Von einem Sufi-Mystiker sagt man, er sei auf seiner Pilgerschaft so losgelöst von weltlichen Dingen gewesen, dass er nur einen Becher und einen Kamm mit sich führte. Doch den Becher warf er weg, nachdem er einen Mann aus seiner Hand trinken sah, und den Kamm, als er einen anderen Mann seine Finger statt eines Kamms benutzen sah.
Diese kleine Geschichte weist auf den nicht endenden Prozess hin, der vom Besitz zur Besitzlosigkeit führt, und die Geste des Wegwerfens ist eine, die etwas von Befreiung und Schönheit ausstrahlt. Ledigkeit ist die Bedingung für Empfänglichkeit.
Ich bekam einmal einen Brief von einem Familienvater, der mir schrieb, dass er sein Auto abgestossen habe, nachdem er sich über die Luftverschmutzung und die CO2-Emissionen informiert habe. Er brauche nun fast dreimal so lange, um zur Arbeit zu kommen, fühle sich aber freier als zuvor. Dieser Brief hatte für mich eine Art Schönheit, die aus einer Würde zur Seele stammt.
Besitzlosigkeit (im Farsi: faqr) ist für Rumi die Heimat aller Schönheit.
Was ist Besitz?
Besitz erscheint oft wie eine lebensbedrohende Droge, die die Urteilskraft schwächt. Machtgehabe, Scheinsicherheit und nachlassende Dringlichkeit für das Wirkliche stellt sich mit Besitz ein, und Angst schleicht sich mit jedem Franken ein, die man dann zu bewachen hat.
Die Neigung des Strebens nach Besitz sucht eigentlich die Ruhe, denn man glaubt, wenn man alles hätte, sei es endlich still. Paradoxerweise stellen sich aber mit der Mentalität des Besitzens Unruhe und Verlustängste ein. Wir tragen eine schlummernde Erkenntnis in uns, vor welcher sich die meisten Menschen mit grossem Aufwand wehren: Dass das Besitzen von Dingen inkompatibel ist mit dem Durst der Seele und uns in keinster Weise nährt, da unser innerstes Wesen keinen einzigen Berührungspunkt hat mit den Dingen, die man besitzen kann. Es gibt zwei Arten von Unglück: nicht zu bekommen, was man will, und zu bekommen, was man will.
Wenn man alles erreicht hat, was man sich ersehnt und was vom Kollektiv als wünschenswert gilt – Reichtum, Anerkennung, Besitz, Leistungen – bleibt die innere Leere. Man merkt, dass man einfach nur ständig den Horizont seines Wünschens verschiebt. Man fühlt sich nicht erfüllt – auf jeden Fall nicht für lange.
In unserer säkularen Gesellschaft wird Glück missverstanden als die Befriedigung der Konsummöglichkeiten (als Sinnesbefriedigung) und Wille wird verwechselt mit grenzenlosem „Haben-müssen“ (Gier). Die Grundsehnsüchte - Besitz, Macht Bedürfnisbefriedigung sind nur Kompensation für die mangelnde Kenntnis eines bereits inhärenten – von Gott gegebenen – Sinnes.
So wird das Haben zur Abhängigkeit des Ichs. Besitz besetzt den Besitzer und schränkt das Bewusstsein ein, welches nun nur noch auf Objekte gerichtet ist. „Wenn das Bewusstsein auf das Leblose gerichtet wird, ist dessen Abstumpfung die Folge." (BG 9.25 und 8.6)
Das Ledigwerden, das Nackt – und Durchlässigwerden für Gott, was eigentlich ein Geschenk darstellt, erscheint nun plötzlich als eine Bedrohung. Selbst lebenserleichternde Dinge des täglichen Gebrauchs sind eine Art Verführung hin zur Besitzermentalität, zur Gier und Hab-Sucht. Sind ein Anlehnen und Gewöhnen an die Fessel des Bestimmtseins von Umständen im Aussen.
Die Einfachheit fördert die verwundbare Offenheit in uns, die Durchlässigkeit für die Wirklichkeit Sri Krishnas. Die Anarchie der Liebe ordnet die Strukturen der Welt ganz anders. Sie verhöhnt die Einteilungen der Gesellschaft, die auf Besitz gegründet sind. Sie kennt keine Grenzen und Konventionsbrüche sind Zeichen ihres zärtlichen Weges.
Was Besitz dem Menschen antut, ist, dass er die Nacktheit, in der wir geboren sind, zerstört. „Ich bin nackt von meiner Mutter Leib gekommen“, sagt Hiob, nachdem ihm Besitz und Kinder genommen wurden (Hiob 1.21)
Besitz ist Aufhebung dieses ursprünglichen Zustandes, er ist eine Rüstung, die einem vom Ursprünglichen isoliert. Der innere Weg führt dahin, alles auszuräumen, was einem vor den Wundern der Liebe schützen könnte.
Dem Besitzen-Wollen haftet ein klebriges Element an, nämlich die schnell wachsende Abhängigkeit zu den Konsumgewohnheiten, ohne die man nicht mehr auszukommen scheint. Da aber Dinge immer eine Leere vermitteln, denkt man, man müsse nur mehr davon haben. Die Person verliert dabei seine Distanz zu den benutzenden Dingen und wird vom Besitzwunsch beherrscht, aus der dann rasch eine ganz andere Lebensbeziehung erwächst.
Die Besitzbeziehung, die ein Verfügungsrecht über den Gegenstand als selbstverständlich annimmt, breitet sich aus und die Folge davon ist Kontrolle. Es ist die Antithese dessen, dass alles Geschenk Gottes ist und die Grundhaltung darin nur die Dankbarkeit ist.
„Bei jenen, die an zeitweiligem Genuss (Vergnügen) und Reichtum (Herrschaft) hängen, und deren Denken durch dies Unbeständige abgelenkt ist, wird es unmöglich, sich mit entschlossener Willenskraft auf den Höchsten zu konzentrieren.“ (Bhagavad gita 2.44)
Als der Bischof von Assisi den heiligen Franziskus einmal auf sein entbehrungsreiches Leben der Besitzlosigkeit ansprach, bekam er zu hören: „Herr, wollten wir etwas besitzen, so müssten wir auch Waffen zu unserer Verteidigung haben. Daher kommen die Streitereien und Kämpfe, die so mannigfach die Liebe Gottes und der Mitmenschen behindern. Darum wollen wir nichts Zeitliches in der Welt besitzen.“
Es gibt eine Verbindungslinie, einen kausalen Zusammenhang, zwischen Ich-Anspruch, Besitz und Gewalt.
Wenn das Ich als Rolle im Aussen gelöst wird, dann fällt damit auch aller Anspruch, den man auf die Welt, wie das Ich dachte, dass sie zu sein hätte. Gewalt ist all die Energie und den Aufwand, den man zur Umsetzung der Ich-Gedanken in der Aussenwelt investierte.
Wollen oder Begehren, Wissen oder Verfügen, Haben oder Besitzen stehen in einem Zusammenhang, der „Herrschaft“ heisst.
Meister Eckhart nennt in seiner berühmten Armutspredigt drei Bedingungen der „inneren Armut“: das Nichts-Wollen, Das Nichts-Wissen und das Nichts-Haben. Nackt sein.
Nichts haben bedeutet, über nichts als Herrscher zu verfügen.
Besitz macht abhängig und zerstört die Geschwisterlichkeit einer Gruppe. Reichtum schafft Überordnung und Unterordnung, schafft Herrschaft und Grenzen, schafft Krieg, weil ebendiese Grenzen verteidigt werden müssen. Einssein, Partizipation und Solidarität bedeuten immer auch die Ablehnung alles Trennenden, all dessen, was das Leben aufteilt und zerspaltet. Dies gilt gemeinschaftlich gesehen, wie auch im Verhältnis zur Natur.
Für Franz von Assisi ist das Feuer sein Bruder und das Wasser seine Schwester. Das ist ein krasser Gegensatz zu dem, was Descartes als unsere menschliche Aufgabe formuliert hat, nämlich „maîtres et possesseurs de la nature“ zu sein.
Wenn man die Armut und das Ledigwerden preist und wertschätzt, muss man dabei immer unterscheiden zwischen einer freiwillig gewählten Armut und der, in die Menschen hineingestossen sind, ohne gefragt zu werden. Es gibt zwar Überschneidungen, dass auch ererbte oder erzwungene Armut freiwillig angenommen, gar als Geschenk Gottes begrüsst und sozusagen nachträglich zu frei gewählter Armut erwachsen kann.
Die Freude an der Armut legitimiert den Zustand der Armut nicht.
So wie ein Ich notwendig ist, um zur Zerstörung der Ich-Struktur zu schreiten, so braucht es wohl auch ein Stück Eigentum, ehe man das Wegwerfen lernt.
Wie weit freiwillige Armut gehen kann, zeigt Dorothy Day, eine amerikanische Anarchistin, die dann Katholikin wurde. Die Stadt hatte das Haus ihrer Gemeinschaft wegen einer Untergrundbahn enteignet. Zwei Drittel der Entschädigungssumme wurde bezahlt, aber auf den Rest mussten sie noch zwei Jahre warten. Die Stadt gab ihr dann die Restzahlung mit einem Zins für die Verspätung. Sie schickte das Zinsgeld an die Finanzbehörde zurück mit folgendem Brief:
„Hiermit geben wir die Zinsen für das Geld zurück, das wir vor kurzem von ihnen erhalten haben, weil wir nicht an Darlehen mit Zinsen glauben. Als Katholiken glauben wir nicht an das Profitsystem. Menschen, die eine materialistische Sicht haben, sind berauscht von geldlichem Erfolg und freuen sich an Gewinn. Wir versuchen aber unsere Pflicht zu erfüllen, indem wir unsere Dienste tun, ohne dafür von unseren Geschwistern Bezahlung zu verlangen, so wie es Jesus durch sein Evangelium vorgelebt hatte. Ein verzinsbares Darlehen zu erteilen wird als die grundsätzliche Geisel der Kultur erachtet.
Da die Heilige Schrift lehrt, dass Geld zu lieben die Wurzel des Bösen sei, nutzen wir diese Gelegenheit, unseren Glauben praktisch zu leben.“
Die freiwillige Armut ist die Bedingung für Glaubwürdigkeit im Aussen und Freiheit im Innen.
Das Miteinander der Erdlebewesen ist so bedroht, dass der Widerstand gegen Profit - und Konsumgier nicht nur ein asketischer religiöser Aufruf ist, sondern zu einem Hoffnungszeichen des Miteinanders geworden ist.
Freiwillige Armut, Einfachheit, ist einerseits Freiheit von der Gebundenheit an Dinge, hat aber auch eine kosmopolitische Komponente: in einer Welt, in welcher 2/3 der Menschheit mit weniger als 2 Dollar pro Tag lebt, darf ich mich dann umhüllen mit all dem Gerümpel? Es ist immer einfacher, etwas freiwillig zu tun, als unter Zwang. Das Loslassen geschieht dann so leicht, aber im Zwang des Todes ist wird es dann zu einem schrecklichen Kampf.
Was ist Verzicht?
Wesentlicher Verzicht ist das Loslassen meiner erdachten Beziehung zu den Dingen in der Welt, dass man glaubte, dass die Dinge per Se einem Freude oder Leid geben könnten.
Umesh hat eine Frau, einen Sohn, einen engen Freund, einen Diener im Haus, Nachbarn und jemand, der ihm Geld schuldet. Plötzlich stirbt er....
Die Frau wird bewusstlos vor Schmerz, der Sohn weint bitterlich, der Freund ist traurig, der Diener ist unsicher - denn er könnte ja seine Anstellung verlieren - und die Nachbarn sitzen zusammen am Abendtisch und die Nachbarsfrau informiert ihren Mann, dass Umesh heute gestorben sei.
Eine Person ist glückselig, wenn er dies hört.........
Irgendwie können Ärzte Umesh aber wieder zum Leben erwecken.....Die Frau fällt ohnmächtig um vor Freude, der Sohn weint Freudentränen usw........
Nun taucht die wichtige Frage auf: Ist Umesh die Ursache von Glück und Leid?
Nein, es ist nur unsere Beziehung zu ihm, die Freude und Leid generiert.
Ist die äussere Welt die Ursache von Glück und Leid? Es ist nur unsere Beziehung zu ihr, die Glück und Leid generiert. Fast die ganze Menschheit ist in einem Krieg, in einem Kampf mit dem Äusseren. Einfachheit, Besitzlosigkeit, korrigiert unsere Beziehung zur Welt.
Menschen glauben, durch Besitz ihre innere Trophäensammlung erweitern zu können. Das ist eine Hoffnung nach Erfüllung, die ins Aussen projiziert wurde. Auf einem Erkenntnisweg geht es nicht darum, dass wir überhaupt irgendetwas dazugewinnen könnten, was wir noch nicht zu haben glauben – Freiheit, Glück, Frieden, Stille.
Aber: Es gilt alles zu verlieren.
Der Psychotherapeut und Sozialwissenschaftler Erich Fromm (1900-1980) hat in „Haben oder Sein“ eine Unterscheidung getroffen, zwischen dem Eigentum, das dem Gebrauch dient oder „funktional“ ist, und dem reinen Besitz, der keinen Gebrauchswert hat, sondern dem sozialen Status des Ego, der Sicherung der Zukunft oder auch der sich verselbstständigenden reinen Gier dient.
Identität kann nicht mit Besitz kompensiert werden.
Denn der Verlust ist mit dem Schmerz des Abschiedes behaftet, mit dem Schmerz des Verlierens, und des Verlorenseins, mit Verlust der Identität, die ja gerade aus diesen Dingen geworden ist und an der wir festhalten und uns orientieren. Wir haben kein positives Verhältnis zum Moment des Verlustes.
Wir sind wie Bettler, die an ihrem letzten Hemd festhalten, in Wirklichkeit aber in einem Königreich der Fülle stehen, das wir nicht erkennen können, weil wir so beschäftigt sind, um unser letztes Hemd zu kämpfen.
Erkenntnisweg ist immer ein Weg des bewussten und ganz akzeptierten Verlierens.
Die Bereitschaft, alles zu verlieren ist nichts Äusserliches. Das wäre eine Verharmlosung. Kinder aufzugeben, Partner, Wohnort, sämtlichen Besitz, den Beruf und alle Sicherheiten – das ist noch nicht einmal der Vorhof von dem inneren Verlust, um den es wesentlich geht. Es ist der Verlust all dessen, was man als „Ich“ und „Mein“ kennt und angenommen hat. Das ist die alte Welt, die Menschen nicht bereit zu verlassen sind, weil sie den alten Lehrern der Angst und der Ungewissheit folgen – die Angst vor der unendlichen Leere, wenn diese Identifikationsrolle nicht mehr ist.
Von Franz von Assisi stammt der Satz: 'Jeder Reiche ist ein Dieb oder eines Diebes Erbe.' Das Wort der französischen Aufklärung und Eckpfeiler marxistischer Philosophie bis in die Neuzeit, 'Eigentum ist Diebstahl', hat eine ehrwürdige Tradition.
Der heilige Franz formulierte genauer: 'Durch das Eigentum, über das die Menschen sich sorgen und bekämpfen, wird die Liebe Gottes und des Nächsten verhindert; es ist schwerer, aus dem Palast, als aus der Hütte in den Himmel zu kommen.' "
Jesus Christus selbst forderte unbedingte Armut: "Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was du hast, und gibs den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach" (Matthäus, 19, 21-24) Auch bei der Aussendung der zwölf Apostel gebot er ihnen:
«Füllt eure Gürtel nicht mit Gold-, ¬Silber- oder Kupfermünzen! Nehmt keinen Sack mit auf den Weg, kein zweites Kleid, keine Schuhe, keinen Stab! Denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Kommt ihr aber in eine Stadt oder in ein Dorf, dann fragt nach, wer da würdig ist; dort bleibt, bis ihr weiterzieht. […] Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe […].»
Matthäus 10, 9–16
Güter werden schnell in den Status einer Ersatzidentität erhoben.
