sucht, eine grosse Verhaftung. Verklebung führt nie in die Freiheit.
So bleiben die Menschen auf der Suche nach Liebe, die sie effektiv gar nicht erfahren und zur gleichen Zeit nehmen sie eine Welt wahr, wo ihnen Liebe fehlt.
Man fühlt sich als bedürftig. Und ein Bedürftiger kann nicht lieben.
Man nähert sich gegenseitig, innerlich entleert, und glaubend und hoffend, dass der andere ihr Märchenprinz sein würde, die Frau seiner Träume. Für Augenblicke denkt man tatsächlich, dass dies die Person sei, die einem aus dem Leid und dem Elend befreien könne, die Person, die einem erretten könne von unserer Not der Einsamkeit, die Person, die einem die erhoffte Lösung geben könnte von aller Traurigkeit, Bitterkeit und Leid. Man denkt, dies sei die Person, die unsere Probleme lösen könne. Der Partner sieht aber den anderen und denkt genau das Gleiche. Er oder sie würde der Lebensretter sein. Und man erwartet Liebe – das Geliebtsein.
Was geschieht, wenn zwei Wesen, die beide nur den Wunsch haben, zu empfangen, zu erhalten, sich begegnen? Beide gehen mit leeren Händen aus.
Es folgt die Ernüchterung, der Zorn und den Schmerz über die nichterfüllten Hoffnungen ohne zu verstehen, dass diese Projektion der Leidesbeendung niemals hätte funktionieren können. Es war ein Suchen nach einer Lösung welche das Selbst, die ewige Seele, und ihre Bedürfnisse nicht einmal berührt. Aber dennoch glaubte man, es würde Erfüllung darin liegen. Alle Beziehungen, die das Ich zur fluktuierenden Welt hat, sind substanzlos, weswegen in ihnen konnotativ schon immer eine Leere mitschwingt.
Das Bedürfnis, Beziehungen mit anderen haben zu wollen, muss überwunden werden. Nicht die Beziehungen selber sollen aufgegeben werden, aber das Bedürfnis und die gefühlte Notwendigkeit danach. Dieses Bedürfnis verwandelt einen in einen Sklaven. In der Aufgabe dessen wird die Liebe zu den Menschen, die einen umgeben, zu den Freunden, zum Partner, nicht zu einem beengenden Konzept, nicht mehr basiert auf Bedürftigkeit, sondern wird zu einer heilenden Liebe, welche immer weit über die geliebte Person hinauszielt – immer auf das wirkliche Objekt der Liebe hin: auf Sri Krishna.
Kein Wesen auf dem Planeten, auch nicht Gott, kann das süchtige und dürstende Bedürfnis stillen. So wie Freundschaft und Liebe ist auch Gott nicht eine Notwendigkeit.
Wenn die Menschen um einen herum das Leid der eigenen Einsamkeit nicht lösen können, dann fällt man auf Gott zurück, aber er wird da auch nicht einspringen. Der wahre Gott ist kein Lückenfüller.
Zu dem Leid der unerfüllten Wünsche gibt es keine Lösung, auch Gott nicht. Das Problem ist nur das fehlprojizierte Sehnen nach einer Fata Morgana, der Glaube, dass der Durst des kleinen Ichs zu stillen wäre.
Eigentlich bin ich ein Wesen, das liebt, das gibt ohne eine Erwartung, das schenkt ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Man gibt, auch ohne eine Reaktion zu erwarten. Der Punkt ist nicht das Geliebtsein, sondern das ausschliessliche Geben. In der Einsicht dessen fühlt man sich immer dankbar und nie entmutigt. Es ist ein freies Fliessen, das sich nicht an die Reaktionen bindet, die von aussen kommen.
Man vermeidet dann nicht mehr Beziehungen, sondern erlebt Beziehung zu allem – mit allen menschlichen Wesen, mit Bäumen, Vögeln, Blumen, Wolken, Seen – ohne die Gefangenschaft der Erwartung und ohne das Gefängnis der Bedürftigkeit.
Das ist der freie Bewusstseinszustand, den Krishna in der Bhagavad gita umschreibt mit
„samah sarveshu bhuteshu“ (Bhagavad gita 18.54), der Gleichheit zu allen Wesen, aus welchem Bhakti, liebende Hingabe an ihn Selbst erwächst.
Weil alle Menschen dies als Grundnotwendigkeit betrachten, suchen unzählige Menschen nach Liebe.
Die Suche zielt aber nicht darauf hin, zu lieben, sondern geliebt zu werden. Man sehnt sich nach jemandem, der einem seinen unersättlichen Durst, geliebt zu sein, stillen könnte.
