25. Juli 2008

Wunsch nach Einzigartikeit

Im Angesicht des Terrors

Das Wissen um die eigene Sterblichkeit löst eine existenzielle Angst aus, einen inneren Terror. All das, was man in seinem Leben mit viel Anstrengung und Aufwand tut, ist letztlich sinnlos. Diese Vergeblichkeit empfindet der Mensch als entwürdigend.
Der Mensch ahnt bereits schon als Kind und weiss dann später, dass er sterben wird. Das macht ihn zum verängstigten, vor dem Tode zurückschreckenden Tier.
Um damit zu Recht zu kommen, schafft sich der Mensch einen selbstgemachten Schein-Sinn und gibt sich dadurch Ordnung, Sinn und eine eingebildete Dauerhaftigkeit, die über die eigene Lebenszeit hinausreicht und einem das Gefühl von Unsterblichkeit verleiht. Aus dem Wunsch, mit dem physischen Ende nicht als bedeutungslos ausgelöscht zu sein, strebt der Mensch danach, bei anderen in Erinnerung zu bleiben – meistens durch die Idee einer eigenen Familie, durch soziale und wissenschaftliche Leistungen, umwälzende Ideen, Werke der Kunst oder man versucht, sich mit einem religiösen Glauben ein ewiges Leben zu sichern.
Das schafft ein Selbstwertsgefühl, welches einen Menschen sein Leben als sinnvoll erleben und betrachten lässt. Man will nicht ohne Sinn auf diesem Planeten gelebt, gearbeitet und gelitten haben, für nichts hier gestorben sein.

Der Wunsch nach Auszeichnung und Einzigartigkeit lässt sich schon an der Geschwisterrivalität beobachten, am Kampf um das grössere Stück Schokolade oder darum, als erster irgendwo zu sein. Kinder sind nicht bösartig, sondern sie verkörpern ganz unverhüllt das tragische Schicksal der Menschheit. Der Mensch kämpft verzweifelt, um sich im Kosmos als etwas Einzigartiges zu behaupten, ein Held zu sein, damit er mehr zählt als jedes andere Ding. Die kindliche Rivalität wird dann bei den Erwachsenen zu einem Konkurrenzkampf, zu einem Gegeneinander, um die grösstmögliche Aufmerksamkeit zu erringen. Man möche sich durch äussere Umstände Bedeutung zusprechen, durch einen Status in der vergänglichen Welt einen Wert und eine Sicherheit garantieren.

Schutzbedürftigkeit

Das kleine Kind ist in einer hilflosen Situation. Überall um es herum lauert das Chaos. Das macht Angst, die sich noch verstärkt, wenn es seine körperliche Verletzbarkeit oder gar den Tod von Eltern, Geschwistern oder nur eines Haustieres erlebt. Die Furcht vor dem Tod schlägt sich in der Furcht vor dem Leben nieder. Die Aussenwelt wird feindlich erlebt, weshalb das Kind Sicherheit und Schutz sucht. Dieses Schutzbedürfnis überträgt es dann auf Schutzpersonen, die dadurch zu machtvollen Gestalten werden, allein fähig, die Mächte des Chaos zu bannen. Diese Übertragung dient als Bezähmung des Schreckens.
Das hat freilich den Preis eines neuen Schreckens: der Angst vor dem Verlust des Objekts, das einem hilft, den Tod zu besiegen. Um diesen Schutz zu erhalten, muss sich das Kind den Objektes des Schutzes (Eltern, Gott) durch Selbstkontrolle anpassen, jedes Missfallen vermeiden und dadurch die Liebe und Aufmerksamkeit verdienen.
Die positive Reaktion der Gesellschaft und der Eltern gibt dem Kind das Gefühl von Bedeutung zu sein. Das Ergebnis ist Konformität und Anpassung.
Religion, wie sie in der Welt verstanden wird, macht zwar unabhängig von menschlichen Normen, vom Anpassungsdrang anderen Menschen gefallen zu wollen, doch die moralische Religiosität überträgt das Konzept dann gleich darauf, dem Quell der Schöpfung gefallen zu wollen. So wächst dann schnell eine Angst heran, dem allgegenwärtigen Gott gefallen zu sollen und seinen Ansprüchen zu entsprechen.
Das gibt ein unvermeidliches Paradox: auf der einen Seite der Wunsch nach Einzigartigkeit und Überwindung aller Vorgaben und auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Anpassung, Anerkennung durch das soziale Umfeld und Konformität.

passiver und aktiver Heroismus

In dem grösseren Ganzen aufzugehen, mit dem All verwandt zu sein, in kosmischer Verbundenheit zu leben, steigert das eigene Sein und vermittelt dem Menschen das Gefühl eines transzendenten, unsterblichen Wertes. Das ist ein Versuch, der Sterblichkeit zu entkommen – ein passiver Heroismus.
Auf der anderen Seite möchte der Mensch nirgendwo aufgehen, sondern einmalig und unverwechselbar sein, seinen Drang nach Unsterblichkeit durch einzigartige Leistungen verwirklichen. Es treibt den Menschen danach, sich von der Natur abzuheben und sie zu überragen – ein aktiver Heroismus.
Der passive Heroismus hebt die Einsamkeit auf, doch der aktive Heroismus führt in die Isolation, denn es ist eine „vergängliche Unsterblichkeit“, welche die Früchte von Leistung und Spurenbildung innerhalb der Welt zu vermitteln vermögen. Denn auch wenn das Gewünschte eintritt, verliert es dennoch an Bedeutung im Laufe der Zeit und wird vergessen.

transzendentale Einzigartigkeit

Als ewige Seele ist man bereits einzigartig und braucht sich nicht mehr künstlich herauszuheben. Man hat bereits einen Wert in Gott und muss sich durch Position, Familie oder Aktivität nicht einen Wert zusprechen. Man ist geliebt ohne sich auf eine bestimmte Art verhalten zu müssen, um sich die Liebe Gottes zu verdienen.
Religion schenkt die Erkenntnis, dass es unmöglich ist, innerhalb der eigenen conditio humana ein Absolutum zu bilden. Das wäre die Kompensation des Agape-Motives ins Zeitweilige hinein. Der kosmische Heroismus, auch Gottesglaube genannt, enthebt den Menschen aus seiner Sterbeangst, weil er versteht, dass es für ihn als ewiges Wesen gar keinen Tod gibt und nie gegeben hat. So wird er aus der Bedürftigkeit enthoben und kann nun erst wirklich sein Leben als Geschenk für Gott einsetzen - enthoben der Bedrohung einer existenziellen Angst im Nacken.

