31. Januar 2013

Entfühlung - über die Entwöhnung von der emotionalen Welt

Die Tendenz, das Gebet und die Beziehung zu Gott mit gefühlten Erfahrungen zu identifizieren ist tief in uns verwurzelt. Man glaubt, selbst durch den inneren Weg die sinnliche Empfindungsfähigkeit nähren oder sogar ausweiten zu können. Im Caitanya Caritamrita findet sich ein Vers, der den inneren Weg sehr prägnant vom Fühlbaren und sinnlich Wahrnehmbaren unterscheidet: “Die transzendentale Substanz ist nie berührbar durch Konzepte und Auffassungsgaben des Geistes, und ist nie erfassbar durch irgendwelche Bemühungen der Sinne. Dies ist die Aussage aller Vedas und Puranas.” (Caitanya Caritamrta 2.9.194) Das innere Gebet soll nicht in eine kausale Verbindung mit den Charismen, mit Geistesgaben, gebracht werden und es auch nicht mit ihnen verwechseln. Paulus listet solche im ersten Korintherbrief (12,7-11) auf: perfekte Deutungen der Schriften, die Prophetie (Dinge voraussehen zu können), das Heilen, die Gabe der Wundertäter, Ausstrahlungskraft, die Weisheitsrede, das Lehren, die Unterscheidung der Geister, die Führungsfähigkeit…. Das sind Eigenschaften, die in der Welt als herausragend betrachtet werden, doch sind sie keinerlei Hinweis auf die Vertiefungsfähigkeit eines Menschen. Es sind karmisch vorbestimmte Eigenschaften, die einfach nur Teil der äusserlichen Persönlichkeits-Struktur sind. Solche Fähigkeiten kommen und gehen und korrelieren nicht mit dem inneren Erwachungspfad. Weil innere Erleuchtungszustände als überwältigend erfahrene Freuden angenehm sind, entsteht auch durch diese sofort eine Neigung, sie zu verlängern. Nicht wegen Gott, dem Objekt des Gebetes, sondern aufgrund des Annehmlichkeits-Impulses für das Selbst. Somit ist der Same für die Anhaftung gesetzt. Der Fokus ist nicht mehr auf das Gott-Dienen gerichtet, sondern auf die Erfahrung innerer Seligkeit, nach der man sich sehnt. Das ist nicht Kontemplation sondern nur spirituell gefärbte Völlerei. Darin will man in spirituell legitimierter Form möglichst viel eigenes Vergnügen von Gott erhalten. Das falsche Selbst, das Selbstgefühl der Identifikation mit der Aussenwelt, benutzt die Erlebnisse im Gebet und im heiligen Namen unterschwellig, um weltliches Verlangen und Befriedigung guter Dinge zu erhalten. Jeder Mensch erlebt mystische Gnade, Entgrenzungserfahrungen. Gelegentlich sogar auf sehr mächtige Weise. Da die Präsenz Gottes uns vollständig umgibt, kann er uns jederzeit einen ersten Hauch seines köstlichen Duftes erfahren lassen. Auch areligiösen Menschen widerfährt das. Da innere Schulung oft fehlt, hält man diese ersten Einladungsschreiben bereits für die Essenz selber und dann werden sie zu einer Gottesverdunkelung, wenn man bei diesen provisorischen Vorboten stehen bleibt. In Indien hat 200 Jahre vor Christus Patanjali in seinem „Yoga-sutra“ systematisch vor siddhis, den aussergewöhnlichen psychischen Fähigkeiten, gewarnt. Spirituelle Errungenschaften stellen immer auch eine Versuchung dar. Wenn dies nicht genau betrachtet und angenommen wird, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man ihr erliegt. So wird man schnell erhoben in eine Rolle eines erleuchteten Führers, eines Propheten oder charismatischen spirituellen Lehrers. Die Erhöhung geschieht durch eine Identifikation mit den Geschenken auf dem inneren Weg, die man sich selber zuschreibt. Die Identifikation mit dem idealisierten Selbstbild bedeutet, dass einen die alte Kraft des falschen Selbst wieder fest im Griff hat. Das Leben von vielen Heiligen, speziell den Babajis (zurückgezogen kontemplativ Lebende), setzen ein riesiges Fragezeichen vor alles, was das falsche Selbst mit Glück und Erfolg gleichgesetzt hat. Die spirituelle Reise ist keine äussere Erfolgs-Story, sondern eine Reihe von Verkleinerungen des äusserlichen Selbstgefühls. Joseph von Cupertino, ein Kapuzinermönch aus dem 17 Jahrhundert, hat in einer bestimmten Phase seiner geistigen Entwicklung überschwängliche Mystik erlebt. Er hatte solche Zustände der Verliebtheit, dass er in der Messe oft zur Kirchendecke hinaufflog. Für die Mitbrüder waren diese Fliegstunden eher eine Störung, sodass er nach einiger Zeit ein Flugverbot erhielt. Als er dieser Aufwärtsbewegung dann widerstehen musste, fiel er in eine Depression. Später schrieb er, dass er im