Diese Haltung hat aber nichts mit Liebe zu tun. Das Suchen nach Befriedigung der eigenen Bedürfnisse schafft eine Art von Sucht, die „Anhaftung“ genannt wird.
Anhaftung ist nie identisch mit Liebe, obwohl es sehr ähnlich ausschaut. Oft ist die „Verliebtheit“ von Paaren nichts mehr als eine gegenseitig sich ergänzende Sucht, eine grosse Verhaftung. Verklebung führt nie in die Freiheit.
So bleiben die Menschen auf der Suche nach Liebe, die sie effektiv gar nicht erfahren und zur gleichen Zeit nehmen sie eine Welt wahr, wo ihnen Liebe fehlt.
Man fühlt sich als bedürftig. Und ein Bedürftiger kann nicht lieben.
Man nähert sich gegenseitig, innerlich entleert, und glaubend und hoffend, dass der andere ihr Märchenprinz sein würde, die Frau seiner Träume. Für Augenblicke denkt man tatsächlich, dass dies die Person sei, die einem aus dem Leid und dem Elend befreien könne, die Person, die einem erretten könne von unserer Not der Einsamkeit, die Person, die einem die erhoffte Lösung geben könnte von aller Traurigkeit, Bitterkeit und Leid. Man denkt, dies sei die Person, die unsere Probleme lösen könne. Der Partner sieht aber den anderen und denkt genau das Gleiche. Er oder sie würde der Lebensretter sein. Und man erwartet Liebe – das Geliebtsein.
Was geschieht, wenn zwei Wesen, die beide nur den Wunsch haben, zu empfangen, zu erhalten, sich begegnen? Beide gehen mit leeren Händen aus.
Es folgt die Ernüchterung, der Zorn und den Schmerz über die nichterfüllten Hoffnungen ohne zu verstehen, dass diese Projektion der Leidesbeendung niemals hätte funktionieren können. Es war ein Suchen nach einer Lösung welche das Selbst, die ewige Seele, und ihre Bedürfnisse nicht einmal berührt. Aber dennoch glaubte man, es würde Erfüllung darin liegen. Alle Beziehungen, die das Ich zur fluktuierenden Welt hat, sind substanzlos, weswegen in ihnen konnotativ schon immer eine Leere mitschwingt.
Das Bedürfnis, Beziehungen mit anderen haben zu wollen, muss überwunden werden. Nicht die Beziehungen selber sollen aufgegeben werden, aber das Bedürfnis und die gefühlte Notwendigkeit danach. Dieses Bedürfnis verwandelt einen in einen Sklaven. In der Aufgabe dessen wird die Liebe zu den Menschen, die einen umgeben, zu den Freunden, zum Partner, nicht zu einem beengenden Konzept, nicht mehr basiert auf Bedürftigkeit, sondern wird zu einer heilenden Liebe, welche immer weit über die geliebte Person hinauszielt – immer auf das wirkliche Objekt der Liebe hin: auf Sri Krishna.
Kein Wesen auf dem Planeten, auch nicht Gott, kann das süchtige und dürstende Bedürfnis stillen. So wie Freundschaft und Liebe ist auch Gott nicht eine Notwendigkeit.
Wenn die Menschen um einen herum das Leid der eigenen Einsamkeit nicht lösen können, dann fällt man auf Gott zurück, aber er wird da auch nicht einspringen. Der wahre Gott ist kein Lückenfüller.
Zu dem Leid der unerfüllten Wünsche gibt es keine Lösung, auch Gott nicht. Das Problem ist nur das fehlprojizierte Sehnen nach einer Fata Morgana, der Glaube, dass der Durst des kleinen Ichs zu stillen wäre.
Eigentlich bin ich ein Wesen, das liebt, das gibt ohne eine Erwartung, das schenkt ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Man gibt, auch ohne eine Reaktion zu erwarten. Der Punkt ist nicht das Geliebtsein, sondern das ausschliessliche Geben. In der Einsicht dessen fühlt man sich immer dankbar und nie entmutigt. Es ist ein freies Fliessen, das sich nicht an die Reaktionen bindet, die von aussen kommen.
Man vermeidet dann nicht mehr Beziehungen, sondern erlebt Beziehung zu allem – mit allen menschlichen Wesen, mit Bäumen, Vögeln, Blumen, Wolken, Seen – ohne die Gefangenschaft der Erwartung und ohne das Gefängnis der Bedürftigkeit.
Das ist der freie Bewusstseinszustand, den Krishna in der Bhagavad gita umschreibt mit
„samah sarveshu bhuteshu“ (Bhagavad gita 18.54), der Gleichheit zu allen Wesen, aus welchem Bhakti, liebende Hingabe an ihn Selbst erwächst.
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