2. Juli 2008

Dringliche Bitte des Kalbes

(Dieser Text ist ein Ausschnitt aus einer kleinen Video-Animation, die ich gerade produziert habe. Wer diese gerne haben möchte, kann sie bei uns bekommen: ananda dham, c.p.40, 6656 Golino, Schweiz)


Im Menschen steckt eine Ursehnsucht, dass die Täter nicht über ihre Opfer triumphieren. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit steckt tief in uns – und wir dürfen sie nicht überspringen.

Gleichgültigkeit vor dem Leiden anderer ist Stumpfheit. Wie kann man sich vor dem Leidensschrei unserer Geschwister in der Tierwelt verschliessen? Das wäre unaushaltbare Verantwortungslosigkeit.
Es ist irrelevant, von was für Grundwerten wir sprechen. Das Wesentliche ist, was wir leben. Fleischessen ist direkter Auftrag zur Auslöschung von Leben.

Die Bibel berichtet vom Brudermord in der Genesis. Als Gott Kain zur Rechenschaft zieht und ihn fragt: „Wo ist dein Bruder Abel?“ , antwortet Kain: „Ich weiss es nicht.“ (Gen 4.9)
Kain verweigert die Verantwortung für sein Tun. Doch das führt dazu, dass er sein Leben lang mit existentieller Unruhe umerherwandern muss.


Tiere sind entweder geliebte Haus- und Kuscheltiere oder tauchen unter in einer anonymen Masse, die wir dann töten lassen und auf dem Teller verspeisen.
Diese Irrationalität im Umgang mit Tieren bedeutet, dass man einige Tiere vermenschlicht und zur Kompensation mangelnder sozialer Beziehungen werden lässt und auf der anderen Seite Tiere instumentalisiert für Eigeninteressen. Zwecks Gaumen- und anderen Selbst-Interessen werden sie entindividualisiert.

Der Mensch hat sich eingeredet, die Krönung der Schöpfung zu sein. Anstatt nun voller Mitgefühl und Segen diese Verantwortung anzunehmen, sind wir Ausbeuter geworden und leben eine Weltanschauung, die einen glauben lässt, dass alle anderen Kreaturen nur dazu geschaffen seien, dem Menschen Nahrung und Pelze zu liefern, um gequält und ausgerottet zu werden. Man spricht den Tieren willkürlich ihren eigenen Existenzzweck ab.

Wenn wir über die Beziehung des Menschen zu seinen Mitgeschöpfen, den Tieren, nachdenken, nimmt man in erschreckendem Masse wahr, wie sehr unsere Gesellschaft auf institutionalisierte Gewalt gegen Tiere gegründet ist.

Wir befinden uns mit den anderen Geschöpfen dieser Erde im Krieg. Überall hat der menschliche Imperialismus die Tiervölker versklavt, unterdrückt, ermordet und verstümmelt. Überall um uns herum liegen die Sklaven- und Vernichtungslager, die wir für unsere Mitgeschöpfe errichtet haben: Zuchtfabriken und Schlachthäuser – Dachaus und Buchenwalds für die besiegten Arten.

Das Angewöhnte ist bequem. Die Frage des Gewissens aber lautet: Ist es gerecht?
Alles, was das Tier kann, darf es auch. Der Mensch kann viele Dinge, die er nicht darf.


Aus dem Buch von Peter Longerich „'Davon haben wir nichts gewusst!` Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933 - 1945":

„Frauen fielen in Ohnmacht oder weinten. Männer bedeckten ihr Gesicht und drehten die Köpfe weg. Als die Zivilisten immer wieder riefen: `Wir haben nichts gewußt! Wir haben nichts gewußt!`, gerieten die Ex-Häftlinge außer sich vor Wut. `Ihr habt es gewußt`, schrien sie. `Wir haben neben euch in den Fabriken gearbeitet. Wir haben es euch gesagt und dabei unser Leben riskiert. Aber ihr habt nichts getan.`" Ein erheblicher Teil der Menschen hat vom Holocaust gewußt. Denn die Deportationen (...) geschahen ja nicht im Dunkel der Nacht, sondern vor aller Augen, am hellichten Tage. Und sie wurden begleitet von Kommentaren in der Presse, die keinen Zweifel daran ließen, welches Schicksal die Deportierten (...) erwartete." Exakt wie heute mit Tieren! Auch heute begegnen wir täglich auf der Autobahn den Schlachttiertranporten. Und auch heute wird darüber in den Zeitungen regelmäßig berichtet. Und auch heute wollen die Menschen davon nichts wissen. Was ist eigentlich die angemessene, die moralisch richtige individuelle Reaktion auf kollektives Unrecht, das uns umgibt? In bezug auf die Nazizeit gibt die 85jährige Verlegerin Maria Sommer folgende Antwort: „Jeder ist schuldig, der nicht im Widerstand war." (ZEITmagazin Leben, 29, 2007, S. 44 f.) Von jedem aktiven Widerstand zu fordern, ist vielleicht zuviel verlangt, zumindest, wenn man darunter Dinge versteht, die geeignet sind, einen mit dem Gesetz in Konflikt zu bringen.Was man hingegen auf alle Fälle verlangen kann, ist, daß sich jemand nicht bewußt und aktiv an diesen Verbrechen BETEILIGT! Genau das macht aber jeder Fleischesser. Angesichts des heutigen Wissensstandes über das, was mit den Tieren passiert, bevor sie auf unserem Teller landen und angesichts des breiten Angebots an vegetarischen Lebensmitteln, ist, wer heute noch immer Fleisch ißt, nicht Mitläufer, sondern Mittäter.