Aushalten von dieser und im sich im der Stille Gott hinzuhalten wesentlichere Schritte zur aufrichtigen Gottesbegegnung vollzog als durch das Spektakel der Fliegerei. Wenn man von der heimlichen Befriedigung absieht, die fühlbaren Wahrnehmungen als Gottesgabe zu identifizieren, vom geistlichen Stolz, beginnt das falsche Selbst keine Nahrung mehr zu erhalten und erübrigt sich nach und nach, sodass die Individualität der Seele durchschimmert. Wenn man die Nebenprodukte des inneren Weges, emotional gefühlte Wahrnehmungen, so erstaunlich sie auch sein mögen, gehen lässt, schenkt das Zugang zu einer stillen Erfülltheit, die wirklich in der Beziehung mit Gott gründet und nicht im Geniessen seiner Energien und Trostgeschenken. Will ich mich an den Phänomenen ergötzen oder sie wirklich zur Essenz hin durchdringen, welcher allem zugrunde liegt? Johannes vom Kreuz rät seinen Schülern, psychischen Phänomenen keinen Wert beizumessen und was Erscheinungen, süsse Düfte oder Visionen angeht, so empfiehlt er aufs Stärkste, ihnen zu widerstehen. Die Tendenz, sich an der Erfahrungsmystik laben zu wollen, entspringt der Angst der Auslieferung ans einfache stille Gebet, welches dann eben nicht mehr so beglückend sein könnte. Anfänglich weiss man gar nicht, was man mit der emotionalen Erlebnislosigkeit, der Trockenheit anfangen sollte. Man ist verunsichert und würde das stille Beten am liebsten aufgeben und sich entspannen oder eine fesselnde Arbeit beginnen. Trockenheit im Gebet übersetzte das falsche Selbst als die Abwesenheit Gottes. Tatsächlich ist es nur die Verschiebung der Kommunikation auf eine tiefere Ebene. Das Schweigen Gottes ist seine erste Sprache. Alles andere ist ärmliche Übersetzung. Um diese Sprache zu verstehen, darf man innehalten beim heiligen Namen und still ruhend lauschen lernen. Durch das Bei-ihm-Bleiben erhält man Zugang zum geschenkten Gebet, welches eine gänzlich andere Dimension darstellt als alle provisorischen Abspeisungen an emotionalen Aufladungen. In dieser Trockenheit stellen sich alle gefühlten mystischen Gotteserfahrungen ein. Der Mensch, der sich überschwängliche Mystik gewohnt war, sehnt sich, sie zurückzubekommen. Je nachdem, wie viel geistlicher Oberflächen-Trost der Mensch zuvor erhalten hatte, erlebt er nun den Schmerz des Verlustes. Diese Phase innerer Trockenheit ist eine radikale Ablösung vom Fühlhaften, was man vorschnell für die Gnade hielt. Sie heilt einen vor der Versuchung, das Selbst zu erhöhen und eine selbst-strahlende Rolle anzunehmen. Sie befreit vor der heimlichen Befriedigung, als Empfänger von Gottes Segen auserwählt zu sein, also von der Aufblähung des Selbst. Man wird durch sie wieder zur Demut geführt. Eine weitere Frucht der inneren Trockenphase ist die Freiheit von der Herrschaft der Emotionen und Gefühlen. Wenn man das, was für ihre Welt angenehm ist, als göttlich betrachtet, wird man eigentlich nur von ihren Mustern umhergeschoben. Wenn auf dieser Ebene auch für lange Zeit keine Nährung mehr geschieht, Gott einen sozusagen ausnüchtert, und man sein Herz in der Stille einfach Gott hinhält, wird man frei von Gefühlsschwankungen und Launen. In der inneren Trockenheit wird auch die Gottesvorstellung geklärt. Der kindliche Glauben versteht unter Gott einfach das Sicherungsprinzip seines Lebens, in dem man Aufgehobenheit erfährt. Dieser Gott schweigt aber. Er reagiert nicht mehr und erfüllt auch die eigenen Anliegen nicht mehr. Man schaut still zu Gott hin und bemerkt, dass er gar nicht zuständig ist, ein Lieferant der Eigenbedürfnisse und Garant für die Sicherheit des falschen Selbst zu sein. Die naive Vorstellung von einem funktionierenden Gott für die Stabilisierung des Eigenlebens wird zunichte gemacht. Die stille Schau auf Ihn ist das Geschenk und nicht die Umstrukturierung von Umständen in meiner kleinen Gefängniszelle der Gefühle und Erlebnisse. Es ist, als würde unsere Erinnerung, die massgebliche Orientierungshilfe, und die Fähigkeit, gefühlsmässig und emotional etwas aufzunehmen, ausgeschaltet. Krishna möchte, dass sich die Seele nicht mehr darauf stützt. In dieser Hilflosigkeit und einem bisher nicht bekannten Verlorenheit, verweilt man einfach still. Es findet ein Umbau des Bewusstseins statt, welcher selber keine Erfahrung oder eine Reihe von Erfahrungen mehr ist. Hier kann