Die Einfachheit hat aber auch eine alltagsbezogene Seite, weil im Wegwerfen von Besitz der Gebrauch der Dinge um einen herum unkomplizierter Werden, wenn der Besitz nicht fehlende Persönlichkeitsanteile ersetzen muss. Zu lernen, mit weniger auszukommen setzt Zeit und Kraft für Wesentliches frei. Unser Verhältnis zu den Dingen wird gelassener und man sieht alles um einen herum als kurzfristig überlassen an, als geliehen. Besitzlosigkeit ist frei gewählte Lebensweise und ist nicht Armut, sondern nicht besessen von Besitz zu sein. Ledig.
Die Verrücktheit vieler radikal eigentumskritischer Traditionen deutet hin auf diesen Jubelsprung in die Freiheit.
Alles in dieser Welt ist uns geliehen worden, nicht gegeben. So geht man mit den Dingen um in Sorge und Mitgefühl, aber ohne den Anspruch auf Eigentum.
Abschliessen möchte ich diese kleine Betrachtung mit einem Gebet:
Lieber Krishna
Wenn meine Praxis des Verzichts und der Genügsamkeit in der Sehnsucht nach dem Wesentlichen, nach Dir, wieder entfacht wird, wird eine ganz neue lebensfördernde Kraft freigesetzt:
Die Preisgabe des Überflüssigen ermöglicht mir nun eine Orientierung auf das Notwendige.
Genügsamkeit und konsequente Vereinfachung meiner Existenz durchbrechen meinen Zustand, in dem Bedürfnisse einfach nur aus Gewohnheit bereitgestellt werden müssen und deren Beschaffung mich so absorbieren, sodass sich in mir den Urgrund meiner Unzufriedenheit vernebelt
Als besitzender Mensch bin ich zu einem Menschen geworden, der besetzt ist.
Lebensstandard, Eigentum, Komfort und weltliche Beziehungen sind zur "Haut" meines Glückes geworden, in die ich mich zu schmiegen gewohnt bin.
Deshalb ist die Entdeckung für mich so erstaunlich, zu bemerken, dass ich noch nie so glücklich war als in den Momenten, wo mir all dies entfällt und ich "enthäutet" ganz unmittelbar wieder Fühlung bekomme mit der Wirklichkeit meiner Seele.
Ich will nun gehen lassen, was mich besetzt, wo ich frecherweise Besitzanspruch eingenommen habe für Güter, die ja eigentlich Dein sind, um frei zu werden von dem Bann der Sorge um Güter, die die Tiefendimension meines Lebens blockieren.
Verfügbar für die Wirklichkeit.
13. Januar 2009
1. Dezember 2008
Der erste Botschafter Sri Chaitanyas in der westlichen Welt: Baba Premananda Bharati
Der erste Botschafter Caitanya Mahaprabhus in der westlichen Welt kam mit einem Schiff von Indien her nach New York, sang mit den amerikanischen Schülern die Heiligen Namen Gottes, lehrte das Srimad Bhagavatam, schrieb als erstes ein Buch über die Lila Sri Krishnas, publizierte ein regelmässig erscheinendes Magazin, nahm später seine amerikanischen Schüler nach Indien. Er eröffnete den ersten Gaudiya-Vaishnava Tempel in Amerika. Vom Zeitpunkt seines Erscheinens in Amerika bis zu seinem Verscheiden vergingen genau 12 Jahre…. Das war nicht Srila Prabhupada, sondern ein bengalischer Vaishnava, der bereits 63 Jahre vor ihm diesen Schritt wagte: Baba Premananda Bharati.
„Hindu Baba kommt hierher – Seine Mission ist es, die Vereinigten Staaten von Amerika zur Verehrung von Krishna zu inspirieren“. Das war die Schlagzeile der New York Times nicht vom 19. September 1965, als Srila Prabhupada in den USA ankam, sondern vom 16. Oktober 1902!
1857 wurde er als Surendranath Mukerji geboren. Sein Onkel war ein in ganz Bengalen bekanter Anwalt. Er studierte in Kalkuta Journalismus und arbeitete für verschiedene grössere Zeitungen und gründete zwei eigene Tageszeitungen.
Der „Herald“ schreibt später (23.11.1902) über seine Wandlung:
„Vom Journalisten zum Asketen ist ein fast unmöglicher Sprung. Es ist wie die Reise von einem Pol zum anderen. Journalismus bedeutet, die gesamte Welt in den menschlichen Geist zu drücken; Askese bedeutet, die Welt aus dem Geist hinaus zu werfen. Journalismus bedarf einer genauen Studie der Menschen und ihrer Gepflogenheiten; Askese lehrt, alle Eindrücke dieser Welt auszulöschen, unter die Oberfläche zu tauchen und den wahren Grund und die Bedeutung der Dinge zu erkennen. Um Abzutauchen bedarf es des Vergessens der Oberfläche.
Aber ein Vaishnava Asket muss nicht die gesamte Welt verneinen und sich in die Einsamkeit des Dschungels zurückziehen, um sich seiner Hingabe zu widmen. Er findet Krishna, seinen geliebten Herrn, überall und lebt im Licht der Liebe zu ihm. Ohne Krishna ist für ihn die bevölkerte Stadt New York nur Einöde und wilder Dschungel.“
Bharati beschreibt seinen inneren Wandel in einem Artikel von „Light of India“:
„Ich war sehr zufrieden in meinem materiellen Umfeld und meine Zeitung wurde bekannt nicht nur unter den Indern sondern sogar unter den Engländern. Ich war angesehen und glücklich damit.
Genau zu dem Zeitpunkt erwachten meine religiösen Ursehnsüchte und sehr bald haben sie meine Leidenschaft zum Journalismus unbedeutend erscheinen lassen. Das, was vorhin mein ein und alles war, erscheint nun fahl und leer.“
Das erste Kennzeichen einer erwachenden Seele besteht darin, dass die Seele nicht mehr wie früher Freude empfindet an allen schönen, guten und liebenswürdigen Dingen und Wesen dieser Welt. Und zwar nicht aus Enttäuschung oder Frustration heraus, sondern weil sie langsam aus ihr herauswächst, genauso wie jemand aus dem Spielzeug-Alter ganz natürlich herauswächst.
Sie fühlt, zuerst schwach, dann immer stärker und öfter: "Das ist alles irgendwie zuwenig“.
Weiter schreibt er: Der Auslöser war ein Besuch im Star-Theater in Kalkuta, wo ich einen Abend lang eine „Chaitanya-lila“ Aufführung sehen durfte. Diese unbeschreibliche erstaunliche Szene machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ich hatte das Objekt der Sehnsucht gefunden und ich habe mich entschieden, mein Leben dafür zu geben. Mit diesem Erwachen hat mich alle Anziehung an die Welt verlassen und in der Tiefe meines Herzens floss ein Strom von Glückseligkeit, der mich immer entzückte und erschauern liess.
„Krishna, mein Geliebter!“ habe ich in meinem Innern gerufen. „Ich bin dein – für immer. Du bist das Mysterium der Liebe; das Universum ist dessen Ausdruck und Chaitanya ist die barmherzigste Erklärung davon. Deine Gnade kristallisiert sich in der Begegnung eines deiner geliebten Gefährten.“
1890 bekam er spirituelle Einweihung von Brahmananda Bharati und von da an zog er als Wandermönch durch Indien, verbrachte aber viel Zeit am Radhakunda in Braj.
„Ich wanderte von Bengalen nach Vrindavan zu Fuss (1500 KM). Ich benötigte dafür etwa 2 Monate. Aber ich fühlte mich gesegnet – gesegnet bei jedem Schritt. Ich sah Krishna in Träumen, im Wachsein und im Gehen. Ich sang und tanzte zu seinen Ehren. Ich werde immer alles geben, ihn wieder zu sehen. Ich war in Ekstase. Ich legte mich auf den nackten harten Boden in den Wäldern und die Wurzeln dienten mir als Kopfkissen und schlief, wie noch nie ein Weltherrscher oder Millionär geschlafen hatte.“
Nach diesem Besuch in Vrindavan wanderte er 10 Jahre durch Indien und liess sich dann am Radhakunda nieder.
Dort am Radhakund begann er den inneren Ruf zu verspüren, in den Westen zu reisen, um dort etwas von der Faszination der Lieblichkeit von Krishna zu vermitteln.
In der Zeit traf er Swami Vivekananda, der bereits 10 Jahre vor ihm nach Chicago reiste, und er erhielt ein paar Kontaktadressen in Amerika.
Die „Tribune“ schreibt am 16.10.1902
„In den Westen geschickt wurde ich von den Mönchen, die am Radhakunda, im heiligen Bezirk Vrindavan, leben. Vrindavan ist der Ort auf dieser Erde, wo Gott selber, Sri Krishna, in diese Welt hinein erschien. Radhakund bedeutet Liebe.
Die Mönche, die um diesen kleinen See leben, sind göttlich. Sie denken an nichts anderes als an die Liebe und dehnen diese Gottesliebe zu allen Wesen hin aus. Sie sind die demütigsten Menschen der Welt. Es sind die wahren Christen wie zur Zeit des Erretters. Sie haben keinerlei Besitz und singen und beten den ganzen Tag. Mit diesen heiligen Menschen durfte ich leben und lernen. Ich bin nur einer ihrer unwürdigen Diener.
Am 22. Februar 1903 gab es eine Schlagzeile im „Herald“: Hindoo Propaganda gedeiht – wachsendes Interesse unter den Christen in New York für die Philosophie, die ein indischer Priester lehrt“ Das Folgende Foto ist gedruckt mit dem Kommentar: Baba Bharati lebte in indischen Dschungeln.
Zwei Jahre nach seiner Ankunft im Westen (Anfang Oktober 1904) spricht Bharati an einer internationalen Friedenskonferenz in Boston. Seine Worte der familiären Verbundenheit mit allen Wesen und seinen Bezug zu einem Zentrum, welches die Interessen aller Menschen vereint – Liebe zu Gott – beeindruckte die Teilnehmer tief. Er wurde zum Vizepräsidenten der Konferenz gewählt, was ihn zu einer populären Persönlichkeit Bostons macht.
Sein schriftliches Hauptwerk heisst „Sri Krishna, Lord of Love“, eine geniale Darlegung von vedischer Kosmogonie bis hin zum vertraulichen Lila Sri Krishnas.
Die amerikanische „Review of reviews“ schreibt am 31.2.1905:
Einer der gelehrten orientalischen Missionare, die zu uns im Westen unterrichten, Baba Bharati, ein gelehrter Brahmane aus Kalkuta, der nun in Boston lehrt und unterrichtet, hat eben ein Buch herausgegeben. Es beschreibt den hinduistischen Ansatz des Ursprunges und der Bedeutung des Lebens und des Universums. Es beschreibt die Geschichte des Universums von seiner Entstehung bis hin zu dessen Auflösung.
Baba Bharatis Stil ist direkt, einfach und klar und seine Gedanken sind edel und rein. Es ist ein Ausdruck eines starken Gläubigen in eine Philosophie, deren Ideale zwar aus dem fernen Osten stammen, aber dennoch einen eindringlichen Eindruck im westlichen Leser hinterlassen. Die Liebe zur Quelle des Universums, welche in der Hindu-Philosophie „Krishna“ genannt wird, ist die antreibende Kraft hinter allem im Universum. Dahin zielt alle Sehnsucht. Es ist ein aussergewöhnliches Buch – eine faszinierende Darlegung einer erhabenen Weltanschauung.“
Mit seinen Schülern druckte er ein regelmässig erscheinendes Magazin mit dem Titel „Light of India“, welches das aktuelle Zeitgeschehen aus der Perspektive des Bhagavatam beleuchtete.
Im August 1905 wird er nach Los Angeles eingeladen, um im Parlament der Weltreligionen zu sprechen. Dort tritt er in einen regen Gedankenaustausch mit führenden Vertretern von „new thought“, metaphysischem Idealismus und esoterischem Christentum. Er gibt begeisternde Vorträge und viele interessierte Suchende lassen sich von ihm einweihen.
Im Frühling des folgenden Jahres wird der erste Radha-Krishna-Tempel in Amerika in Los Angeles eröffnet. Der Tempel wurde vor kurzem abgerissen, da er einer Autobahn weichen musste. In diesem „Krishna Home“, wie der Tempel genannt wurde, lehrte und lebte Baba mit einigen seiner Schüler. Da er ein begeisternder Bhajansänger war, lehrten einige Schüler die Kunst bengalischer Verehrungslieder.
Adelia Bee Adams, eine Schülerin aus diesem Kreise, beschrieb den Ashram-Tag in einem Artikel, der im Indian Mirror gedruckt wurde:
„Vor Sonnenaufgang begannen wir mit Morgengebeten. Dann kamen wir alle zusammen zur Arati-Zeremonie zu Radha-Krishna und Chaitanya und anschliessend erklärte Guruji den Studenten über Sri Krishna und seine vollständige Erweiterung als Sri Chaitanya. Das Frühstück verzögerte sich oft auf den späten Nachmittag, da Baba – neben seiner indischen Nichtbeachtung von Zeit – es nicht erlaubte, dass das Alltägliche wie das Essen das Heilige verdrängen sollte. Aber alle Gegenwärtigen waren immer Zeuge, dass man sich dann doch sehr freute auf die verspätete kulinarische Erfrischung.“
Im gleichen Frühling wurde er auch vom König und der Königin von Baroda besucht, die extra eine Amerikareise antraten, als sie hörten, dass es dort ein Radha-Krishna Tempel gäbe.
1907 segelte er mit einer Gruppe amerikanischer Schüler nach Indien, die dort einen erstaunlichen Eindruck machten, da sie indische Bhajans sangen, Sanskritverse zitierten und in indischer Kleidung den Indern ihre eigene Philosophie unterrichteten. Das hatte in der englischen Kolonie einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
„Light of India“ erschien nun auch in Bengali und Baba reiste noch mehrmals von Indien nach Amerika und zurück. Im 24. Januar 1914 verliess er seinen Körper in Kalkutta in Folge von Diabetes. Die New York Times berichtete von seinem Verscheiden. Rose Reinhardt Anthon, eine gelehrte Schülerin von Baba, die selber viele Bücher und Publikationen über Vaishnava-Philosophie herausgab, schrieb einen langen Nachruf von Baba, der auch in der „Indian Review“ im Februar 1914 abgedruckt wurde.
Nach seinem Verscheiden
Seine Schüler lebten alle eher zurückgezogen und praktizierten im Stillen weiter (nach einigen Angaben waren es bis zu 5000 Schüler). Es bestand auch kein Interesse, die von Baba gegründete Organisation „Krishna Samaj“ weiter aufrecht zu erhalten. Sie wurde von ihm belebt und lebendig gehalten und die Schüler erkannten, dass weltliche Struktur nicht charismatische Persönlichkeiten ersetzen können.
Die bekannteste Schülerin von Baba war Rose Reinhardt Anthon, deren Buch „Stories of India: Moral, mystic, spiritual and romantic“ heute noch erhältlich ist (im Internet).
Eine Gruppierung mit dem Namen “Order of Loving Service”, die von indischer Mystik geprägt war, veröffentlichte 1934 ein Buch (“Square”) mir der Widmung: “Für Premananda Bharati, desse Liebe, Geduld und immer noch andauernde Begleitung uns aus der Dunkelheit zum Licht, aus dem Überdruss in die Ruhe, aus der Verwirrung in das Verstehen, aus dem ununterbrochenen Ringen in den anhaltenden Frieden führte“.
Die Autorin Lalita Johnson war Schülerin von Baba und begleitete ihn auf seinen Indienreisen von 1907 bis 1910.
Schüler von Baba haben 1921 den „AUM Temple of Universal Truth“ gegründet und bis in die 70 er Jahre die Bücher von Bharati und seine Artikel in ihrem Magazin gedruckt. Sie verkauften auch Bilder von ihm mit der Aufschrift: „"Our Beloved Baba Bharati". Elisabeth Delvin King, eine Schülerin von Baba, verband die Lehre von Baba Bharati mit esoterischem Christentum und hatte grossen Erfolg. Diese Gruppe hat bis in die 90 er Jahre bestanden. Diese Gruppierung versuchte mehrmals die indischen Wurzeln von ihrem Baba zu kontaktieren, blieben aber erfolglos. Zwischen 1955 und 1973 besuchten sie Indien verschiedentlich, auch Vrindavan, fanden aber keine Spuren von Baba.