Mittlerweile ist eine neue und besonders gefährliche Generation von Fleischessern herangewachsen, die sich der Grausamkeit und ethischen Abstrusität des Tötens für Gaumenfreude vollkommen bewusst ist, dies aber noch für legitim hält, das es ja nur Tiere sind – und damit für unsere Interessen verfügbar.

Diese neue Generation ernährt sich gesund, natürlich und bewusst. Sie argumentieren, dass sie sich als Teil eines grösseren Ganzen begreifen, wo das „Fressen und Gefressenwerden" unvermeidbar sei. Bei dieser diffusen Natürlichkeits-Folkore mutiert das Umbringen der Tiere geradezu zum Dienst an der Schöpfung. Wer sich solcherart „naturnah" und „bewußt" mit Fleisch versorgt, klinkt sich quasi wieder aktiv ins natürliche Geschehen ein. Das Tier kann nichts, was es nicht darf – der Mensch sehr viel. Beim Menschen existieren keine absolut notwendigen Verhaltensweisen. Er hat sich zu entscheiden.
Gerade dieses Geschöpf, das sich immer als Krone der Schöpfung betrachtet, rechtfertigt sein Lustmorden mit einer Natur-Notwendigkeit, die gar nicht besteht.

Die dringliche Bitte des Kalbes an dich ist deshalb: „Lass uns leben – ernähre dich vegetarisch.“

30. März 2008

Theodizee

Theodizee -
Die Rechtfertigung Gottes angesichts des Leides in der Welt

Der Begriff „Theodizee“wurde erstmals von Leibniz in seinem 1710 publizierten Buch „Über die Theodizee – Betrachtung der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und der Ursache des Bösen“ publiziert. Theodizee leitet sich ab vom Griechischen Theos (Gott) und Dikae (Gerechtigkeit).

Es existiert einen Widerspruch zwischen der Allmacht Gottes und seiner Gutheit.
Wie kann Gott das zulassen ?
Unser Leben zeigt vielerlei Leiden: Naturkatastrophen, Krieg, Verbrechen, Krankheiten. Warum hat Gott eine Welt erschaffen, in der es Leid und Schmerz gibt? Hätte Gott nicht eine bessere erschaffen können?
Das Theodizee-Problem gründet sich in dem erfahrenen Widerspruch zwischen dem Glauben an Gott und dem Sinn-Verlust, der mit dem Leiden verbunden ist. Wie kann ein allmächtiger und gütiger Gott die Übel und das Böse in der Welt zulassen, warum müssen wir leiden?
Das Problem entsteht nicht nur denkerisch, sondern direkt für den Menschen, der an Gott glaubt und von einem großen Leid, Unrecht oder sogar von einem Verbrechen heimgesucht wird. „Wie kann Gott das zulassen?“ ist die Frage. Gott will doch nur das Gute, das Beste? Ist das nun das Beste?
Wie aber kann ein guter Gott soviel Leid in seiner Schöpfung verursachen oder zulassen? Das immense Leid scheint entweder gegen seine Allmacht oder gegen seine Güte zu stehen. Diese Frage ist einerseits verständlich angesichts des erdrückenden Leides in der Welt, andererseits wird sie oft gestellt, um Gott auf die Anklagebank zu setzen, da eine oberflächliche Spiritualität diese Fragen nicht wirklich befriedigend beantworten kann.
Wie kann an Gottes Gerechtigkeit und Güte festgehalten werden, wenn Gott über hunderte von Millionen Jahren Krankheit, Missbildung, Grausamkeit, Tod, Artentod, und zuletzt (beim Menschen) auch die Möglichkeit der Abwendung eingesetzt hat, um die Lebewesen hervorzubringen? Das Übel erscheint demnach nicht als „Einbrecher" in eine ursprünglich leidfreie Schöpfung, sondern von vornherein als ihr Hausherr.

Wenn es Gott gibt, woher kommt das Böse? Doch woher kommt das Gute, wenn es ihn nicht gibt. Was wäre beständig gut?
Französische Existentialisten haben geschlussfolgert: „Die einzige Entschuldigung Gottes (angesichts des Übels in der Welt) ist, daß er nicht existiert.“
Die Erfahrungen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts zeigten dann, daß atheistische Systeme, die ja eine bessere Welt herbeiführen wollten, immer mehr in das Üble geraten. Ohne Gott scheint die Würde des Menschen nicht geschützt.

Eine prägnante, oft zitierte Formulierung des Problems lautet:

Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht:
Dann ist Gott schwach. Und das hiesse: nicht Gott.
Oder er kann es und will es nicht:
Dann ist Gott missgünstig. Das Widerspräche seiner Gnade und seinem Mitgefühl.
Oder er will es nicht und kann es nicht:
Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott,
Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt:
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?

Diese Argumentation wurde von dem Kirchenschriftsteller Laktanz (ca. 250 bis nach 317) überliefert.
Das Theodizeeproblem besteht im Widerspruch zwischen zwei Aussagen. Auf der einen Seite steht die Aussage, es gebe einen allmächtigen, allgütigen und allwissenden Gott – auf der anderen Seite steht die Feststellung, dass es Übel in der Welt gibt.
Verträgt sich die Lehre vom allmächtigen und gerechten und liebenden Gott mit der Erfahrung einer Welt voller Ungerechtigkeiten? Wie lässt sich das unendliche Leid auf dieser Welt mit der Vorstellung eines Gottes der Liebe vereinbaren?

Versuche, das Übel zu erklären

Wenn man solche Betrachtungen anstellt muss man sich immer vor der Anmassung bewahren, wirklich die Gesamtsicht zu haben. Kant warnt vor dieser spirituellen Arroganz: „Wir sind zu begrenzt, um metaphysische Spekulationen anzustellen. Hier stößt unsere Vernunft an ihre Grenzen (Kant: Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, 1791).
Das zur Urteilsfindung herangezogene Quellenmaterial und die daraus entwickelten theologischen/philosophischen Denkmodelle sind unzureichend, sind noch nicht vollständig.
Der Mensch steht einfach staunend in einer ihm unbegreiflichen Schöpfung, Zuschauer sozusagen in göttlichen Abläufen.
Und dennoch hat uns Gott Vernunft geschenkt und will natürlich, dass wir sie auch gebrauchen – um die Offenbarung vom Ihm nachzuvollziehen.
In diesem Zusammenhang sind die folgenden Gedanken auch zu verstehen.


-Wir leben in der besten aller möglichen Welten (Leibniz)
Nach Gottfried Wilhelm Leibniz gibt es eine unendliche Anzahl möglicher Welten. Von diesen hat Gott nur eine geschaffen, nämlich die vollkommenste, in der das Übel den kleinsten Raum hat („die beste aller möglichen Welten“). Jede Form des Übels ist letztlich notwendig und erklärbar.
Leibniz sagt, dass das „malum metaphysicum“, das metaphysische Übel natürlich sei. Das Geschaffene ist notwendig unvollkommen, da es sonst mit Gott identisch wäre.

Hätte ein allmächtiger Schöpfer nicht doch eine anders geartete Schöpfung erschaffen können?
Nein, er schuf die Beste aller Welten
-Er hätte sie so beschaffen können, dass sie ewig ist. Das wäre die ewige Trennung zu Gott.
-Er könnte jedem einzelnen Wesen eine eigene Welt geben. Das wäre unendliche Langeweile.
- Eine andere Option wäre es, der Menschheit den freien Willen zu nehmen. Aber das würde jegliche Liebe verunmöglichen.
-Er legt viele Lebewesen in eine Welt. Das wäre die Hölle. Seine Gnade ist die Vergänglichkeit und die inhärent in jedem Moment liegende Möglichkeit zur Rückkehr zu ihm.


-durch Annahme der Freiheit des Menschen
Einen weiteren Ansatz bei der Lösung der Theodizee-Frage liegt in der Annahme, dass Gott dem Menschen Freiheit und Eigenverantwortung in seinem Handeln lasse. Ohne Freiheit sei Liebe nicht zu verwirklichen.
Diese Freiheit birgt aber das Risiko des Scheiterns. Doch hier kann man weiterfragen, ob dieses Risiko nicht vermeidbar wäre, ohne die Liebe in Freiheit zu verlieren.

Da das zeitlich-irdische Leben zwar ein sehr hohes, aber nicht das höchste Gut ist, muss es weder von Gott noch von den Menschen mit allen Mitteln angestrebt werden. Das höchste Ziel bzw. Gut des Menschen ist immer die Rückkehr, die ewige Beziehung des Lebewesens mit Sri Krishna, d.h. die maximal mögliche Gemeinschaft mit Gott.
Wenn man denkt, dass irgendein Beschwernis oder Leid, das man in samsara (dem Kreislauf der Geburten und Tode) durchlebt, eine andere Ursache hätte, als seine Trennung zu Gott, so ist das die perfekte Definition von maya (dem, was eben nicht ist).

Gott bewirkt das Leid und das moralische Übel nicht, aber lässt die Würde des freien Willens zu, der selbst Abwendung von der Wirklichkeit beinhaltet. Zur gleichen Zeit macht er alle Arrangierungen, um die Seele wieder zur Ewigkeit hinzulocken. Er überlässt der Seele die Möglichkeit der Wahl innerhalb der Grenzen der Karma-Gesetze, die den übertriebenen Egoismus regeln sollen und die ja nur einen Ersatz-Gott darstellen, wenn man dem liebenden Austausch ausweichen möchte.
Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich nicht aus der Welt hinausdrängen, aber sehr wohl aus unserem Blickfeld. Wie lange will man noch Widerstand leisten?


-Die Perspektive der Reinkarnation
Wenn sich das Theodizee-Problem in seiner ursprünglichen Formulierung nicht auflösen lässt, muss dies nicht unbedingt heißen, dass Gott die ihm zugeschriebenen Eigenschaften nicht hat. Möglich ist auch, dass die gemachten Annahmen zu einfach sind: Gottes Güte besteht darin, den Menschen einen Zeitrahmen von unendlich vielen Leben zu geben, in welchen sie durch die von ihnen erwünschte Trennung zur Wirklichkeit, die sie als Leid empfinden, langsam korrigiert wird uns sie lernen, sich im göttlichen Sinne zu verhalten.
Vor allem kann das Böse, das den Unschuldigen trifft, nicht damit erklärt werden, daß es ihm zur Erziehung gereicht. Die Frage aus der Reinkarnation ergibt sich: Gibt es Unschuldige?
Reinkarnation erweitert den Betrachtungshorizont der Lebensgeschichte eines Wesens und lässt Ursachen erkennbar werden, die in der Einmaligkeitstheorie menschlichen Lebens einfach nicht ersichtlich sind. An diesem Punkt braucht es die Erweiterung der Perspektive durch die Reinkarnation. Das Buch wird effektiv nicht verstehbar, wenn ich nur eine einzige Seite aus ihm herausreisse.
Gottes Allgüte ist mit der auf ein Lebensausschnitt reduzierter Perspektive nicht erfassbar. Wenn die göttliche Führung über mehrere Leben beobachtet wird, erkennt man, wie er eine Seele langsam und vorsichtig wieder in Richtung ewiger Heimat lenkt und ihr Sadhu Sanga, spirituelle Gemeinschaft ermöglicht. Dies führt zu einer vergrösserten Intensität und Sehnsucht im Herzen der Seele.