Das indische Verlagshaus Natesan publizierte 1925 post mortem „Light on Life“, eine autobiografische Erzählung mit sechs Vorträgen von Baba.
Im Westen angesehen war auch sein indischer Schüler Mahanambrata Brahmachari, der an mehreren Universitäten in Amerika in den 30 er Jahren unterrichtete.
Dr. Nag schreibt in seinem Buch Tolstoy and Gandhi (1950), dass Tolstoi mehrere Briefwechsel hatte mit einem indischen Sannyasi, der in Kalifornien lebte: Baba Premananda Bharati. Tolstoi hatte ein solches Interesse an Baba Bharati's Buch “Krishna” (1904), dass er organisierte, dass das Buch ins Russische übersetzt wurde. In seinem Buch „A Letter to a Hindu” (1909) zitiert Tolstoi viel aus diesem Buch.
Kleiner Nachgedanke:
Oft wurde Srila Prabhupada als der erste Botschafter von Krishnabewusstsein in der westlichen Welt präsentiert. Das ist er nicht.
Aber die Echtheit eines Sadhus wird nicht quantitativ gemessen, wieviel er gereist ist, wie wieviele Tempel er eröffnete oder Bücher er publizierte. Es ist auch irrelevant, wieviele Schüler jemand hat. Sobald man äusserliche Wertungen auf das Heilige überträgt, findet man nicht das Heilige, sondern nur ein Spiegel für seine eigenen materiellen Ambitionen. Viele Menschen unserer Zeit sind recht allergisch geworden auf das unverdauliche Gemenge von eschatologischer Ausrichtung (Religion) und profanem Macht-und Geltungsstreben. Ich möchte Prabhupadas Stellung und Gewichtigkeit nicht minimieren, sondern sie nur von ungesunden Idealisierungen befreien.
Diesen Artikel habe ich geschrieben, weil es mich immer nachdenklich stimmte, wenn die äusseren Erungenschaften Prabhupadas in das Zentrum gestellt wurden. Man hatte manchmal fast das Gefühl, man müsse doch eine Zwangsdankbarkeit haben, da er als erster Vaishnava das Krishnabewusstsein in die westliche Welt brachte. Zwischen wesentlichen Inhalten und geschichtlichen Ereignissen, welche nicht unbedingt die Reinheit und Klarheit der Lehre reflektieren, muss immer klar unterschieden werden.
Krishna spricht in der Gita vom Karmayogi, dem es nie um Erfolg oder Misserfolg geht und der darin absolut gleich bleibt, weil sein Anliegen die banale Ebene der Vergänglichkeit übersteigt.
Ein Bhakti Yogi wie unser Prabhupada wäre nicht weniger grossartig, wenn seine gesamte Mission absolut gescheitert wäre.
Man kann auch nicht sagen, dass der Erfolg von Prabhupadas Mission (zumindest war es ein Erfolg während seiner Lebzeiten….) die spezielle Gnade Krishnas wäre. Diese Haltung würde Calvinismus widerspiegeln, der besagt, dass ein Erfolg in der Welt als Zeichen für den Gnadenstand gewertet werden könne. Es ist genau die protestantische Ethik, die die Tatsache von vielen eröffneten Tempeln, vielen Schülern und gedruckten Büchern als Merkmal der besonderen Ermächtigung und Erwählung Gottes interpretiert.
Als Srila Prabhupada alleine in Vrindavan lebte, und ihm das Geld ausging, das „Back to Godhead“ weiterhin zu drucken, ging er nach Vrindavana zurück. In einer Stimmung der Einsamkeit und Abkehr von der Welt verfasste er ein bengalisches Gedicht mit dem Titel „Vrindavan bhajan“:
„Ich sitze allein in Vrindavan dham.
In der Einsamkeit beginne ich vieles zu verstehen.
Ich hatte Frau, Söhne, Töchter und Enkel.
Doch ohne Geld habe ich nichts mehr von ihnen zu erwarten.
Krishna zeigt mir das wahre Gesicht der materiellen Natur.
Durch seine Macht hat all das für mich heute seinen Reiz verloren.
Yasyaham anughrinami harishye tad-dhanam shanaih:
„Denen nehme ich alles weg, die meine Gnade erfahren“
Wie habe ich es nur verdient, diese Gnade des Allgnädigen zu verstehen?
Alle haben mich verlassen, als sie mich mittellos sahen.
Frau, Verwandte, Freunde, Brüder- alle.
Es ist ein Elend, aber es macht mich lachen.
Ich sitze allein und lache.
In diesem maya-samsara – wen liebe ich da wirklich?
Mein liebevoller Vater und meine Mutter, wohin sind sie gegangen
Und wohin all die anderen alten Verwandten?
Von dieser Familie ist nichts übriggeblieben als eine Liste von Namen.“
Warum soll man eine Person mit solcher Verwirklichung mit den Massstäben äusseren Erfolges bemessen? Wenn man ihn erspürt wird es absolut irrelevant, ob er der erste Exponent von Krishnabewusstsein im Westen war, der am meisten Bücher übersetzte, der so und so viele Schüler und Tempel zugespielt bekam – es geht dann nur noch um eines: Berührt er mein Herz und inspiriert er mich auf meiner Heimreise?
Quellen: Baba Premanand Bharati, Krishan. New York: Krishna Samaj, 1904 J. N. Farquhar, Modern Religious Movements in India. New York:Macmillan, 1915 Lalita {Maude Lalita Johnson}, Square. Laguna Beach, CA: Order of Loving Service, 1934
-Die Bilder wurden mir von Professor G. Carney von der Universität Hampden-Sydney freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
„Hindu Baba kommt hierher – Seine Mission ist es, die Vereinigten Staaten von Amerika zur Verehrung von Krishna zu inspirieren“. Das war die Schlagzeile der New York Times nicht vom 19. September 1965, als Srila Prabhupada in den USA ankam, sondern vom 16. Oktober 1902!
1857 wurde er als Surendranath Mukerji geboren. Sein Onkel war ein in ganz Bengalen bekanter Anwalt. Er studierte in Kalkuta Journalismus und arbeitete für verschiedene grössere Zeitungen und gründete zwei eigene Tageszeitungen.
Der „Herald“ schreibt später (23.11.1902) über seine Wandlung:
„Vom Journalisten zum Asketen ist ein fast unmöglicher Sprung. Es ist wie die Reise von einem Pol zum anderen. Journalismus bedeutet, die gesamte Welt in den menschlichen Geist zu drücken; Askese bedeutet, die Welt aus dem Geist hinaus zu werfen. Journalismus bedarf einer genauen Studie der Menschen und ihrer Gepflogenheiten; Askese lehrt, alle Eindrücke dieser Welt auszulöschen, unter die Oberfläche zu tauchen und den wahren Grund und die Bedeutung der Dinge zu erkennen. Um Abzutauchen bedarf es des Vergessens der Oberfläche.
Aber ein Vaishnava Asket muss nicht die gesamte Welt verneinen und sich in die Einsamkeit des Dschungels zurückziehen, um sich seiner Hingabe zu widmen. Er findet Krishna, seinen geliebten Herrn, überall und lebt im Licht der Liebe zu ihm. Ohne Krishna ist für ihn die bevölkerte Stadt New York nur Einöde und wilder Dschungel.“
Bharati beschreibt seinen inneren Wandel in einem Artikel von „Light of India“:
„Ich war sehr zufrieden in meinem materiellen Umfeld und meine Zeitung wurde bekannt nicht nur unter den Indern sondern sogar unter den Engländern. Ich war angesehen und glücklich damit.
Genau zu dem Zeitpunkt erwachten meine religiösen Ursehnsüchte und sehr bald haben sie meine Leidenschaft zum Journalismus unbedeutend erscheinen lassen. Das, was vorhin mein ein und alles war, erscheint nun fahl und leer.“
Das erste Kennzeichen einer erwachenden Seele besteht darin, dass die Seele nicht mehr wie früher Freude empfindet an allen schönen, guten und liebenswürdigen Dingen und Wesen dieser Welt. Und zwar nicht aus Enttäuschung oder Frustration heraus, sondern weil sie langsam aus ihr herauswächst, genauso wie jemand aus dem Spielzeug-Alter ganz natürlich herauswächst.
Sie fühlt, zuerst schwach, dann immer stärker und öfter: "Das ist alles irgendwie zuwenig“.
Weiter schreibt er: Der Auslöser war ein Besuch im Star-Theater in Kalkuta, wo ich einen Abend lang eine „Chaitanya-lila“ Aufführung sehen durfte. Diese unbeschreibliche erstaunliche Szene machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ich hatte das Objekt der Sehnsucht gefunden und ich habe mich entschieden, mein Leben dafür zu geben. Mit diesem Erwachen hat mich alle Anziehung an die Welt verlassen und in der Tiefe meines Herzens floss ein Strom von Glückseligkeit, der mich immer entzückte und erschauern liess.
„Krishna, mein Geliebter!“ habe ich in meinem Innern gerufen. „Ich bin dein – für immer. Du bist das Mysterium der Liebe; das Universum ist dessen Ausdruck und Chaitanya ist die barmherzigste Erklärung davon. Deine Gnade kristallisiert sich in der Begegnung eines deiner geliebten Gefährten.“
1890 bekam er spirituelle Einweihung von Brahmananda Bharati und von da an zog er als Wandermönch durch Indien, verbrachte aber viel Zeit am Radhakunda in Braj.
„Ich wanderte von Bengalen nach Vrindavan zu Fuss (1500 KM). Ich benötigte dafür etwa 2 Monate. Aber ich fühlte mich gesegnet – gesegnet bei jedem Schritt. Ich sah Krishna in Träumen, im Wachsein und im Gehen. Ich sang und tanzte zu seinen Ehren. Ich werde immer alles geben, ihn wieder zu sehen. Ich war in Ekstase. Ich legte mich auf den nackten harten Boden in den Wäldern und die Wurzeln dienten mir als Kopfkissen und schlief, wie noch nie ein Weltherrscher oder Millionär geschlafen hatte.“
Nach diesem Besuch in Vrindavan wanderte er 10 Jahre durch Indien und liess sich dann am Radhakunda nieder.
Dort am Radhakund begann er den inneren Ruf zu verspüren, in den Westen zu reisen, um dort etwas von der Faszination der Lieblichkeit von Krishna zu vermitteln.
In der Zeit traf er Swami Vivekananda, der bereits 10 Jahre vor ihm nach Chicago reiste, und er erhielt ein paar Kontaktadressen in Amerika.
Die „Tribune“ schreibt am 16.10.1902
„In den Westen geschickt wurde ich von den Mönchen, die am Radhakunda, im heiligen Bezirk Vrindavan, leben. Vrindavan ist der Ort auf dieser Erde, wo Gott selber, Sri Krishna, in diese Welt hinein erschien. Radhakund bedeutet Liebe.
Die Mönche, die um diesen kleinen See leben, sind göttlich. Sie denken an nichts anderes als an die Liebe und dehnen diese Gottesliebe zu allen Wesen hin aus. Sie sind die demütigsten Menschen der Welt. Es sind die wahren Christen wie zur Zeit des Erretters. Sie haben keinerlei Besitz und singen und beten den ganzen Tag. Mit diesen heiligen Menschen durfte ich leben und lernen. Ich bin nur einer ihrer unwürdigen Diener.
Am 22. Februar 1903 gab es eine Schlagzeile im „Herald“: Hindoo Propaganda gedeiht – wachsendes Interesse unter den Christen in New York für die Philosophie, die ein indischer Priester lehrt“ Das Folgende Foto ist gedruckt mit dem Kommentar: Baba Bharati lebte in indischen Dschungeln.
Zwei Jahre nach seiner Ankunft im Westen (Anfang Oktober 1904) spricht Bharati an einer internationalen Friedenskonferenz in Boston. Seine Worte der familiären Verbundenheit mit allen Wesen und seinen Bezug zu einem Zentrum, welches die Interessen aller Menschen vereint – Liebe zu Gott – beeindruckte die Teilnehmer tief. Er wurde zum Vizepräsidenten der Konferenz gewählt, was ihn zu einer populären Persönlichkeit Bostons macht.
Sein schriftliches Hauptwerk heisst „Sri Krishna, Lord of Love“, eine geniale Darlegung von vedischer Kosmogonie bis hin zum vertraulichen Lila Sri Krishnas.
Die amerikanische „Review of reviews“ schreibt am 31.2.1905:
Einer der gelehrten orientalischen Missionare, die zu uns im Westen unterrichten, Baba Bharati, ein gelehrter Brahmane aus Kalkuta, der nun in Boston lehrt und unterrichtet, hat eben ein Buch herausgegeben. Es beschreibt den hinduistischen Ansatz des Ursprunges und der Bedeutung des Lebens und des Universums. Es beschreibt die Geschichte des Universums von seiner Entstehung bis hin zu dessen Auflösung.
Baba Bharatis Stil ist direkt, einfach und klar und seine Gedanken sind edel und rein. Es ist ein Ausdruck eines starken Gläubigen in eine Philosophie, deren Ideale zwar aus dem fernen Osten stammen, aber dennoch einen eindringlichen Eindruck im westlichen Leser hinterlassen. Die Liebe zur Quelle des Universums, welche in der Hindu-Philosophie „Krishna“ genannt wird, ist die antreibende Kraft hinter allem im Universum. Dahin zielt alle Sehnsucht. Es ist ein aussergewöhnliches Buch – eine faszinierende Darlegung einer erhabenen Weltanschauung.“
Mit seinen Schülern druckte er ein regelmässig erscheinendes Magazin mit dem Titel „Light of India“, welches das aktuelle Zeitgeschehen aus der Perspektive des Bhagavatam beleuchtete.
Im August 1905 wird er nach Los Angeles eingeladen, um im Parlament der Weltreligionen zu sprechen. Dort tritt er in einen regen Gedankenaustausch mit führenden Vertretern von „new thought“, metaphysischem Idealismus und esoterischem Christentum. Er gibt begeisternde Vorträge und viele interessierte Suchende lassen sich von ihm einweihen.
Im Frühling des folgenden Jahres wird der erste Radha-Krishna-Tempel in Amerika in Los Angeles eröffnet. Der Tempel wurde vor kurzem abgerissen, da er einer Autobahn weichen musste. In diesem „Krishna Home“, wie der Tempel genannt wurde, lehrte und lebte Baba mit einigen seiner Schüler. Da er ein begeisternder Bhajansänger war, lehrten einige Schüler die Kunst bengalischer Verehrungslieder.
Adelia Bee Adams, eine Schülerin aus diesem Kreise, beschrieb den Ashram-Tag in einem Artikel, der im Indian Mirror gedruckt wurde:
„Vor Sonnenaufgang begannen wir mit Morgengebeten. Dann kamen wir alle zusammen zur Arati-Zeremonie zu Radha-Krishna und Chaitanya und anschliessend erklärte Guruji den Studenten über Sri Krishna und seine vollständige Erweiterung als Sri Chaitanya. Das Frühstück verzögerte sich oft auf den späten Nachmittag, da Baba – neben seiner indischen Nichtbeachtung von Zeit – es nicht erlaubte, dass das Alltägliche wie das Essen das Heilige verdrängen sollte. Aber alle Gegenwärtigen waren immer Zeuge, dass man sich dann doch sehr freute auf die verspätete kulinarische Erfrischung.“
Im gleichen Frühling wurde er auch vom König und der Königin von Baroda besucht, die extra eine Amerikareise antraten, als sie hörten, dass es dort ein Radha-Krishna Tempel gäbe.
1907 segelte er mit einer Gruppe amerikanischer Schüler nach Indien, die dort einen erstaunlichen Eindruck machten, da sie indische Bhajans sangen, Sanskritverse zitierten und in indischer Kleidung den Indern ihre eigene Philosophie unterrichteten. Das hatte in der englischen Kolonie einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
„Light of India“ erschien nun auch in Bengali und Baba reiste noch mehrmals von Indien nach Amerika und zurück. Im 24. Januar 1914 verliess er seinen Körper in Kalkutta in Folge von Diabetes. Die New York Times berichtete von seinem Verscheiden. Rose Reinhardt Anthon, eine gelehrte Schülerin von Baba, die selber viele Bücher und Publikationen über Vaishnava-Philosophie herausgab, schrieb einen langen Nachruf von Baba, der auch in der „Indian Review“ im Februar 1914 abgedruckt wurde.