-Falsch projizierte Sehnsucht
Das Leid resultiert nur aus der Lebensgier des Menschen, aus dessen krampfhaften Klammern an das Aufrechterhalten einer oberflächlichen Identifikationsrolle als Mensch mit bestimmten Bedürfnissen. Man suchte nach Unendlichkeit ... aber im Endlichen, und dadurch wurde man "unendlich" umhergetrieben --in samsara. Aber nichts liess einen stehen bleiben, schenkte einem das anfangs Verheissene. Anhalten kann man erst bei dem, nachdem man eigentlich sucht -- in der intensivsten Liebesbeziehung – bei Sri Krishna. Sehnsucht fliesst immer zum Unbegrenzten.

Leiden ist nicht das, was man bisher für Leiden gehalten hat.
Das Leiden gibt sich nicht offen als Leiden zu erkennen. Die meisten Menschen glauben. Leiden bedeutet, dass der Körper oder die Psyche krank ist. Wenn sie wieder funktionieren, dann denken sie, das Leiden sei angeblich wieder vorbei.
Dann gibt es alle möglichen Techniken und Ablenkungen, um das Leiden auszublenden, die Bemühung für medizinische und feinstoffliche Heilung, kleine Vergnügungen zu suchen, und irgend etwas zu tun, damit das Leiden nicht offensichtlich ist.
Leiden ist die Beziehung zum Ich-Gedanken. Ständig nimmt man Gedanken wahr, die mit den drei Buchstaben I C H beginnen.
Diese sind die Gedanken, die man nicht mehr wahrnimmt, sondern zu denen man wird, wenn sie auftauchen.
Aus diesen Gedanken entstehen dann Gefühle und Empfindungen, und man wird zu ihnen, aus ihnen geformt. sada tad bhava bhavitah (Bhagavad gita 8.6)

Es ist doch so, dass das Bewusstsein von Leid bisher immer erst dann entstanden ist, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen verlief.
Jahrelang geht es einem gut. Man hat einen wunderbaren Partner, beruflich macht man Fortschritte, mit seiner Familie versteht man sich bestens, man verdient genug Geld und man findet ohne Probleme eine schöne Wohnung. Es scheint keinen Grund zum Leiden zu geben.
Irgendwann bemerkt man eine gewisse Leere. Vielleicht muss man einfach seine Affirmationen intensivieren? Aber der Moment kommt, in dem man ahnt, dass etwas viel Grundlegenderes nicht stimmt. Aber die meisten Menschen brauchen dafür nicht Jahre, sondern Jahrtausende. Jahrtausende für die einfache Erkenntnis, dass man leidet.

Es ist nun aber nicht so, dass sich einem der Wunsch zu leiden als Wunsch zu Leiden zeigt. Er erscheint einem als Wunsch, glücklich zu sein – ohne Gott. Aber man erkennt die Verkleidung nicht.
Zum Beispiel kann er sich zeigen als der Wunsch, auszuwandern, oder als der unerfüllte Wunsch nach einem Kind oder einem angeblichen Seelen-Partner. Jeder unerfüllte Wunsch, der sich auf Vergängliches richtet, ausserhalb der Beziehung zu Sri Krishna, ist eigentlich der Wunsch, zu leiden, ist nicht sein wirklicher Wunsch.

Hoffnung auf Erfüllung innerhalb dieser Welt und Leiden sind unzertrennlich. (Bhagavad Gita 18.54 - na socati na kansati)
Gottes Eigenschaften sind neu zu verstehen. Er ist nicht Teil der dualen Erfahrung des Menschen
Gott ist nicht gut. Auch nicht nicht-gut. Er ist jenseits unserer Wertung. (caitanya caritamrita, 3.4.176) Er ist in der Absolutheit und er ist nicht wahrnehmbar durch die duale Begriffswelt der kleinlichen Hoffnungen des Menschen.



Abschlussgedanke
Das Leid und die Grauenhaftigkeit der Welt hat in vielen Menschen zu einem Enttäuschungs-atheismus geführt.
Bei Naturkatastrophen oder Erdbeben betreut man Verletzte und Angehörige, bietet Beistand und Hilfe – aber es bräuchte auch eine theologische Aufarbeitung: Ist diese Grausamkeit der Natur vereinbar mit der Allgüte Gottes?
Krankheit, Unglück, Schicksalsschläge werden schnell als Strafe Gottes für das Fehlverhalten der Menschen interpretiert. Man hat durch Schuld den Himmel provoziert. Man will es verstehen und einordnen können. Wird die Welt nach einer moralischen Ordnung interpretiert, kommt sie einem häuslicher vor. Gott ist ein Vater, der seine Kinder lenkt – durch Lob, Strafe und Tadel. Das ist ein sehr naives und archaisches Gottesbild, von dem sich viele Menschen unserer Zeit intuitiv befreit haben.
Das theologische Problem darin ist ein falsches Naturverständnis. Die Natur ist Natur und man kann von ihr aus keine Rückschlüsse auf Gott ziehen. Religion bedeutet, sein Leben von Gott her zu ordnen. Die Liebe lernt man nicht in der Natur.
In der Natur bewirken Schicksalsschläge die Ausschliessung aus der eigenen Gruppe. Eine Öl-Möve wird vom Schwarm zerhackt, da sie anders aussieht. Die Schwachen und Kranken in der Natur sollen sich nicht fortpflanzen, sie sind nicht zur Generation zugelassen. Darwinisten legitimieren aus dieser Grausamkeit der Natur ein rücksichtsloses Weltbild, wo einfach nur der Stärkere überlebt (survival of the fittest).
Der russische Anarchist Kropotkin schreibt, dass auch Mitgefühl, Barmherzigkeit und das Rückstellen eigener Interessen zugunsten Anderer Bestandteil der Natur sind. Aber die absolute Güte lässt sich nicht aus der Natur ableiten, da die Ambivalenz von Rücksichtslosigkeit und Mitgefühl inhärent in ihr existiert.