Nach seinem Verscheiden
Seine Schüler lebten alle eher zurückgezogen und praktizierten im Stillen weiter (nach einigen Angaben waren es bis zu 5000 Schüler). Es bestand auch kein Interesse, die von Baba gegründete Organisation „Krishna Samaj“ weiter aufrecht zu erhalten. Sie wurde von ihm belebt und lebendig gehalten und die Schüler erkannten, dass weltliche Struktur nicht charismatische Persönlichkeiten ersetzen können.
Die bekannteste Schülerin von Baba war Rose Reinhardt Anthon, deren Buch „Stories of India: Moral, mystic, spiritual and romantic“ heute noch erhältlich ist (im Internet).
Eine Gruppierung mit dem Namen “Order of Loving Service”, die von indischer Mystik geprägt war, veröffentlichte 1934 ein Buch (“Square”) mir der Widmung: “Für Premananda Bharati, desse Liebe, Geduld und immer noch andauernde Begleitung uns aus der Dunkelheit zum Licht, aus dem Überdruss in die Ruhe, aus der Verwirrung in das Verstehen, aus dem ununterbrochenen Ringen in den anhaltenden Frieden führte“.
Die Autorin Lalita Johnson war Schülerin von Baba und begleitete ihn auf seinen Indienreisen von 1907 bis 1910.
Schüler von Baba haben 1921 den „AUM Temple of Universal Truth“ gegründet und bis in die 70 er Jahre die Bücher von Bharati und seine Artikel in ihrem Magazin gedruckt. Sie verkauften auch Bilder von ihm mit der Aufschrift: „"Our Beloved Baba Bharati". Elisabeth Delvin King, eine Schülerin von Baba, verband die Lehre von Baba Bharati mit esoterischem Christentum und hatte grossen Erfolg. Diese Gruppe hat bis in die 90 er Jahre bestanden. Diese Gruppierung versuchte mehrmals die indischen Wurzeln von ihrem Baba zu kontaktieren, blieben aber erfolglos. Zwischen 1955 und 1973 besuchten sie Indien verschiedentlich, auch Vrindavan, fanden aber keine Spuren von Baba.
Das indische Verlagshaus Natesan publizierte 1925 post mortem „Light on Life“, eine autobiografische Erzählung mit sechs Vorträgen von Baba.
Im Westen angesehen war auch sein indischer Schüler Mahanambrata Brahmachari, der an mehreren Universitäten in Amerika in den 30 er Jahren unterrichtete.
Dr. Nag schreibt in seinem Buch Tolstoy and Gandhi (1950), dass Tolstoi mehrere Briefwechsel hatte mit einem indischen Sannyasi, der in Kalifornien lebte: Baba Premananda Bharati. Tolstoi hatte ein solches Interesse an Baba Bharati's Buch “Krishna” (1904), dass er organisierte, dass das Buch ins Russische übersetzt wurde. In seinem Buch „A Letter to a Hindu” (1909) zitiert Tolstoi viel aus diesem Buch.
Kleiner Nachgedanke:
Oft wurde Srila Prabhupada als der erste Botschafter von Krishnabewusstsein in der westlichen Welt präsentiert. Das ist er nicht.
Aber die Echtheit eines Sadhus wird nicht quantitativ gemessen, wieviel er gereist ist, wie wieviele Tempel er eröffnete oder Bücher er publizierte. Es ist auch irrelevant, wieviele Schüler jemand hat. Sobald man äusserliche Wertungen auf das Heilige überträgt, findet man nicht das Heilige, sondern nur ein Spiegel für seine eigenen materiellen Ambitionen. Viele Menschen unserer Zeit sind recht allergisch geworden auf das unverdauliche Gemenge von eschatologischer Ausrichtung (Religion) und profanem Macht-und Geltungsstreben. Ich möchte Prabhupadas Stellung und Gewichtigkeit nicht minimieren, sondern sie nur von ungesunden Idealisierungen befreien.
Diesen Artikel habe ich geschrieben, weil es mich immer nachdenklich stimmte, wenn die äusseren Erungenschaften Prabhupadas in das Zentrum gestellt wurden. Man hatte manchmal fast das Gefühl, man müsse doch eine Zwangsdankbarkeit haben, da er als erster Vaishnava das Krishnabewusstsein in die westliche Welt brachte. Zwischen wesentlichen Inhalten und geschichtlichen Ereignissen, welche nicht unbedingt die Reinheit und Klarheit der Lehre reflektieren, muss immer klar unterschieden werden.
Krishna spricht in der Gita vom Karmayogi, dem es nie um Erfolg oder Misserfolg geht und der darin absolut gleich bleibt, weil sein Anliegen die banale Ebene der Vergänglichkeit übersteigt.
Ein Bhakti Yogi wie unser Prabhupada wäre nicht weniger grossartig, wenn seine gesamte Mission absolut gescheitert wäre.
Man kann auch nicht sagen, dass der Erfolg von Prabhupadas Mission (zumindest war es ein Erfolg während seiner Lebzeiten….) die spezielle Gnade Krishnas wäre. Diese Haltung würde Calvinismus widerspiegeln, der besagt, dass ein Erfolg in der Welt als Zeichen für den Gnadenstand gewertet werden könne. Es ist genau die protestantische Ethik, die die Tatsache von vielen eröffneten Tempeln, vielen Schülern und gedruckten Büchern als Merkmal der besonderen Ermächtigung und Erwählung Gottes interpretiert.
Als Srila Prabhupada alleine in Vrindavan lebte, und ihm das Geld ausging, das „Back to Godhead“ weiterhin zu drucken, ging er nach Vrindavana zurück. In einer Stimmung der Einsamkeit und Abkehr von der Welt verfasste er ein bengalisches Gedicht mit dem Titel „Vrindavan bhajan“:
„Ich sitze allein in Vrindavan dham.
In der Einsamkeit beginne ich vieles zu verstehen.
Ich hatte Frau, Söhne, Töchter und Enkel.
Doch ohne Geld habe ich nichts mehr von ihnen zu erwarten.
Krishna zeigt mir das wahre Gesicht der materiellen Natur.
Durch seine Macht hat all das für mich heute seinen Reiz verloren.
Yasyaham anughrinami harishye tad-dhanam shanaih:
„Denen nehme ich alles weg, die meine Gnade erfahren“
Wie habe ich es nur verdient, diese Gnade des Allgnädigen zu verstehen?
Alle haben mich verlassen, als sie mich mittellos sahen.
Frau, Verwandte, Freunde, Brüder- alle.
Es ist ein Elend, aber es macht mich lachen.
Ich sitze allein und lache.
In diesem maya-samsara – wen liebe ich da wirklich?
Mein liebevoller Vater und meine Mutter, wohin sind sie gegangen
Und wohin all die anderen alten Verwandten?
Von dieser Familie ist nichts übriggeblieben als eine Liste von Namen.“
Warum soll man eine Person mit solcher Verwirklichung mit den Massstäben äusseren Erfolges bemessen? Wenn man ihn erspürt wird es absolut irrelevant, ob er der erste Exponent von Krishnabewusstsein im Westen war, der am meisten Bücher übersetzte, der so und so viele Schüler und Tempel zugespielt bekam – es geht dann nur noch um eines: Berührt er mein Herz und inspiriert er mich auf meiner Heimreise?
Quellen: Baba Premanand Bharati, Krishan. New York: Krishna Samaj, 1904 J. N. Farquhar, Modern Religious Movements in India. New York:Macmillan, 1915 Lalita {Maude Lalita Johnson}, Square. Laguna Beach, CA: Order of Loving Service, 1934
-Die Bilder wurden mir von Professor G. Carney von der Universität Hampden-Sydney freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
25. Juli 2008
Wunsch nach Einzigartikeit
Im Angesicht des Terrors
Das Wissen um die eigene Sterblichkeit löst eine existenzielle Angst aus, einen inneren Terror. All das, was man in seinem Leben mit viel Anstrengung und Aufwand tut, ist letztlich sinnlos. Diese Vergeblichkeit empfindet der Mensch als entwürdigend.
Der Mensch ahnt bereits schon als Kind und weiss dann später, dass er sterben wird. Das macht ihn zum verängstigten, vor dem Tode zurückschreckenden Tier.
Um damit zu Recht zu kommen, schafft sich der Mensch einen selbstgemachten Schein-Sinn und gibt sich dadurch Ordnung, Sinn und eine eingebildete Dauerhaftigkeit, die über die eigene Lebenszeit hinausreicht und einem das Gefühl von Unsterblichkeit verleiht. Aus dem Wunsch, mit dem physischen Ende nicht als bedeutungslos ausgelöscht zu sein, strebt der Mensch danach, bei anderen in Erinnerung zu bleiben – meistens durch die Idee einer eigenen Familie, durch soziale und wissenschaftliche Leistungen, umwälzende Ideen, Werke der Kunst oder man versucht, sich mit einem religiösen Glauben ein ewiges Leben zu sichern.
Das schafft ein Selbstwertsgefühl, welches einen Menschen sein Leben als sinnvoll erleben und betrachten lässt. Man will nicht ohne Sinn auf diesem Planeten gelebt, gearbeitet und gelitten haben, für nichts hier gestorben sein.
Der Wunsch nach Auszeichnung und Einzigartigkeit lässt sich schon an der Geschwisterrivalität beobachten, am Kampf um das grössere Stück Schokolade oder darum, als erster irgendwo zu sein. Kinder sind nicht bösartig, sondern sie verkörpern ganz unverhüllt das tragische Schicksal der Menschheit. Der Mensch kämpft verzweifelt, um sich im Kosmos als etwas Einzigartiges zu behaupten, ein Held zu sein, damit er mehr zählt als jedes andere Ding. Die kindliche Rivalität wird dann bei den Erwachsenen zu einem Konkurrenzkampf, zu einem Gegeneinander, um die grösstmögliche Aufmerksamkeit zu erringen. Man möche sich durch äussere Umstände Bedeutung zusprechen, durch einen Status in der vergänglichen Welt einen Wert und eine Sicherheit garantieren.
Schutzbedürftigkeit
Das kleine Kind ist in einer hilflosen Situation. Überall um es herum lauert das Chaos. Das macht Angst, die sich noch verstärkt, wenn es seine körperliche Verletzbarkeit oder gar den Tod von Eltern, Geschwistern oder nur eines Haustieres erlebt. Die Furcht vor dem Tod schlägt sich in der Furcht vor dem Leben nieder. Die Aussenwelt wird feindlich erlebt, weshalb das Kind Sicherheit und Schutz sucht. Dieses Schutzbedürfnis überträgt es dann auf Schutzpersonen, die dadurch zu machtvollen Gestalten werden, allein fähig, die Mächte des Chaos zu bannen. Diese Übertragung dient als Bezähmung des Schreckens.
Das hat freilich den Preis eines neuen Schreckens: der Angst vor dem Verlust des Objekts, das einem hilft, den Tod zu besiegen. Um diesen Schutz zu erhalten, muss sich das Kind den Objektes des Schutzes (Eltern, Gott) durch Selbstkontrolle anpassen, jedes Missfallen vermeiden und dadurch die Liebe und Aufmerksamkeit verdienen.
Die positive Reaktion der Gesellschaft und der Eltern gibt dem Kind das Gefühl von Bedeutung zu sein. Das Ergebnis ist Konformität und Anpassung.
Religion, wie sie in der Welt verstanden wird, macht zwar unabhängig von menschlichen Normen, vom Anpassungsdrang anderen Menschen gefallen zu wollen, doch die moralische Religiosität überträgt das Konzept dann gleich darauf, dem Quell der Schöpfung gefallen zu wollen. So wächst dann schnell eine Angst heran, dem allgegenwärtigen Gott gefallen zu sollen und seinen Ansprüchen zu entsprechen.
Das gibt ein unvermeidliches Paradox: auf der einen Seite der Wunsch nach Einzigartigkeit und Überwindung aller Vorgaben und auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Anpassung, Anerkennung durch das soziale Umfeld und Konformität.
passiver und aktiver Heroismus
In dem grösseren Ganzen aufzugehen, mit dem All verwandt zu sein, in kosmischer Verbundenheit zu leben, steigert das eigene Sein und vermittelt dem Menschen das Gefühl eines transzendenten, unsterblichen Wertes. Das ist ein Versuch, der Sterblichkeit zu entkommen – ein passiver Heroismus.
Auf der anderen Seite möchte der Mensch nirgendwo aufgehen, sondern einmalig und unverwechselbar sein, seinen Drang nach Unsterblichkeit durch einzigartige Leistungen verwirklichen. Es treibt den Menschen danach, sich von der Natur abzuheben und sie zu überragen – ein aktiver Heroismus.
Der passive Heroismus hebt die Einsamkeit auf, doch der aktive Heroismus führt in die Isolation, denn es ist eine „vergängliche Unsterblichkeit“, welche die Früchte von Leistung und Spurenbildung innerhalb der Welt zu vermitteln vermögen. Denn auch wenn das Gewünschte eintritt, verliert es dennoch an Bedeutung im Laufe der Zeit und wird vergessen.
transzendentale Einzigartigkeit
Als ewige Seele ist man bereits einzigartig und braucht sich nicht mehr künstlich herauszuheben. Man hat bereits einen Wert in Gott und muss sich durch Position, Familie oder Aktivität nicht einen Wert zusprechen. Man ist geliebt ohne sich auf eine bestimmte Art verhalten zu müssen, um sich die Liebe Gottes zu verdienen.
Religion schenkt die Erkenntnis, dass es unmöglich ist, innerhalb der eigenen conditio humana ein Absolutum zu bilden. Das wäre die Kompensation des Agape-Motives ins Zeitweilige hinein. Der kosmische Heroismus, auch Gottesglaube genannt, enthebt den Menschen aus seiner Sterbeangst, weil er versteht, dass es für ihn als ewiges Wesen gar keinen Tod gibt und nie gegeben hat. So wird er aus der Bedürftigkeit enthoben und kann nun erst wirklich sein Leben als Geschenk für Gott einsetzen - enthoben der Bedrohung einer existenziellen Angst im Nacken.
Das Wissen um die eigene Sterblichkeit löst eine existenzielle Angst aus, einen inneren Terror. All das, was man in seinem Leben mit viel Anstrengung und Aufwand tut, ist letztlich sinnlos. Diese Vergeblichkeit empfindet der Mensch als entwürdigend.
Der Mensch ahnt bereits schon als Kind und weiss dann später, dass er sterben wird. Das macht ihn zum verängstigten, vor dem Tode zurückschreckenden Tier.
Um damit zu Recht zu kommen, schafft sich der Mensch einen selbstgemachten Schein-Sinn und gibt sich dadurch Ordnung, Sinn und eine eingebildete Dauerhaftigkeit, die über die eigene Lebenszeit hinausreicht und einem das Gefühl von Unsterblichkeit verleiht. Aus dem Wunsch, mit dem physischen Ende nicht als bedeutungslos ausgelöscht zu sein, strebt der Mensch danach, bei anderen in Erinnerung zu bleiben – meistens durch die Idee einer eigenen Familie, durch soziale und wissenschaftliche Leistungen, umwälzende Ideen, Werke der Kunst oder man versucht, sich mit einem religiösen Glauben ein ewiges Leben zu sichern.
Das schafft ein Selbstwertsgefühl, welches einen Menschen sein Leben als sinnvoll erleben und betrachten lässt. Man will nicht ohne Sinn auf diesem Planeten gelebt, gearbeitet und gelitten haben, für nichts hier gestorben sein.
Der Wunsch nach Auszeichnung und Einzigartigkeit lässt sich schon an der Geschwisterrivalität beobachten, am Kampf um das grössere Stück Schokolade oder darum, als erster irgendwo zu sein. Kinder sind nicht bösartig, sondern sie verkörpern ganz unverhüllt das tragische Schicksal der Menschheit. Der Mensch kämpft verzweifelt, um sich im Kosmos als etwas Einzigartiges zu behaupten, ein Held zu sein, damit er mehr zählt als jedes andere Ding. Die kindliche Rivalität wird dann bei den Erwachsenen zu einem Konkurrenzkampf, zu einem Gegeneinander, um die grösstmögliche Aufmerksamkeit zu erringen. Man möche sich durch äussere Umstände Bedeutung zusprechen, durch einen Status in der vergänglichen Welt einen Wert und eine Sicherheit garantieren.
Schutzbedürftigkeit
Das kleine Kind ist in einer hilflosen Situation. Überall um es herum lauert das Chaos. Das macht Angst, die sich noch verstärkt, wenn es seine körperliche Verletzbarkeit oder gar den Tod von Eltern, Geschwistern oder nur eines Haustieres erlebt. Die Furcht vor dem Tod schlägt sich in der Furcht vor dem Leben nieder. Die Aussenwelt wird feindlich erlebt, weshalb das Kind Sicherheit und Schutz sucht. Dieses Schutzbedürfnis überträgt es dann auf Schutzpersonen, die dadurch zu machtvollen Gestalten werden, allein fähig, die Mächte des Chaos zu bannen. Diese Übertragung dient als Bezähmung des Schreckens.
Das hat freilich den Preis eines neuen Schreckens: der Angst vor dem Verlust des Objekts, das einem hilft, den Tod zu besiegen. Um diesen Schutz zu erhalten, muss sich das Kind den Objektes des Schutzes (Eltern, Gott) durch Selbstkontrolle anpassen, jedes Missfallen vermeiden und dadurch die Liebe und Aufmerksamkeit verdienen.
Die positive Reaktion der Gesellschaft und der Eltern gibt dem Kind das Gefühl von Bedeutung zu sein. Das Ergebnis ist Konformität und Anpassung.
Religion, wie sie in der Welt verstanden wird, macht zwar unabhängig von menschlichen Normen, vom Anpassungsdrang anderen Menschen gefallen zu wollen, doch die moralische Religiosität überträgt das Konzept dann gleich darauf, dem Quell der Schöpfung gefallen zu wollen. So wächst dann schnell eine Angst heran, dem allgegenwärtigen Gott gefallen zu sollen und seinen Ansprüchen zu entsprechen.
Das gibt ein unvermeidliches Paradox: auf der einen Seite der Wunsch nach Einzigartigkeit und Überwindung aller Vorgaben und auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Anpassung, Anerkennung durch das soziale Umfeld und Konformität.
passiver und aktiver Heroismus
In dem grösseren Ganzen aufzugehen, mit dem All verwandt zu sein, in kosmischer Verbundenheit zu leben, steigert das eigene Sein und vermittelt dem Menschen das Gefühl eines transzendenten, unsterblichen Wertes. Das ist ein Versuch, der Sterblichkeit zu entkommen – ein passiver Heroismus.
Auf der anderen Seite möchte der Mensch nirgendwo aufgehen, sondern einmalig und unverwechselbar sein, seinen Drang nach Unsterblichkeit durch einzigartige Leistungen verwirklichen. Es treibt den Menschen danach, sich von der Natur abzuheben und sie zu überragen – ein aktiver Heroismus.
Der passive Heroismus hebt die Einsamkeit auf, doch der aktive Heroismus führt in die Isolation, denn es ist eine „vergängliche Unsterblichkeit“, welche die Früchte von Leistung und Spurenbildung innerhalb der Welt zu vermitteln vermögen. Denn auch wenn das Gewünschte eintritt, verliert es dennoch an Bedeutung im Laufe der Zeit und wird vergessen.
transzendentale Einzigartigkeit
Als ewige Seele ist man bereits einzigartig und braucht sich nicht mehr künstlich herauszuheben. Man hat bereits einen Wert in Gott und muss sich durch Position, Familie oder Aktivität nicht einen Wert zusprechen. Man ist geliebt ohne sich auf eine bestimmte Art verhalten zu müssen, um sich die Liebe Gottes zu verdienen.
Religion schenkt die Erkenntnis, dass es unmöglich ist, innerhalb der eigenen conditio humana ein Absolutum zu bilden. Das wäre die Kompensation des Agape-Motives ins Zeitweilige hinein. Der kosmische Heroismus, auch Gottesglaube genannt, enthebt den Menschen aus seiner Sterbeangst, weil er versteht, dass es für ihn als ewiges Wesen gar keinen Tod gibt und nie gegeben hat. So wird er aus der Bedürftigkeit enthoben und kann nun erst wirklich sein Leben als Geschenk für Gott einsetzen - enthoben der Bedrohung einer existenziellen Angst im Nacken.
2. Juli 2008
Dringliche Bitte des Kalbes
(Dieser Text ist ein Ausschnitt aus einer kleinen Video-Animation, die ich gerade produziert habe. Wer diese gerne haben möchte, kann sie bei uns bekommen: ananda dham, c.p.40, 6656 Golino, Schweiz)
Im Menschen steckt eine Ursehnsucht, dass die Täter nicht über ihre Opfer triumphieren. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit steckt tief in uns – und wir dürfen sie nicht überspringen.
Gleichgültigkeit vor dem Leiden anderer ist Stumpfheit. Wie kann man sich vor dem Leidensschrei unserer Geschwister in der Tierwelt verschliessen? Das wäre unaushaltbare Verantwortungslosigkeit.
Es ist irrelevant, von was für Grundwerten wir sprechen. Das Wesentliche ist, was wir leben. Fleischessen ist direkter Auftrag zur Auslöschung von Leben.
Die Bibel berichtet vom Brudermord in der Genesis. Als Gott Kain zur Rechenschaft zieht und ihn fragt: „Wo ist dein Bruder Abel?“ , antwortet Kain: „Ich weiss es nicht.“ (Gen 4.9)
Kain verweigert die Verantwortung für sein Tun. Doch das führt dazu, dass er sein Leben lang mit existentieller Unruhe umerherwandern muss.
Tiere sind entweder geliebte Haus- und Kuscheltiere oder tauchen unter in einer anonymen Masse, die wir dann töten lassen und auf dem Teller verspeisen.
Diese Irrationalität im Umgang mit Tieren bedeutet, dass man einige Tiere vermenschlicht und zur Kompensation mangelnder sozialer Beziehungen werden lässt und auf der anderen Seite Tiere instumentalisiert für Eigeninteressen. Zwecks Gaumen- und anderen Selbst-Interessen werden sie entindividualisiert.
Der Mensch hat sich eingeredet, die Krönung der Schöpfung zu sein. Anstatt nun voller Mitgefühl und Segen diese Verantwortung anzunehmen, sind wir Ausbeuter geworden und leben eine Weltanschauung, die einen glauben lässt, dass alle anderen Kreaturen nur dazu geschaffen seien, dem Menschen Nahrung und Pelze zu liefern, um gequält und ausgerottet zu werden. Man spricht den Tieren willkürlich ihren eigenen Existenzzweck ab.
Wenn wir über die Beziehung des Menschen zu seinen Mitgeschöpfen, den Tieren, nachdenken, nimmt man in erschreckendem Masse wahr, wie sehr unsere Gesellschaft auf institutionalisierte Gewalt gegen Tiere gegründet ist.
Wir befinden uns mit den anderen Geschöpfen dieser Erde im Krieg. Überall hat der menschliche Imperialismus die Tiervölker versklavt, unterdrückt, ermordet und verstümmelt. Überall um uns herum liegen die Sklaven- und Vernichtungslager, die wir für unsere Mitgeschöpfe errichtet haben: Zuchtfabriken und Schlachthäuser – Dachaus und Buchenwalds für die besiegten Arten.
Das Angewöhnte ist bequem. Die Frage des Gewissens aber lautet: Ist es gerecht?
Alles, was das Tier kann, darf es auch. Der Mensch kann viele Dinge, die er nicht darf.
Aus dem Buch von Peter Longerich „'Davon haben wir nichts gewusst!` Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933 - 1945":
„Frauen fielen in Ohnmacht oder weinten. Männer bedeckten ihr Gesicht und drehten die Köpfe weg. Als die Zivilisten immer wieder riefen: `Wir haben nichts gewußt! Wir haben nichts gewußt!`, gerieten die Ex-Häftlinge außer sich vor Wut. `Ihr habt es gewußt`, schrien sie. `Wir haben neben euch in den Fabriken gearbeitet. Wir haben es euch gesagt und dabei unser Leben riskiert. Aber ihr habt nichts getan.`" Ein erheblicher Teil der Menschen hat vom Holocaust gewußt. Denn die Deportationen (...) geschahen ja nicht im Dunkel der Nacht, sondern vor aller Augen, am hellichten Tage. Und sie wurden begleitet von Kommentaren in der Presse, die keinen Zweifel daran ließen, welches Schicksal die Deportierten (...) erwartete." Exakt wie heute mit Tieren! Auch heute begegnen wir täglich auf der Autobahn den Schlachttiertranporten. Und auch heute wird darüber in den Zeitungen regelmäßig berichtet. Und auch heute wollen die Menschen davon nichts wissen. Was ist eigentlich die angemessene, die moralisch richtige individuelle Reaktion auf kollektives Unrecht, das uns umgibt? In bezug auf die Nazizeit gibt die 85jährige Verlegerin Maria Sommer folgende Antwort: „Jeder ist schuldig, der nicht im Widerstand war." (ZEITmagazin Leben, 29, 2007, S. 44 f.) Von jedem aktiven Widerstand zu fordern, ist vielleicht zuviel verlangt, zumindest, wenn man darunter Dinge versteht, die geeignet sind, einen mit dem Gesetz in Konflikt zu bringen.Was man hingegen auf alle Fälle verlangen kann, ist, daß sich jemand nicht bewußt und aktiv an diesen Verbrechen BETEILIGT! Genau das macht aber jeder Fleischesser. Angesichts des heutigen Wissensstandes über das, was mit den Tieren passiert, bevor sie auf unserem Teller landen und angesichts des breiten Angebots an vegetarischen Lebensmitteln, ist, wer heute noch immer Fleisch ißt, nicht Mitläufer, sondern Mittäter.
Mittlerweile ist eine neue und besonders gefährliche Generation von Fleischessern herangewachsen, die sich der Grausamkeit und ethischen Abstrusität des Tötens für Gaumenfreude vollkommen bewusst ist, dies aber noch für legitim hält, das es ja nur Tiere sind – und damit für unsere Interessen verfügbar.
Diese neue Generation ernährt sich gesund, natürlich und bewusst. Sie argumentieren, dass sie sich als Teil eines grösseren Ganzen begreifen, wo das „Fressen und Gefressenwerden" unvermeidbar sei. Bei dieser diffusen Natürlichkeits-Folkore mutiert das Umbringen der Tiere geradezu zum Dienst an der Schöpfung. Wer sich solcherart „naturnah" und „bewußt" mit Fleisch versorgt, klinkt sich quasi wieder aktiv ins natürliche Geschehen ein. Das Tier kann nichts, was es nicht darf – der Mensch sehr viel. Beim Menschen existieren keine absolut notwendigen Verhaltensweisen. Er hat sich zu entscheiden.
Gerade dieses Geschöpf, das sich immer als Krone der Schöpfung betrachtet, rechtfertigt sein Lustmorden mit einer Natur-Notwendigkeit, die gar nicht besteht.
Die dringliche Bitte des Kalbes an dich ist deshalb: „Lass uns leben – ernähre dich vegetarisch.“
Im Menschen steckt eine Ursehnsucht, dass die Täter nicht über ihre Opfer triumphieren. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit steckt tief in uns – und wir dürfen sie nicht überspringen.
Gleichgültigkeit vor dem Leiden anderer ist Stumpfheit. Wie kann man sich vor dem Leidensschrei unserer Geschwister in der Tierwelt verschliessen? Das wäre unaushaltbare Verantwortungslosigkeit.
Es ist irrelevant, von was für Grundwerten wir sprechen. Das Wesentliche ist, was wir leben. Fleischessen ist direkter Auftrag zur Auslöschung von Leben.
Die Bibel berichtet vom Brudermord in der Genesis. Als Gott Kain zur Rechenschaft zieht und ihn fragt: „Wo ist dein Bruder Abel?“ , antwortet Kain: „Ich weiss es nicht.“ (Gen 4.9)
Kain verweigert die Verantwortung für sein Tun. Doch das führt dazu, dass er sein Leben lang mit existentieller Unruhe umerherwandern muss.
Tiere sind entweder geliebte Haus- und Kuscheltiere oder tauchen unter in einer anonymen Masse, die wir dann töten lassen und auf dem Teller verspeisen.
Diese Irrationalität im Umgang mit Tieren bedeutet, dass man einige Tiere vermenschlicht und zur Kompensation mangelnder sozialer Beziehungen werden lässt und auf der anderen Seite Tiere instumentalisiert für Eigeninteressen. Zwecks Gaumen- und anderen Selbst-Interessen werden sie entindividualisiert.
Der Mensch hat sich eingeredet, die Krönung der Schöpfung zu sein. Anstatt nun voller Mitgefühl und Segen diese Verantwortung anzunehmen, sind wir Ausbeuter geworden und leben eine Weltanschauung, die einen glauben lässt, dass alle anderen Kreaturen nur dazu geschaffen seien, dem Menschen Nahrung und Pelze zu liefern, um gequält und ausgerottet zu werden. Man spricht den Tieren willkürlich ihren eigenen Existenzzweck ab.
Wenn wir über die Beziehung des Menschen zu seinen Mitgeschöpfen, den Tieren, nachdenken, nimmt man in erschreckendem Masse wahr, wie sehr unsere Gesellschaft auf institutionalisierte Gewalt gegen Tiere gegründet ist.
Wir befinden uns mit den anderen Geschöpfen dieser Erde im Krieg. Überall hat der menschliche Imperialismus die Tiervölker versklavt, unterdrückt, ermordet und verstümmelt. Überall um uns herum liegen die Sklaven- und Vernichtungslager, die wir für unsere Mitgeschöpfe errichtet haben: Zuchtfabriken und Schlachthäuser – Dachaus und Buchenwalds für die besiegten Arten.
Das Angewöhnte ist bequem. Die Frage des Gewissens aber lautet: Ist es gerecht?
Alles, was das Tier kann, darf es auch. Der Mensch kann viele Dinge, die er nicht darf.
Aus dem Buch von Peter Longerich „'Davon haben wir nichts gewusst!` Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933 - 1945":
„Frauen fielen in Ohnmacht oder weinten. Männer bedeckten ihr Gesicht und drehten die Köpfe weg. Als die Zivilisten immer wieder riefen: `Wir haben nichts gewußt! Wir haben nichts gewußt!`, gerieten die Ex-Häftlinge außer sich vor Wut. `Ihr habt es gewußt`, schrien sie. `Wir haben neben euch in den Fabriken gearbeitet. Wir haben es euch gesagt und dabei unser Leben riskiert. Aber ihr habt nichts getan.`" Ein erheblicher Teil der Menschen hat vom Holocaust gewußt. Denn die Deportationen (...) geschahen ja nicht im Dunkel der Nacht, sondern vor aller Augen, am hellichten Tage. Und sie wurden begleitet von Kommentaren in der Presse, die keinen Zweifel daran ließen, welches Schicksal die Deportierten (...) erwartete." Exakt wie heute mit Tieren! Auch heute begegnen wir täglich auf der Autobahn den Schlachttiertranporten. Und auch heute wird darüber in den Zeitungen regelmäßig berichtet. Und auch heute wollen die Menschen davon nichts wissen. Was ist eigentlich die angemessene, die moralisch richtige individuelle Reaktion auf kollektives Unrecht, das uns umgibt? In bezug auf die Nazizeit gibt die 85jährige Verlegerin Maria Sommer folgende Antwort: „Jeder ist schuldig, der nicht im Widerstand war." (ZEITmagazin Leben, 29, 2007, S. 44 f.) Von jedem aktiven Widerstand zu fordern, ist vielleicht zuviel verlangt, zumindest, wenn man darunter Dinge versteht, die geeignet sind, einen mit dem Gesetz in Konflikt zu bringen.Was man hingegen auf alle Fälle verlangen kann, ist, daß sich jemand nicht bewußt und aktiv an diesen Verbrechen BETEILIGT! Genau das macht aber jeder Fleischesser. Angesichts des heutigen Wissensstandes über das, was mit den Tieren passiert, bevor sie auf unserem Teller landen und angesichts des breiten Angebots an vegetarischen Lebensmitteln, ist, wer heute noch immer Fleisch ißt, nicht Mitläufer, sondern Mittäter.