Diese Welt sei ein Zeugnis von Gott, der in ihr seine Güte, Macht, Weisheit und Schönheit offenbare. Das ist grundlegend falsch. In der Gita sagt Krishna: abhinna prakritir astadha „Diese Welt ist meine abgetrennte Energie.“ Und diese kann man nie mit ihm gleichsetzen. Gott schwebt keine Welt vor, in der die Menschen nicht leiden. Deshalb darf man die Gnade Gottes nie auf die körperliche und feinstoffliche Ebene reduzieren. Krishna will uns nicht die Traumidylle schaffen.
Gott ist mehr als seine duale Schöpfung der materiellen Welt, der Natur.
Das Böse sei durch gefallene Engel, den Satan, Demiurgen oder miteinander konkurrierende Weltprinzipien zu erklären. Als Beispiel hierfür kann die altpersische Religion Zarathustras dienen, die davon ausging, dass zwei gleich mächtige Urprinzipien die Welt beherrschen: Auf der einen Seite das gute, gebende, göttliche Prinzip, auf der anderen Seite das böse, nehmende, widergöttliche. Auf diese Art und Weise der Darstellung wird die Allmacht Gottes relativiert, denn die beiden, voneinander untrennbaren Prinzipien ergeben eine dualistische, Gutes und Böses enthaltende Gottesvorstellung.
Andere, ebenfalls dualistische Gottesvorstellungen finden sich in der Gnosis und im Manichäismus. Ein atheistisches Beispiel wäre das Ying-Yang der chinesischen Philosophie, welches die Geschehnisse in der Welt durch dualistische Urprinzipien erklärt.

Es ist nicht möglich, von der Welt her Gott zu denken. Die Theologie kann nicht Kausal-Fragen beantworten („warum ist es geschehen?“), sondern das Wozu. Es geht um die teleologische Frage, der Frage, was Gott mir uns beabsichtigt.
Die Natur nimmt keine Rücksicht auf ihre Geschöpfe. Religion kann deshalb ihre Grundlage nicht in der Natur finden. Pantheismus ist oberflächliche Schwärmerei, denn es gibt in dieser Natur auch die Grauenhaftigkeit und die Rücksichtslosigkeit. Wenn man Gott auf die Natur, seine Schöpfung, reduziert, dann wäre diese Ambivalenz die verpflichtende Vorlage für unser eigenes Handeln. Dann müsste ich so umgehen, wie es die Natur tut (viele Fleischesser verteidigen ihre Mordeslust mit dem Argument, dass Tiere ja auch Fleisch essen) – aber genau das darf ich nicht. Der Mensch hat als einziges Wesen einen anderen Auftrag: Nicht nach dem Gesetz Gottes zu leben („natürlich“), sondern nach dem Willen Gottes. Dharma ist nicht Ethik, sondern eine von Gott her definierte Verhaltensweise. Prema.

Sri Krishna ist der Hintergrund jenseits der Phänomenalität dieser Welt.
Augustinus schreibt in „Confessiones“, wie er auf die Suche nach Gott geht und die Sonne, den Mond, die Sterne, die Wüste, das Meer, die Wunderbarkeit der Natur befragt und sie alle sagen ihm: „Ich bin nicht der Gott, nach dem du suchst.“

Krishna wohnt in der Sehnsucht nach einer Liebe, die in der Natur nicht zu finden ist. Die Natur ist nie der Ruheort der Seele – sie kann erst im Unendlichen ruhen, erst bei Gott.

Der Mensch hat etwas, was es in der Natur nicht gibt – Religion, der Entwurf einer übernatürlichen Liebe, die auf Gott gerichtet ist und von da her innerhalb dieser Welt handelt.
Es geht nicht darum, alles in dieser Welt lieben und es mit Gott gleichsetzen zu wollen, sondern nur auf Gott gerichtet die Liebe wieder in die Welt einfliessen lassen.
Die Liebe Gottes lässt sich nie ergründen in der Natur, sondern trotz der Natur. Wenn man Gott nur auf seine Schöpfung reduziert, den König also nur noch als den Gefängniswächter betrachtet, werden der Enttäuschungsatheismus und das Problem der Theodizee die natürlichen Folgen sein.

Leiden ist der Hinweis darauf, noch nicht angekommen zu sein. Noch nicht seine wirkliche Bestimmung zu leben und sich noch im Provisorischen aufzuhalten, eben ausserhalb seiner Nitya-sambandha (seiner ewigen Beziehung zu Radha Krishna).

Es geht um unbedingtes und restloses Vertrauen zu Gott, trotz Unfähigkeit, das Rätsel des Leids und des Bösen enträtseln zu können. Man kann die genaue Ursache des Leides nicht immer „erklären“, aber bestehen.
Nachdem Hiob durch das Leid gegangen ist, sagt er am Ende des Buches in Hiob 42,5: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“
Ist Gott leiderzeugend? Hiob legt den Finger auf dem Mund und schweigt vor Staunen in Anerkennung des riesigen Ausmasses seines Nichtwissens. Er verliert die Grundlage, sich zu beschweren.

22. Januar 2008

Der seidene Faden

Was passiert, wenn ich spüre, dass mein Leben nur noch an einem kleinen Faden hängt?
Wenn ich mich mit meinem grob- und feinstofflichen Körper gleich setze - diese sich aber in einem ständigen Wandel befinden - und Wandel ist gemäss dem Bhagavatam eine Form von Zerstörung (nitya pralaya SB 12.4.36) - hängt meine ganze Identität ständig an einem ganz dünnen Faden.
Und das spüre ich - ganz fein und unbewusst.
Deshalb tätige ich aus Angst heraus eine latente und intensive Gegenbemühung - diese nenne ich "mein Leben" - um die Position des "Ich" zu sichern.
Doch was geschieht, wenn ich die lächerliche Bemühung dieses "Ich" zu verteidigen, vollkommen ablegen würde?

Es ist so fruchtlos, immer wieder zu versuchen, diesen Faden zu verstärken - Arrangierungen zu tätigen für Erhalt, Ansehen und Unterhaltung in dieser Welt.