Mittlerweile ist eine neue und besonders gefährliche Generation von Fleischessern herangewachsen, die sich der Grausamkeit und ethischen Abstrusität des Tötens für Gaumenfreude vollkommen bewusst ist, dies aber noch für legitim hält, das es ja nur Tiere sind – und damit für unsere Interessen verfügbar.
Diese neue Generation ernährt sich gesund, natürlich und bewusst. Sie argumentieren, dass sie sich als Teil eines grösseren Ganzen begreifen, wo das „Fressen und Gefressenwerden" unvermeidbar sei. Bei dieser diffusen Natürlichkeits-Folkore mutiert das Umbringen der Tiere geradezu zum Dienst an der Schöpfung. Wer sich solcherart „naturnah" und „bewußt" mit Fleisch versorgt, klinkt sich quasi wieder aktiv ins natürliche Geschehen ein. Das Tier kann nichts, was es nicht darf – der Mensch sehr viel. Beim Menschen existieren keine absolut notwendigen Verhaltensweisen. Er hat sich zu entscheiden.
Gerade dieses Geschöpf, das sich immer als Krone der Schöpfung betrachtet, rechtfertigt sein Lustmorden mit einer Natur-Notwendigkeit, die gar nicht besteht.
Die dringliche Bitte des Kalbes an dich ist deshalb: „Lass uns leben – ernähre dich vegetarisch.“
30. März 2008
Theodizee
Theodizee -
Die Rechtfertigung Gottes angesichts des Leides in der Welt
Der Begriff „Theodizee“wurde erstmals von Leibniz in seinem 1710 publizierten Buch „Über die Theodizee – Betrachtung der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und der Ursache des Bösen“ publiziert. Theodizee leitet sich ab vom Griechischen Theos (Gott) und Dikae (Gerechtigkeit).
Es existiert einen Widerspruch zwischen der Allmacht Gottes und seiner Gutheit.
Wie kann Gott das zulassen ?
Unser Leben zeigt vielerlei Leiden: Naturkatastrophen, Krieg, Verbrechen, Krankheiten. Warum hat Gott eine Welt erschaffen, in der es Leid und Schmerz gibt? Hätte Gott nicht eine bessere erschaffen können?
Das Theodizee-Problem gründet sich in dem erfahrenen Widerspruch zwischen dem Glauben an Gott und dem Sinn-Verlust, der mit dem Leiden verbunden ist. Wie kann ein allmächtiger und gütiger Gott die Übel und das Böse in der Welt zulassen, warum müssen wir leiden?
Das Problem entsteht nicht nur denkerisch, sondern direkt für den Menschen, der an Gott glaubt und von einem großen Leid, Unrecht oder sogar von einem Verbrechen heimgesucht wird. „Wie kann Gott das zulassen?“ ist die Frage. Gott will doch nur das Gute, das Beste? Ist das nun das Beste?
Wie aber kann ein guter Gott soviel Leid in seiner Schöpfung verursachen oder zulassen? Das immense Leid scheint entweder gegen seine Allmacht oder gegen seine Güte zu stehen. Diese Frage ist einerseits verständlich angesichts des erdrückenden Leides in der Welt, andererseits wird sie oft gestellt, um Gott auf die Anklagebank zu setzen, da eine oberflächliche Spiritualität diese Fragen nicht wirklich befriedigend beantworten kann.
Wie kann an Gottes Gerechtigkeit und Güte festgehalten werden, wenn Gott über hunderte von Millionen Jahren Krankheit, Missbildung, Grausamkeit, Tod, Artentod, und zuletzt (beim Menschen) auch die Möglichkeit der Abwendung eingesetzt hat, um die Lebewesen hervorzubringen? Das Übel erscheint demnach nicht als „Einbrecher" in eine ursprünglich leidfreie Schöpfung, sondern von vornherein als ihr Hausherr.
Wenn es Gott gibt, woher kommt das Böse? Doch woher kommt das Gute, wenn es ihn nicht gibt. Was wäre beständig gut?
Französische Existentialisten haben geschlussfolgert: „Die einzige Entschuldigung Gottes (angesichts des Übels in der Welt) ist, daß er nicht existiert.“
Die Erfahrungen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts zeigten dann, daß atheistische Systeme, die ja eine bessere Welt herbeiführen wollten, immer mehr in das Üble geraten. Ohne Gott scheint die Würde des Menschen nicht geschützt.
Eine prägnante, oft zitierte Formulierung des Problems lautet:
Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht:
Dann ist Gott schwach. Und das hiesse: nicht Gott.
Oder er kann es und will es nicht:
Dann ist Gott missgünstig. Das Widerspräche seiner Gnade und seinem Mitgefühl.
Oder er will es nicht und kann es nicht:
Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott,
Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt:
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?
Diese Argumentation wurde von dem Kirchenschriftsteller Laktanz (ca. 250 bis nach 317) überliefert.
Das Theodizeeproblem besteht im Widerspruch zwischen zwei Aussagen. Auf der einen Seite steht die Aussage, es gebe einen allmächtigen, allgütigen und allwissenden Gott – auf der anderen Seite steht die Feststellung, dass es Übel in der Welt gibt.
Verträgt sich die Lehre vom allmächtigen und gerechten und liebenden Gott mit der Erfahrung einer Welt voller Ungerechtigkeiten? Wie lässt sich das unendliche Leid auf dieser Welt mit der Vorstellung eines Gottes der Liebe vereinbaren?
Versuche, das Übel zu erklären
Wenn man solche Betrachtungen anstellt muss man sich immer vor der Anmassung bewahren, wirklich die Gesamtsicht zu haben. Kant warnt vor dieser spirituellen Arroganz: „Wir sind zu begrenzt, um metaphysische Spekulationen anzustellen. Hier stößt unsere Vernunft an ihre Grenzen (Kant: Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, 1791).
Das zur Urteilsfindung herangezogene Quellenmaterial und die daraus entwickelten theologischen/philosophischen Denkmodelle sind unzureichend, sind noch nicht vollständig.
Der Mensch steht einfach staunend in einer ihm unbegreiflichen Schöpfung, Zuschauer sozusagen in göttlichen Abläufen.
Und dennoch hat uns Gott Vernunft geschenkt und will natürlich, dass wir sie auch gebrauchen – um die Offenbarung vom Ihm nachzuvollziehen.
In diesem Zusammenhang sind die folgenden Gedanken auch zu verstehen.
-Wir leben in der besten aller möglichen Welten (Leibniz)
Nach Gottfried Wilhelm Leibniz gibt es eine unendliche Anzahl möglicher Welten. Von diesen hat Gott nur eine geschaffen, nämlich die vollkommenste, in der das Übel den kleinsten Raum hat („die beste aller möglichen Welten“). Jede Form des Übels ist letztlich notwendig und erklärbar.
Leibniz sagt, dass das „malum metaphysicum“, das metaphysische Übel natürlich sei. Das Geschaffene ist notwendig unvollkommen, da es sonst mit Gott identisch wäre.
Hätte ein allmächtiger Schöpfer nicht doch eine anders geartete Schöpfung erschaffen können?
Nein, er schuf die Beste aller Welten
-Er hätte sie so beschaffen können, dass sie ewig ist. Das wäre die ewige Trennung zu Gott.
-Er könnte jedem einzelnen Wesen eine eigene Welt geben. Das wäre unendliche Langeweile.
- Eine andere Option wäre es, der Menschheit den freien Willen zu nehmen. Aber das würde jegliche Liebe verunmöglichen.
-Er legt viele Lebewesen in eine Welt. Das wäre die Hölle. Seine Gnade ist die Vergänglichkeit und die inhärent in jedem Moment liegende Möglichkeit zur Rückkehr zu ihm.
-durch Annahme der Freiheit des Menschen
Einen weiteren Ansatz bei der Lösung der Theodizee-Frage liegt in der Annahme, dass Gott dem Menschen Freiheit und Eigenverantwortung in seinem Handeln lasse. Ohne Freiheit sei Liebe nicht zu verwirklichen.
Diese Freiheit birgt aber das Risiko des Scheiterns. Doch hier kann man weiterfragen, ob dieses Risiko nicht vermeidbar wäre, ohne die Liebe in Freiheit zu verlieren.
Da das zeitlich-irdische Leben zwar ein sehr hohes, aber nicht das höchste Gut ist, muss es weder von Gott noch von den Menschen mit allen Mitteln angestrebt werden. Das höchste Ziel bzw. Gut des Menschen ist immer die Rückkehr, die ewige Beziehung des Lebewesens mit Sri Krishna, d.h. die maximal mögliche Gemeinschaft mit Gott.
Wenn man denkt, dass irgendein Beschwernis oder Leid, das man in samsara (dem Kreislauf der Geburten und Tode) durchlebt, eine andere Ursache hätte, als seine Trennung zu Gott, so ist das die perfekte Definition von maya (dem, was eben nicht ist).
Gott bewirkt das Leid und das moralische Übel nicht, aber lässt die Würde des freien Willens zu, der selbst Abwendung von der Wirklichkeit beinhaltet. Zur gleichen Zeit macht er alle Arrangierungen, um die Seele wieder zur Ewigkeit hinzulocken. Er überlässt der Seele die Möglichkeit der Wahl innerhalb der Grenzen der Karma-Gesetze, die den übertriebenen Egoismus regeln sollen und die ja nur einen Ersatz-Gott darstellen, wenn man dem liebenden Austausch ausweichen möchte.
Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich nicht aus der Welt hinausdrängen, aber sehr wohl aus unserem Blickfeld. Wie lange will man noch Widerstand leisten?
-Die Perspektive der Reinkarnation
Wenn sich das Theodizee-Problem in seiner ursprünglichen Formulierung nicht auflösen lässt, muss dies nicht unbedingt heißen, dass Gott die ihm zugeschriebenen Eigenschaften nicht hat. Möglich ist auch, dass die gemachten Annahmen zu einfach sind: Gottes Güte besteht darin, den Menschen einen Zeitrahmen von unendlich vielen Leben zu geben, in welchen sie durch die von ihnen erwünschte Trennung zur Wirklichkeit, die sie als Leid empfinden, langsam korrigiert wird uns sie lernen, sich im göttlichen Sinne zu verhalten.
Vor allem kann das Böse, das den Unschuldigen trifft, nicht damit erklärt werden, daß es ihm zur Erziehung gereicht. Die Frage aus der Reinkarnation ergibt sich: Gibt es Unschuldige?
Reinkarnation erweitert den Betrachtungshorizont der Lebensgeschichte eines Wesens und lässt Ursachen erkennbar werden, die in der Einmaligkeitstheorie menschlichen Lebens einfach nicht ersichtlich sind. An diesem Punkt braucht es die Erweiterung der Perspektive durch die Reinkarnation. Das Buch wird effektiv nicht verstehbar, wenn ich nur eine einzige Seite aus ihm herausreisse.
Gottes Allgüte ist mit der auf ein Lebensausschnitt reduzierter Perspektive nicht erfassbar. Wenn die göttliche Führung über mehrere Leben beobachtet wird, erkennt man, wie er eine Seele langsam und vorsichtig wieder in Richtung ewiger Heimat lenkt und ihr Sadhu Sanga, spirituelle Gemeinschaft ermöglicht. Dies führt zu einer vergrösserten Intensität und Sehnsucht im Herzen der Seele.
-Falsch projizierte Sehnsucht
Das Leid resultiert nur aus der Lebensgier des Menschen, aus dessen krampfhaften Klammern an das Aufrechterhalten einer oberflächlichen Identifikationsrolle als Mensch mit bestimmten Bedürfnissen. Man suchte nach Unendlichkeit ... aber im Endlichen, und dadurch wurde man "unendlich" umhergetrieben --in samsara. Aber nichts liess einen stehen bleiben, schenkte einem das anfangs Verheissene. Anhalten kann man erst bei dem, nachdem man eigentlich sucht -- in der intensivsten Liebesbeziehung – bei Sri Krishna. Sehnsucht fliesst immer zum Unbegrenzten.
Leiden ist nicht das, was man bisher für Leiden gehalten hat.
Das Leiden gibt sich nicht offen als Leiden zu erkennen. Die meisten Menschen glauben. Leiden bedeutet, dass der Körper oder die Psyche krank ist. Wenn sie wieder funktionieren, dann denken sie, das Leiden sei angeblich wieder vorbei.
Dann gibt es alle möglichen Techniken und Ablenkungen, um das Leiden auszublenden, die Bemühung für medizinische und feinstoffliche Heilung, kleine Vergnügungen zu suchen, und irgend etwas zu tun, damit das Leiden nicht offensichtlich ist.
Leiden ist die Beziehung zum Ich-Gedanken. Ständig nimmt man Gedanken wahr, die mit den drei Buchstaben I C H beginnen.
Diese sind die Gedanken, die man nicht mehr wahrnimmt, sondern zu denen man wird, wenn sie auftauchen.
Aus diesen Gedanken entstehen dann Gefühle und Empfindungen, und man wird zu ihnen, aus ihnen geformt. sada tad bhava bhavitah (Bhagavad gita 8.6)
Es ist doch so, dass das Bewusstsein von Leid bisher immer erst dann entstanden ist, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen verlief.
Jahrelang geht es einem gut. Man hat einen wunderbaren Partner, beruflich macht man Fortschritte, mit seiner Familie versteht man sich bestens, man verdient genug Geld und man findet ohne Probleme eine schöne Wohnung. Es scheint keinen Grund zum Leiden zu geben.
Irgendwann bemerkt man eine gewisse Leere. Vielleicht muss man einfach seine Affirmationen intensivieren? Aber der Moment kommt, in dem man ahnt, dass etwas viel Grundlegenderes nicht stimmt. Aber die meisten Menschen brauchen dafür nicht Jahre, sondern Jahrtausende. Jahrtausende für die einfache Erkenntnis, dass man leidet.
Es ist nun aber nicht so, dass sich einem der Wunsch zu leiden als Wunsch zu Leiden zeigt. Er erscheint einem als Wunsch, glücklich zu sein – ohne Gott. Aber man erkennt die Verkleidung nicht.
Zum Beispiel kann er sich zeigen als der Wunsch, auszuwandern, oder als der unerfüllte Wunsch nach einem Kind oder einem angeblichen Seelen-Partner. Jeder unerfüllte Wunsch, der sich auf Vergängliches richtet, ausserhalb der Beziehung zu Sri Krishna, ist eigentlich der Wunsch, zu leiden, ist nicht sein wirklicher Wunsch.
Hoffnung auf Erfüllung innerhalb dieser Welt und Leiden sind unzertrennlich. (Bhagavad Gita 18.54 - na socati na kansati)
Gottes Eigenschaften sind neu zu verstehen. Er ist nicht Teil der dualen Erfahrung des Menschen
Gott ist nicht gut. Auch nicht nicht-gut. Er ist jenseits unserer Wertung. (caitanya caritamrita, 3.4.176) Er ist in der Absolutheit und er ist nicht wahrnehmbar durch die duale Begriffswelt der kleinlichen Hoffnungen des Menschen.
Abschlussgedanke
Das Leid und die Grauenhaftigkeit der Welt hat in vielen Menschen zu einem Enttäuschungs-atheismus geführt.
Bei Naturkatastrophen oder Erdbeben betreut man Verletzte und Angehörige, bietet Beistand und Hilfe – aber es bräuchte auch eine theologische Aufarbeitung: Ist diese Grausamkeit der Natur vereinbar mit der Allgüte Gottes?
Krankheit, Unglück, Schicksalsschläge werden schnell als Strafe Gottes für das Fehlverhalten der Menschen interpretiert. Man hat durch Schuld den Himmel provoziert. Man will es verstehen und einordnen können. Wird die Welt nach einer moralischen Ordnung interpretiert, kommt sie einem häuslicher vor. Gott ist ein Vater, der seine Kinder lenkt – durch Lob, Strafe und Tadel. Das ist ein sehr naives und archaisches Gottesbild, von dem sich viele Menschen unserer Zeit intuitiv befreit haben.