Denn es ist gar nicht wirklich das Leben (das wirkliche Leben), das an diesem dünnen Faden hängt. Es ist nur das Leben und Sterben (samsara), das Festhalten-Wollen an äusseren Identifikationen, die an diesem Faden hängen.

Alle verschiedensten Erfahrungen und der ständigen Bewertung derer, die ein Lebewesen in den drei Bewusstseinszuständen (Tiefschlaf, Traum und Tagtraum - das, was ein Mensch dieser Welt als "Wach-Zustand" bezeichnet) erlebt, sind nichts anderes als Täuschung (am wahren Leben vorbeigelebt)."
(SB 12.4.25)

In meinem Wahn der falschen Identifikationen verschwende ich Leben für Leben, um Illusionen zu schützen.
Ich in Meiner wirklichen Identität hänge überhaupt nicht an einem seidenen Faden.

ajo nitya sasvatam yam purano na hanyate hanyamane sarire (BG 2.20)

"Für die Seele gibt es zu keiner Zeit Geburt oder Tod. Sie ist ungeboren, ewig, immerwährend und urerst. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird."

Aber die Existenz, die ich bisher als "mein Leben" angenommen habe, hängt sehr wohl an einem seidenen Faden. Was ist denn dieser Faden? Die Beziehung zu dem Gedanken "ich", jedes Identitäts-Gefühl ausserhalb meines siddha-deha (des ewigen spirituellen Körpers).
Und alles, was daraus resultiert ist Angst, Getrenntheit, Schmerz und Arroganz.
Und wenn ich an diesem feinen Faden angelangt bin, dem Vermögen meiner Bedingtheit (des ahankara), sich als ein Teil dieser Welt fühlen zu wollen, berühre ich meine verdrehte Grundbeziehung mit dieser Welt, die völlig zerstört werden muss, wenn ich wirklich leben will.

22. Dezember 2007

Weihnachtsbrief

Offener Brief an denkende Menschen

Unser Umgang mit Tieren ist geprägt von einer tiefen Irrationalität.
Auf der einen Seite werden Tiere wie zum Beispiel ein Hund geliebt und verhätschelt und der Missbrauch an ihnen ist gesellschaftlich geächtet und empört schreibt man darüber in Zeitungen. Aber zur gleichen Zeit werden andere Geschöpfe wie zum Beispiel das Schwein, das eigentlich keinerlei bedeutende biologische oder psychologische Unterschiede zum Hund aufweist, gequält und getötet, geschlachtet und gegessen. Es scheint sogar ganz normal, seinen Weihnachtstisch mit so einem gemarterten und geschlachteten Tier zu „zieren“.
Tiere sind entweder geliebte Haus- und Kuscheltiere oder tauchen unter in einer anonymen Masse, die wir dann töten lassen und auf dem Teller verspeisen.

Du würdest doch deinen Hund oder deine Katze oder deinen Kanarienvogel nicht umbringen und aufessen… Warum dann Schweine und Kühe, die genauso sensible Wesen sind und die ebenso fähig sind, Gefühle auszutauschen?Du fändest es doch auch nicht richtig, wenn überlegene Ausserirdische auf die Welt kämen und uns so behandelten, wie wir Tiere behandeln. Warum behandeln wir dann Tiere so?Du lehnst doch das Recht des Stärkeren als ethische Richtschnur ab. Warum soll es dann gegenüber Tieren gelten?

Es ist eine erstaunliche Wahrnehmungsverzerrung, der die fleischessende Normalbevölkerung nachhängt: Wie schrecklich und unverständlich finden es doch alle, wenn sie in der Zeitung von Menschen lesen, die aus trivialsten Gründen einen Mord begehen. Aber gibt es einen trivialeren Grund, jemanden umzubringen oder umbringen zu lassen, als den Wunsch nach einem bestimmten Geschmackserlebnis?

Eine Frau betrat eine Tierhandlung, um Vogelfutter zu kaufen, und da es Winter war, trug sie ihren Kaninchenfellmantel. Als sie an einem Kaninchenkäfig stehen blieb, um ein paar Zwergkaninchen zu streicheln, hörte sie hinter sich eine Frauenstimme, die sehr laut sagte: „Finden sie es nicht heuchlerisch, dieses Tier zu streicheln, wenn sie dabei seine ganze Familie am Leib tragen?“

In diesem Zwiespalt leben die fleischessenden Tierfreunde… einerseits liebt man die Tiere, erfreut sich an ihnen, und andererseits ist man durch den Fleischkonsum Auftraggeber für ihre Tötung.

Inmitten unserer hoch entwickelten westlichen Kultur, inmitten all den strahlenden Monumenten unserer Geschichte, Kunst, Religion und Wissenschaft, gibt es die dunklen Bereiche. Das sind die Tierfabriken und Schlachthöfe – gesichtslose, geschlossene Bereiche, in denen die Gesellschaft ihr schmutziges Geschäft der Misshandlung und Ermordung unschuldiger, fühlender Wesen abwickelt. Wir sind brave Bürger und haben eigentlich eine ziemlich gute Vorstellung davon, was dort geschieht, aber wir wollen es lieber nicht so genau wissen…..
Genau das macht unsere Komplizenschaft noch gemeiner.
Den Vegetarismus auch aktiv zu lehren bedeutet Einsatz für Gerechtigkeit: es ist die Identifikation mit den Machtlosen und Verwundbaren, den geknechteten und unterdrückten Opfern. Sofern wir nicht an den faschistischen Grundsatz glauben, dass Macht vor Recht geht, haben wir kein Recht, unseren Mitgeschöpfen, den Tieren, Schaden zuzufügen und ihre Körper zu essen.
Wie lange will man das Inferno ansehen und schweigen?
Was haben die Tiere getan, dass sie dies verdient hätten?

Ein totes Rind oder Schaf auf der Weide gilt als Kadaver. Dasselbe Aas, zerlegt und auf dem Teller liegend, wird nun plötzlich „Nahrung“ genannt.

Fleischessen ist eine grässliche Form des Vergnügens. Was ist das für ein Vergnügen, wenn man nachdenkt, wie Fleisch zu Fleisch wurde?
Beim Betrachten von Würsten in einem Schaufenster sprach ich zu ihnen:
„Ihr seid einmal lebendig gewesen, ihr musstet leiden, aber jetzt habt ihr ausgelitten.
Gibt es irgendwo im Kosmos eine Gedenktafel, auf der von euch steht?
Man erkennt eure ursprüngliche Form nicht mehr, verwischt ist das schwerzerfüllte Gesicht, vergossen sind die Tränen. Wahrscheinlich seid ihr noch gefüllt von der Angst und dem Schrecken eurer Vergangenheit….
Dass ihr vor kurzem ein fühlendes Wesen gewesen wart, will niemand mehr wissen….
Unsere Lust, Fleisch zu essen, hat euch so verformt…..“

Ein fühlender und denkender Mensch sollte doch zum Schluss kommen, dass man nicht friedfertig sein kann, wenn man gleichzeitig andere Lebewesen tötet, dass man nicht für Gerechtigkeit sein kann, wenn gleichzeitig Wesen, die schwächer sind als man selbst, zur Schlachtbank führen und sie quälen und morden lässt – durch das Essen von Fleisch.

Wer Fleisch isst oder auf die Jagd geht, erklärt sich mit der Grausamkeit der Natur einverstanden und mit jedem Bissen Fleisch oder Fisch, den er isst, erklärt er: Wer die Macht hat, hat das Recht.
Vegetarismus ist der Ausdruck des Protestes gegenüber dieser Haltung. Das Engagement unserer Empörung darüber ist gering und dennoch wirkungsvoll: Aufzuhören, Fleisch zu essen.

Das Gegenteil von „losgelöst“ ist nicht nur „angehaftet“, es ist auch verkrampfte Askese.
Das Gegenteil von „mutig“ ist nicht nur feige, es ist auch Übermut.
Das Gegenteil von „gut ist nicht nur „böse“, es ist auch die Gleichgültigkeit.
Und gerade die Gleichgültigkeit zeigt sich auf so tragische Weise in unserem Umgang mit Tieren. Fleischessen ist nicht eine harmlose Essgewohnheit, die einem egal sein darf.
Wer in einer Militärdiktatur nicht wissen wollte, was mit den verschwundenen Nachbarn geschah, war ein feiger Mitläufer. Wer heute nicht wissen will, was in Schlachthöfen mit Tieren passiert, ist ein egoistischer Mittäter. Am moralischen Stellenwert des Nicht-wissen-Wollens hat sich nichts geändert.

Es gibt Menschen, die wollen dies nicht sehen, da das Hinsehen ihre Beteiligung beim Morden aufzeigen würde und ihnen den Appetit verderben würde. Was ist das für ein Appetit, der von der Ignoranz lebt?


Syam Priya kunj – Ort der Stille und der Versenkung
www.radhe.ch / www.sanatan-dharma.ch

2. Dezember 2007

Dem Ruf Gottes folgen

Der Gott der eigenen kleinen Hoffnungen, der in der eigenen Lebensbilanz ein erfreulicher Pluspunkt sein soll, ist nicht der Gott der Wahrheit. Der Allmächtige und Allbarmherzige lässt sich nicht verbuchen – weder für eine bestimmte Konfession noch für den Eigenbedarf.
Er tritt ergreifend und erschütternd in unser Leben ein, reisst uns aus allem Lebensallerlei heraus und weist uns kraftvoll den Weg.

In der Bibel gibt es da schöne Beispiele:

Mose hütet ein paar Schafe am Berge Horeb, wo plötzlich die Weisung Gottes an ihn gelangt: „Führe mein Volk aus Ägypten heraus!“ Mose weicht zunächst zurück, dann aber schlägt er all seine privaten Lebenspläne in den Wind und tut, was ihm Gott aufträgt.

Den Probheten Jona packt schlicht die Panik , als Gott ihn ruft. So schnell er kann, macht er sich zu Schiff aus dem Staub. Das Schiff kommt in ein riesiges Unwetter und als Jona sich zur Errettung der Besatzung über Bord werfen lässt, frisst ihn ein grosser Fisch, der ihn aber auf Geheiss Jahwes nach frei Tagen wieder an Land speit. Da ist ihm natürlich klar, dass er dem Rufe Gottes nicht mehr ausweichen kann.
Petrus und Andreas werden von Jesus von ihren Fischerbooten weg berufen und folgten ihm auf der Stelle nach.

Dieser Ruf ist jetzt. Ob man aber dazu einwilligt und sich hingibt, oder ob man weiterhin Widerstand leistet, ist die individuelle Entscheidung der Seele. Das ist schicksalsprägend.

Die Intervention Gottes ist niemals harmlos und „wunschgemäss“. Der allmächtige Gott ist nicht unser Angestellter. Sein Geist weht wo, wie und wann er will. Er könnte dich jetzt ergreifen und dann kommt die freiwillige Einwilligung unsererseits. Sind wir jetzt dazu bereit?
Geistesgegenwart bedeutet, für diesen Ruf jederzeit bereit zu sein und für die Konsequenz einzuwilligen.

Lebendiges Leben ist, das Unerwartete zuzulassen, dich dem Moment zur Verfügung zu stellen, bereit zu sein für die Intervention Krishnas. Die grundlegend religiöse Haltung ist die des Horchens, sensibel zu sein für den Ruf.
Wie weit ist man bereit, Folge zu leisten, sich in Anspruch nehmen zu lassen von Krishna, auch wenn das mit persönlichem Verzicht verbunden ist?
Simone Weil: „Wer mit Gott nicht eines seiner Wunschbilder empfangen will, der muss warten können – in gänzlicher Aufmerksamkeit.“