Das theologische Problem darin ist ein falsches Naturverständnis. Die Natur ist Natur und man kann von ihr aus keine Rückschlüsse auf Gott ziehen. Religion bedeutet, sein Leben von Gott her zu ordnen. Die Liebe lernt man nicht in der Natur.
In der Natur bewirken Schicksalsschläge die Ausschliessung aus der eigenen Gruppe. Eine Öl-Möve wird vom Schwarm zerhackt, da sie anders aussieht. Die Schwachen und Kranken in der Natur sollen sich nicht fortpflanzen, sie sind nicht zur Generation zugelassen. Darwinisten legitimieren aus dieser Grausamkeit der Natur ein rücksichtsloses Weltbild, wo einfach nur der Stärkere überlebt (survival of the fittest).
Der russische Anarchist Kropotkin schreibt, dass auch Mitgefühl, Barmherzigkeit und das Rückstellen eigener Interessen zugunsten Anderer Bestandteil der Natur sind. Aber die absolute Güte lässt sich nicht aus der Natur ableiten, da die Ambivalenz von Rücksichtslosigkeit und Mitgefühl inhärent in ihr existiert.
Diese Welt sei ein Zeugnis von Gott, der in ihr seine Güte, Macht, Weisheit und Schönheit offenbare. Das ist grundlegend falsch. In der Gita sagt Krishna: abhinna prakritir astadha „Diese Welt ist meine abgetrennte Energie.“ Und diese kann man nie mit ihm gleichsetzen. Gott schwebt keine Welt vor, in der die Menschen nicht leiden. Deshalb darf man die Gnade Gottes nie auf die körperliche und feinstoffliche Ebene reduzieren. Krishna will uns nicht die Traumidylle schaffen.
Gott ist mehr als seine duale Schöpfung der materiellen Welt, der Natur.
Das Böse sei durch gefallene Engel, den Satan, Demiurgen oder miteinander konkurrierende Weltprinzipien zu erklären. Als Beispiel hierfür kann die altpersische Religion Zarathustras dienen, die davon ausging, dass zwei gleich mächtige Urprinzipien die Welt beherrschen: Auf der einen Seite das gute, gebende, göttliche Prinzip, auf der anderen Seite das böse, nehmende, widergöttliche. Auf diese Art und Weise der Darstellung wird die Allmacht Gottes relativiert, denn die beiden, voneinander untrennbaren Prinzipien ergeben eine dualistische, Gutes und Böses enthaltende Gottesvorstellung.
Andere, ebenfalls dualistische Gottesvorstellungen finden sich in der Gnosis und im Manichäismus. Ein atheistisches Beispiel wäre das Ying-Yang der chinesischen Philosophie, welches die Geschehnisse in der Welt durch dualistische Urprinzipien erklärt.
Es ist nicht möglich, von der Welt her Gott zu denken. Die Theologie kann nicht Kausal-Fragen beantworten („warum ist es geschehen?“), sondern das Wozu. Es geht um die teleologische Frage, der Frage, was Gott mir uns beabsichtigt.
Die Natur nimmt keine Rücksicht auf ihre Geschöpfe. Religion kann deshalb ihre Grundlage nicht in der Natur finden. Pantheismus ist oberflächliche Schwärmerei, denn es gibt in dieser Natur auch die Grauenhaftigkeit und die Rücksichtslosigkeit. Wenn man Gott auf die Natur, seine Schöpfung, reduziert, dann wäre diese Ambivalenz die verpflichtende Vorlage für unser eigenes Handeln. Dann müsste ich so umgehen, wie es die Natur tut (viele Fleischesser verteidigen ihre Mordeslust mit dem Argument, dass Tiere ja auch Fleisch essen) – aber genau das darf ich nicht. Der Mensch hat als einziges Wesen einen anderen Auftrag: Nicht nach dem Gesetz Gottes zu leben („natürlich“), sondern nach dem Willen Gottes. Dharma ist nicht Ethik, sondern eine von Gott her definierte Verhaltensweise. Prema.
Sri Krishna ist der Hintergrund jenseits der Phänomenalität dieser Welt.
Augustinus schreibt in „Confessiones“, wie er auf die Suche nach Gott geht und die Sonne, den Mond, die Sterne, die Wüste, das Meer, die Wunderbarkeit der Natur befragt und sie alle sagen ihm: „Ich bin nicht der Gott, nach dem du suchst.“
Krishna wohnt in der Sehnsucht nach einer Liebe, die in der Natur nicht zu finden ist. Die Natur ist nie der Ruheort der Seele – sie kann erst im Unendlichen ruhen, erst bei Gott.
Der Mensch hat etwas, was es in der Natur nicht gibt – Religion, der Entwurf einer übernatürlichen Liebe, die auf Gott gerichtet ist und von da her innerhalb dieser Welt handelt.
Es geht nicht darum, alles in dieser Welt lieben und es mit Gott gleichsetzen zu wollen, sondern nur auf Gott gerichtet die Liebe wieder in die Welt einfliessen lassen.
Die Liebe Gottes lässt sich nie ergründen in der Natur, sondern trotz der Natur. Wenn man Gott nur auf seine Schöpfung reduziert, den König also nur noch als den Gefängniswächter betrachtet, werden der Enttäuschungsatheismus und das Problem der Theodizee die natürlichen Folgen sein.
Leiden ist der Hinweis darauf, noch nicht angekommen zu sein. Noch nicht seine wirkliche Bestimmung zu leben und sich noch im Provisorischen aufzuhalten, eben ausserhalb seiner Nitya-sambandha (seiner ewigen Beziehung zu Radha Krishna).
Es geht um unbedingtes und restloses Vertrauen zu Gott, trotz Unfähigkeit, das Rätsel des Leids und des Bösen enträtseln zu können. Man kann die genaue Ursache des Leides nicht immer „erklären“, aber bestehen.
Nachdem Hiob durch das Leid gegangen ist, sagt er am Ende des Buches in Hiob 42,5: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“
Ist Gott leiderzeugend? Hiob legt den Finger auf dem Mund und schweigt vor Staunen in Anerkennung des riesigen Ausmasses seines Nichtwissens. Er verliert die Grundlage, sich zu beschweren.
Die Rechtfertigung Gottes angesichts des Leides in der Welt
Der Begriff „Theodizee“wurde erstmals von Leibniz in seinem 1710 publizierten Buch „Über die Theodizee – Betrachtung der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und der Ursache des Bösen“ publiziert. Theodizee leitet sich ab vom Griechischen Theos (Gott) und Dikae (Gerechtigkeit).
Es existiert einen Widerspruch zwischen der Allmacht Gottes und seiner Gutheit.
Wie kann Gott das zulassen ?
Unser Leben zeigt vielerlei Leiden: Naturkatastrophen, Krieg, Verbrechen, Krankheiten. Warum hat Gott eine Welt erschaffen, in der es Leid und Schmerz gibt? Hätte Gott nicht eine bessere erschaffen können?
Das Theodizee-Problem gründet sich in dem erfahrenen Widerspruch zwischen dem Glauben an Gott und dem Sinn-Verlust, der mit dem Leiden verbunden ist. Wie kann ein allmächtiger und gütiger Gott die Übel und das Böse in der Welt zulassen, warum müssen wir leiden?
Das Problem entsteht nicht nur denkerisch, sondern direkt für den Menschen, der an Gott glaubt und von einem großen Leid, Unrecht oder sogar von einem Verbrechen heimgesucht wird. „Wie kann Gott das zulassen?“ ist die Frage. Gott will doch nur das Gute, das Beste? Ist das nun das Beste?
Wie aber kann ein guter Gott soviel Leid in seiner Schöpfung verursachen oder zulassen? Das immense Leid scheint entweder gegen seine Allmacht oder gegen seine Güte zu stehen. Diese Frage ist einerseits verständlich angesichts des erdrückenden Leides in der Welt, andererseits wird sie oft gestellt, um Gott auf die Anklagebank zu setzen, da eine oberflächliche Spiritualität diese Fragen nicht wirklich befriedigend beantworten kann.
Wie kann an Gottes Gerechtigkeit und Güte festgehalten werden, wenn Gott über hunderte von Millionen Jahren Krankheit, Missbildung, Grausamkeit, Tod, Artentod, und zuletzt (beim Menschen) auch die Möglichkeit der Abwendung eingesetzt hat, um die Lebewesen hervorzubringen? Das Übel erscheint demnach nicht als „Einbrecher" in eine ursprünglich leidfreie Schöpfung, sondern von vornherein als ihr Hausherr.
Wenn es Gott gibt, woher kommt das Böse? Doch woher kommt das Gute, wenn es ihn nicht gibt. Was wäre beständig gut?
Französische Existentialisten haben geschlussfolgert: „Die einzige Entschuldigung Gottes (angesichts des Übels in der Welt) ist, daß er nicht existiert.“
Die Erfahrungen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts zeigten dann, daß atheistische Systeme, die ja eine bessere Welt herbeiführen wollten, immer mehr in das Üble geraten. Ohne Gott scheint die Würde des Menschen nicht geschützt.
Eine prägnante, oft zitierte Formulierung des Problems lautet:
Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht:
Dann ist Gott schwach. Und das hiesse: nicht Gott.
Oder er kann es und will es nicht:
Dann ist Gott missgünstig. Das Widerspräche seiner Gnade und seinem Mitgefühl.
Oder er will es nicht und kann es nicht:
Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott,
Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt:
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?
Diese Argumentation wurde von dem Kirchenschriftsteller Laktanz (ca. 250 bis nach 317) überliefert.
Das Theodizeeproblem besteht im Widerspruch zwischen zwei Aussagen. Auf der einen Seite steht die Aussage, es gebe einen allmächtigen, allgütigen und allwissenden Gott – auf der anderen Seite steht die Feststellung, dass es Übel in der Welt gibt.
Verträgt sich die Lehre vom allmächtigen und gerechten und liebenden Gott mit der Erfahrung einer Welt voller Ungerechtigkeiten? Wie lässt sich das unendliche Leid auf dieser Welt mit der Vorstellung eines Gottes der Liebe vereinbaren?
Versuche, das Übel zu erklären
Wenn man solche Betrachtungen anstellt muss man sich immer vor der Anmassung bewahren, wirklich die Gesamtsicht zu haben. Kant warnt vor dieser spirituellen Arroganz: „Wir sind zu begrenzt, um metaphysische Spekulationen anzustellen. Hier stößt unsere Vernunft an ihre Grenzen (Kant: Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, 1791).
Das zur Urteilsfindung herangezogene Quellenmaterial und die daraus entwickelten theologischen/philosophischen Denkmodelle sind unzureichend, sind noch nicht vollständig.
Der Mensch steht einfach staunend in einer ihm unbegreiflichen Schöpfung, Zuschauer sozusagen in göttlichen Abläufen.
Und dennoch hat uns Gott Vernunft geschenkt und will natürlich, dass wir sie auch gebrauchen – um die Offenbarung vom Ihm nachzuvollziehen.
In diesem Zusammenhang sind die folgenden Gedanken auch zu verstehen.
-Wir leben in der besten aller möglichen Welten (Leibniz)
Nach Gottfried Wilhelm Leibniz gibt es eine unendliche Anzahl möglicher Welten. Von diesen hat Gott nur eine geschaffen, nämlich die vollkommenste, in der das Übel den kleinsten Raum hat („die beste aller möglichen Welten“). Jede Form des Übels ist letztlich notwendig und erklärbar.
Leibniz sagt, dass das „malum metaphysicum“, das metaphysische Übel natürlich sei. Das Geschaffene ist notwendig unvollkommen, da es sonst mit Gott identisch wäre.
Hätte ein allmächtiger Schöpfer nicht doch eine anders geartete Schöpfung erschaffen können?
Nein, er schuf die Beste aller Welten
-Er hätte sie so beschaffen können, dass sie ewig ist. Das wäre die ewige Trennung zu Gott.
-Er könnte jedem einzelnen Wesen eine eigene Welt geben. Das wäre unendliche Langeweile.
- Eine andere Option wäre es, der Menschheit den freien Willen zu nehmen. Aber das würde jegliche Liebe verunmöglichen.
-Er legt viele Lebewesen in eine Welt. Das wäre die Hölle. Seine Gnade ist die Vergänglichkeit und die inhärent in jedem Moment liegende Möglichkeit zur Rückkehr zu ihm.
-durch Annahme der Freiheit des Menschen
Einen weiteren Ansatz bei der Lösung der Theodizee-Frage liegt in der Annahme, dass Gott dem Menschen Freiheit und Eigenverantwortung in seinem Handeln lasse. Ohne Freiheit sei Liebe nicht zu verwirklichen.
Diese Freiheit birgt aber das Risiko des Scheiterns. Doch hier kann man weiterfragen, ob dieses Risiko nicht vermeidbar wäre, ohne die Liebe in Freiheit zu verlieren.
Da das zeitlich-irdische Leben zwar ein sehr hohes, aber nicht das höchste Gut ist, muss es weder von Gott noch von den Menschen mit allen Mitteln angestrebt werden. Das höchste Ziel bzw. Gut des Menschen ist immer die Rückkehr, die ewige Beziehung des Lebewesens mit Sri Krishna, d.h. die maximal mögliche Gemeinschaft mit Gott.
Wenn man denkt, dass irgendein Beschwernis oder Leid, das man in samsara (dem Kreislauf der Geburten und Tode) durchlebt, eine andere Ursache hätte, als seine Trennung zu Gott, so ist das die perfekte Definition von maya (dem, was eben nicht ist).
Gott bewirkt das Leid und das moralische Übel nicht, aber lässt die Würde des freien Willens zu, der selbst Abwendung von der Wirklichkeit beinhaltet. Zur gleichen Zeit macht er alle Arrangierungen, um die Seele wieder zur Ewigkeit hinzulocken. Er überlässt der Seele die Möglichkeit der Wahl innerhalb der Grenzen der Karma-Gesetze, die den übertriebenen Egoismus regeln sollen und die ja nur einen Ersatz-Gott darstellen, wenn man dem liebenden Austausch ausweichen möchte.
Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich nicht aus der Welt hinausdrängen, aber sehr wohl aus unserem Blickfeld. Wie lange will man noch Widerstand leisten?
-Die Perspektive der Reinkarnation
Wenn sich das Theodizee-Problem in seiner ursprünglichen Formulierung nicht auflösen lässt, muss dies nicht unbedingt heißen, dass Gott die ihm zugeschriebenen Eigenschaften nicht hat. Möglich ist auch, dass die gemachten Annahmen zu einfach sind: Gottes Güte besteht darin, den Menschen einen Zeitrahmen von unendlich vielen Leben zu geben, in welchen sie durch die von ihnen erwünschte Trennung zur Wirklichkeit, die sie als Leid empfinden, langsam korrigiert wird uns sie lernen, sich im göttlichen Sinne zu verhalten.
Vor allem kann das Böse, das den Unschuldigen trifft, nicht damit erklärt werden, daß es ihm zur Erziehung gereicht. Die Frage aus der Reinkarnation ergibt sich: Gibt es Unschuldige?
Reinkarnation erweitert den Betrachtungshorizont der Lebensgeschichte eines Wesens und lässt Ursachen erkennbar werden, die in der Einmaligkeitstheorie menschlichen Lebens einfach nicht ersichtlich sind. An diesem Punkt braucht es die Erweiterung der Perspektive durch die Reinkarnation. Das Buch wird effektiv nicht verstehbar, wenn ich nur eine einzige Seite aus ihm herausreisse.
Gottes Allgüte ist mit der auf ein Lebensausschnitt reduzierter Perspektive nicht erfassbar. Wenn die göttliche Führung über mehrere Leben beobachtet wird, erkennt man, wie er eine Seele langsam und vorsichtig wieder in Richtung ewiger Heimat lenkt und ihr Sadhu Sanga, spirituelle Gemeinschaft ermöglicht. Dies führt zu einer vergrösserten Intensität und Sehnsucht im Herzen der Seele.
-Falsch projizierte Sehnsucht
Das Leid resultiert nur aus der Lebensgier des Menschen, aus dessen krampfhaften Klammern an das Aufrechterhalten einer oberflächlichen Identifikationsrolle als Mensch mit bestimmten Bedürfnissen. Man suchte nach Unendlichkeit ... aber im Endlichen, und dadurch wurde man "unendlich" umhergetrieben --in samsara. Aber nichts liess einen stehen bleiben, schenkte einem das anfangs Verheissene. Anhalten kann man erst bei dem, nachdem man eigentlich sucht -- in der intensivsten Liebesbeziehung – bei Sri Krishna. Sehnsucht fliesst immer zum Unbegrenzten.
Leiden ist nicht das, was man bisher für Leiden gehalten hat.
Das Leiden gibt sich nicht offen als Leiden zu erkennen. Die meisten Menschen glauben. Leiden bedeutet, dass der Körper oder die Psyche krank ist. Wenn sie wieder funktionieren, dann denken sie, das Leiden sei angeblich wieder vorbei.
Dann gibt es alle möglichen Techniken und Ablenkungen, um das Leiden auszublenden, die Bemühung für medizinische und feinstoffliche Heilung, kleine Vergnügungen zu suchen, und irgend etwas zu tun, damit das Leiden nicht offensichtlich ist.
Leiden ist die Beziehung zum Ich-Gedanken. Ständig nimmt man Gedanken wahr, die mit den drei Buchstaben I C H beginnen.
Diese sind die Gedanken, die man nicht mehr wahrnimmt, sondern zu denen man wird, wenn sie auftauchen.
Aus diesen Gedanken entstehen dann Gefühle und Empfindungen, und man wird zu ihnen, aus ihnen geformt. sada tad bhava bhavitah (Bhagavad gita 8.6)
Es ist doch so, dass das Bewusstsein von Leid bisher immer erst dann entstanden ist, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen verlief.
Jahrelang geht es einem gut. Man hat einen wunderbaren Partner, beruflich macht man Fortschritte, mit seiner Familie versteht man sich bestens, man verdient genug Geld und man findet ohne Probleme eine schöne Wohnung. Es scheint keinen Grund zum Leiden zu geben.
Irgendwann bemerkt man eine gewisse Leere. Vielleicht muss man einfach seine Affirmationen intensivieren? Aber der Moment kommt, in dem man ahnt, dass etwas viel Grundlegenderes nicht stimmt. Aber die meisten Menschen brauchen dafür nicht Jahre, sondern Jahrtausende. Jahrtausende für die einfache Erkenntnis, dass man leidet.
Es ist nun aber nicht so, dass sich einem der Wunsch zu leiden als Wunsch zu Leiden zeigt. Er erscheint einem als Wunsch, glücklich zu sein – ohne Gott. Aber man erkennt die Verkleidung nicht.
Zum Beispiel kann er sich zeigen als der Wunsch, auszuwandern, oder als der unerfüllte Wunsch nach einem Kind oder einem angeblichen Seelen-Partner. Jeder unerfüllte Wunsch, der sich auf Vergängliches richtet, ausserhalb der Beziehung zu Sri Krishna, ist eigentlich der Wunsch, zu leiden, ist nicht sein wirklicher Wunsch.
Hoffnung auf Erfüllung innerhalb dieser Welt und Leiden sind unzertrennlich. (Bhagavad Gita 18.54 - na socati na kansati)
Gottes Eigenschaften sind neu zu verstehen. Er ist nicht Teil der dualen Erfahrung des Menschen
Gott ist nicht gut. Auch nicht nicht-gut. Er ist jenseits unserer Wertung. (caitanya caritamrita, 3.4.176) Er ist in der Absolutheit und er ist nicht wahrnehmbar durch die duale Begriffswelt der kleinlichen Hoffnungen des Menschen.
Abschlussgedanke
Das Leid und die Grauenhaftigkeit der Welt hat in vielen Menschen zu einem Enttäuschungs-atheismus geführt.
Bei Naturkatastrophen oder Erdbeben betreut man Verletzte und Angehörige, bietet Beistand und Hilfe – aber es bräuchte auch eine theologische Aufarbeitung: Ist diese Grausamkeit der Natur vereinbar mit der Allgüte Gottes?
Krankheit, Unglück, Schicksalsschläge werden schnell als Strafe Gottes für das Fehlverhalten der Menschen interpretiert. Man hat durch Schuld den Himmel provoziert. Man will es verstehen und einordnen können. Wird die Welt nach einer moralischen Ordnung interpretiert, kommt sie einem häuslicher vor. Gott ist ein Vater, der seine Kinder lenkt – durch Lob, Strafe und Tadel. Das ist ein sehr naives und archaisches Gottesbild, von dem sich viele Menschen unserer Zeit intuitiv befreit haben.
Das theologische Problem darin ist ein falsches Naturverständnis. Die Natur ist Natur und man kann von ihr aus keine Rückschlüsse auf Gott ziehen. Religion bedeutet, sein Leben von Gott her zu ordnen. Die Liebe lernt man nicht in der Natur.
In der Natur bewirken Schicksalsschläge die Ausschliessung aus der eigenen Gruppe. Eine Öl-Möve wird vom Schwarm zerhackt, da sie anders aussieht. Die Schwachen und Kranken in der Natur sollen sich nicht fortpflanzen, sie sind nicht zur Generation zugelassen. Darwinisten legitimieren aus dieser Grausamkeit der Natur ein rücksichtsloses Weltbild, wo einfach nur der Stärkere überlebt (survival of the fittest).
Der russische Anarchist Kropotkin schreibt, dass auch Mitgefühl, Barmherzigkeit und das Rückstellen eigener Interessen zugunsten Anderer Bestandteil der Natur sind. Aber die absolute Güte lässt sich nicht aus der Natur ableiten, da die Ambivalenz von Rücksichtslosigkeit und Mitgefühl inhärent in ihr existiert.
Diese Welt sei ein Zeugnis von Gott, der in ihr seine Güte, Macht, Weisheit und Schönheit offenbare. Das ist grundlegend falsch. In der Gita sagt Krishna: abhinna prakritir astadha „Diese Welt ist meine abgetrennte Energie.“ Und diese kann man nie mit ihm gleichsetzen. Gott schwebt keine Welt vor, in der die Menschen nicht leiden. Deshalb darf man die Gnade Gottes nie auf die körperliche und feinstoffliche Ebene reduzieren. Krishna will uns nicht die Traumidylle schaffen.
Gott ist mehr als seine duale Schöpfung der materiellen Welt, der Natur.
Das Böse sei durch gefallene Engel, den Satan, Demiurgen oder miteinander konkurrierende Weltprinzipien zu erklären. Als Beispiel hierfür kann die altpersische Religion Zarathustras dienen, die davon ausging, dass zwei gleich mächtige Urprinzipien die Welt beherrschen: Auf der einen Seite das gute, gebende, göttliche Prinzip, auf der anderen Seite das böse, nehmende, widergöttliche. Auf diese Art und Weise der Darstellung wird die Allmacht Gottes relativiert, denn die beiden, voneinander untrennbaren Prinzipien ergeben eine dualistische, Gutes und Böses enthaltende Gottesvorstellung.
Andere, ebenfalls dualistische Gottesvorstellungen finden sich in der Gnosis und im Manichäismus. Ein atheistisches Beispiel wäre das Ying-Yang der chinesischen Philosophie, welches die Geschehnisse in der Welt durch dualistische Urprinzipien erklärt.
Es ist nicht möglich, von der Welt her Gott zu denken. Die Theologie kann nicht Kausal-Fragen beantworten („warum ist es geschehen?“), sondern das Wozu. Es geht um die teleologische Frage, der Frage, was Gott mir uns beabsichtigt.
Die Natur nimmt keine Rücksicht auf ihre Geschöpfe. Religion kann deshalb ihre Grundlage nicht in der Natur finden. Pantheismus ist oberflächliche Schwärmerei, denn es gibt in dieser Natur auch die Grauenhaftigkeit und die Rücksichtslosigkeit. Wenn man Gott auf die Natur, seine Schöpfung, reduziert, dann wäre diese Ambivalenz die verpflichtende Vorlage für unser eigenes Handeln. Dann müsste ich so umgehen, wie es die Natur tut (viele Fleischesser verteidigen ihre Mordeslust mit dem Argument, dass Tiere ja auch Fleisch essen) – aber genau das darf ich nicht. Der Mensch hat als einziges Wesen einen anderen Auftrag: Nicht nach dem Gesetz Gottes zu leben („natürlich“), sondern nach dem Willen Gottes. Dharma ist nicht Ethik, sondern eine von Gott her definierte Verhaltensweise. Prema.
Sri Krishna ist der Hintergrund jenseits der Phänomenalität dieser Welt.
Augustinus schreibt in „Confessiones“, wie er auf die Suche nach Gott geht und die Sonne, den Mond, die Sterne, die Wüste, das Meer, die Wunderbarkeit der Natur befragt und sie alle sagen ihm: „Ich bin nicht der Gott, nach dem du suchst.“
Krishna wohnt in der Sehnsucht nach einer Liebe, die in der Natur nicht zu finden ist. Die Natur ist nie der Ruheort der Seele – sie kann erst im Unendlichen ruhen, erst bei Gott.
Der Mensch hat etwas, was es in der Natur nicht gibt – Religion, der Entwurf einer übernatürlichen Liebe, die auf Gott gerichtet ist und von da her innerhalb dieser Welt handelt.
Es geht nicht darum, alles in dieser Welt lieben und es mit Gott gleichsetzen zu wollen, sondern nur auf Gott gerichtet die Liebe wieder in die Welt einfliessen lassen.
Die Liebe Gottes lässt sich nie ergründen in der Natur, sondern trotz der Natur. Wenn man Gott nur auf seine Schöpfung reduziert, den König also nur noch als den Gefängniswächter betrachtet, werden der Enttäuschungsatheismus und das Problem der Theodizee die natürlichen Folgen sein.
Leiden ist der Hinweis darauf, noch nicht angekommen zu sein. Noch nicht seine wirkliche Bestimmung zu leben und sich noch im Provisorischen aufzuhalten, eben ausserhalb seiner Nitya-sambandha (seiner ewigen Beziehung zu Radha Krishna).
Es geht um unbedingtes und restloses Vertrauen zu Gott, trotz Unfähigkeit, das Rätsel des Leids und des Bösen enträtseln zu können. Man kann die genaue Ursache des Leides nicht immer „erklären“, aber bestehen.
Nachdem Hiob durch das Leid gegangen ist, sagt er am Ende des Buches in Hiob 42,5: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“
Ist Gott leiderzeugend? Hiob legt den Finger auf dem Mund und schweigt vor Staunen in Anerkennung des riesigen Ausmasses seines Nichtwissens. Er verliert die Grundlage, sich zu beschweren.
22. Januar 2008
Der seidene Faden
Was passiert, wenn ich spüre, dass mein Leben nur noch an einem kleinen Faden hängt?
Wenn ich mich mit meinem grob- und feinstofflichen Körper gleich setze - diese sich aber in einem ständigen Wandel befinden - und Wandel ist gemäss dem Bhagavatam eine Form von Zerstörung (nitya pralaya SB 12.4.36) - hängt meine ganze Identität ständig an einem ganz dünnen Faden.
Und das spüre ich - ganz fein und unbewusst.
Deshalb tätige ich aus Angst heraus eine latente und intensive Gegenbemühung - diese nenne ich "mein Leben" - um die Position des "Ich" zu sichern.
Doch was geschieht, wenn ich die lächerliche Bemühung dieses "Ich" zu verteidigen, vollkommen ablegen würde?
Es ist so fruchtlos, immer wieder zu versuchen, diesen Faden zu verstärken - Arrangierungen zu tätigen für Erhalt, Ansehen und Unterhaltung in dieser Welt.
Denn es ist gar nicht wirklich das Leben (das wirkliche Leben), das an diesem dünnen Faden hängt. Es ist nur das Leben und Sterben (samsara), das Festhalten-Wollen an äusseren Identifikationen, die an diesem Faden hängen.
Alle verschiedensten Erfahrungen und der ständigen Bewertung derer, die ein Lebewesen in den drei Bewusstseinszuständen (Tiefschlaf, Traum und Tagtraum - das, was ein Mensch dieser Welt als "Wach-Zustand" bezeichnet) erlebt, sind nichts anderes als Täuschung (am wahren Leben vorbeigelebt)."
(SB 12.4.25)
In meinem Wahn der falschen Identifikationen verschwende ich Leben für Leben, um Illusionen zu schützen.
Ich in Meiner wirklichen Identität hänge überhaupt nicht an einem seidenen Faden.
ajo nitya sasvatam yam purano na hanyate hanyamane sarire (BG 2.20)
"Für die Seele gibt es zu keiner Zeit Geburt oder Tod. Sie ist ungeboren, ewig, immerwährend und urerst. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird."
Aber die Existenz, die ich bisher als "mein Leben" angenommen habe, hängt sehr wohl an einem seidenen Faden. Was ist denn dieser Faden? Die Beziehung zu dem Gedanken "ich", jedes Identitäts-Gefühl ausserhalb meines siddha-deha (des ewigen spirituellen Körpers).
Und alles, was daraus resultiert ist Angst, Getrenntheit, Schmerz und Arroganz.
Und wenn ich an diesem feinen Faden angelangt bin, dem Vermögen meiner Bedingtheit (des ahankara), sich als ein Teil dieser Welt fühlen zu wollen, berühre ich meine verdrehte Grundbeziehung mit dieser Welt, die völlig zerstört werden muss, wenn ich wirklich leben will.
Wenn ich mich mit meinem grob- und feinstofflichen Körper gleich setze - diese sich aber in einem ständigen Wandel befinden - und Wandel ist gemäss dem Bhagavatam eine Form von Zerstörung (nitya pralaya SB 12.4.36) - hängt meine ganze Identität ständig an einem ganz dünnen Faden.
Und das spüre ich - ganz fein und unbewusst.
Deshalb tätige ich aus Angst heraus eine latente und intensive Gegenbemühung - diese nenne ich "mein Leben" - um die Position des "Ich" zu sichern.
Doch was geschieht, wenn ich die lächerliche Bemühung dieses "Ich" zu verteidigen, vollkommen ablegen würde?
Es ist so fruchtlos, immer wieder zu versuchen, diesen Faden zu verstärken - Arrangierungen zu tätigen für Erhalt, Ansehen und Unterhaltung in dieser Welt.
Denn es ist gar nicht wirklich das Leben (das wirkliche Leben), das an diesem dünnen Faden hängt. Es ist nur das Leben und Sterben (samsara), das Festhalten-Wollen an äusseren Identifikationen, die an diesem Faden hängen.
Alle verschiedensten Erfahrungen und der ständigen Bewertung derer, die ein Lebewesen in den drei Bewusstseinszuständen (Tiefschlaf, Traum und Tagtraum - das, was ein Mensch dieser Welt als "Wach-Zustand" bezeichnet) erlebt, sind nichts anderes als Täuschung (am wahren Leben vorbeigelebt)."
(SB 12.4.25)
In meinem Wahn der falschen Identifikationen verschwende ich Leben für Leben, um Illusionen zu schützen.
Ich in Meiner wirklichen Identität hänge überhaupt nicht an einem seidenen Faden.
ajo nitya sasvatam yam purano na hanyate hanyamane sarire (BG 2.20)
"Für die Seele gibt es zu keiner Zeit Geburt oder Tod. Sie ist ungeboren, ewig, immerwährend und urerst. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird."
Aber die Existenz, die ich bisher als "mein Leben" angenommen habe, hängt sehr wohl an einem seidenen Faden. Was ist denn dieser Faden? Die Beziehung zu dem Gedanken "ich", jedes Identitäts-Gefühl ausserhalb meines siddha-deha (des ewigen spirituellen Körpers).
Und alles, was daraus resultiert ist Angst, Getrenntheit, Schmerz und Arroganz.
Und wenn ich an diesem feinen Faden angelangt bin, dem Vermögen meiner Bedingtheit (des ahankara), sich als ein Teil dieser Welt fühlen zu wollen, berühre ich meine verdrehte Grundbeziehung mit dieser Welt, die völlig zerstört werden muss, wenn ich wirklich leben will.
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