Krishna seine wirkliche Gnade an die Seele schenken, sraddha, unverrückbares Vertrauen, welches immer Geschenk Gottes ist. Es stellt der erste Schimmer der Bhakti dar. In der Seele existiert nun keinen Widerstand mehr und auch keinen inneren Kommentar, der immer aus der Fakultät der Fühlwelt entsprang. Auch Erwartungen für das Zukünftige, die heimlichen Forderungen, sind verstummt. Hier stellt sich das „Machen“ ein. Man ist von den Trostgeschenken der Oberfläche, den ausserordentlichen Gemütszuständen, entwöhnt. In dieser inneren Nüchternheit scheint die Trockenheit wieder einen Geschmack zu bekommen, der einen in die Mitte seines Seins hineinzieht. Diese innere Köstlichkeit stammt nun nicht mehr aus den Sinneswahrnehmungen, sondern aus dem Angesprochen-werden als Seele. Sie ist ganz anders geartet ist als die Aufladungen von der Oberfläche. Da merkt man, wie das stille Gebet grössere Anziehungskraft besitzt als alle geschenkten Wahrnehmungen sinnlicher und emotionaler Art. Es ist also kein schlechtes Zeichen, wenn man überwältigende Glückserfahrungen, die man einmal hatte im inneren Leben, verliert. Das Wesentliche ist nicht das sensualistische Erleben, sondern die unspektakuläre stille Bereitschaft sich Gott zuzumuten und anzuvertrauen – unabhängig seiner Erwiderung. Selbst die wunderbarsten Erfahrungen bleiben nur kleine Wegsteine, wenn es ins Ewige einmünden darf. Wenn man wirklich dem Unbegrenzten begegnen möchte, braucht es diese Haltung: „Ich gebe mich nie mit Erreichtem zufrieden, stehe bei keiner Verwirklichung still, begnüge mich mit keinem inneren Hochgefühl, werte Erfolg und Einsichten niemals als die letztliche Gnade, lasse mich nicht mit der Vorläufigkeit abspeisen, begnüge mich nicht mit dem Weg, den ich schon gegangen bin, vergleiche mich nicht mit der schlafenden Masse und glaube schon gar nicht an den Applaus, welcher mir von ihr entgegengebracht wird. Und dennoch bin ich zutiefst dankbar in jedem Augenblick. So schreite ich immer weiter, ohne je anzuhalten, einer vollständigeren Offenbarung entgegen, auf ein umfassenderes Bewusstsein hinzu. Das gestern Erkannte dient nur wieder als kleiner Brückenstein für die künftige Erkenntnis.“ Es scheint manchmal langweilig zu sein, zumindest von aussen, denn der Weg nach innen ist eben wirklich nicht spektakulär. Eine Erfahrung kann nicht geplant, vorherbestimmt, willkürlich initiiert werden und schon gar nicht erwartet. Wir bestimmen nicht Weise, Ort und Zeit einer Erfahrung - sie widerfährt uns. In Bhakti, in der Gotteszuwendung, ist der Fokus nicht einmal auf Erfahrungen gerichtet, sondern nur auf die Grundhaltung, Krishna zu erfreuen. „Krishna, Du hast mich gelehrt, den aussergewöhnlichsten Zustand, wenn er vorüber ist, ebenso wenig zu vermissen, wie ich ihn begehrte, bevor er kam. Auch wenn ich solche Zustände nicht mehr geschenkt bekomme, sehe ich darin nicht mehr ein Zeichen von Unbeständigkeit im Fortschritt auf meinem Pfad. Ich schreite nun einfach weiter und verweile in den unterschiedlichen Etappen nicht länger, als eben unbedingt nötig.“ Geduld, Kraft, Mut, Ruhe und innerste Gelassenheit… Dass der Geist schweigen lerne und sich nicht gleich die Kräfte zunutze macht, die aus Gott heraus als Gnadengeschenke fliessen. Die Seele darf sich nun verwandeln und mit Gottes unendlicher Absicht harmonieren. Das ist etwas gänzlich anderes, als eine besondere Rolle und Stellung einzunehmen oder aussergewöhnliche Kräfte zu erlangen. Man wird einfach gänzlich unspektakulär in die Lage versetzt, ein ganz gewöhnliches Leben mit einer gänzlich aussergewöhnlichen Liebe, die von Gott entzündet ist und sich auf ihn hinbewegt, zu führen.

16. Januar 2013

Darf man glücklich sein in der materiellen Welt?

Gottes-Hinwendung erscheint vielen Menschen nicht als das Synonym der Lebensfreude. Religion ist für den heutigen Menschen mehrheitlich ein System weltanschaulicher Vergraulung des Frohmutes, der Ausgelassenheit und der Heiterkeit geworden. Die vielen Versprechen auf Jenseitsverheissung und die moralische Regelung, die es zu befolgen gilt, um dieses Heil nicht zu verpassen, lasten schwer auf der Unbeschwertheit des Herzens. Aber auch die materialistische Weltanschauung zeichnet ein recht düsteres und nicht sehr freudvolles Bild. Die säkulare Kultur beschreibt den Menschen „nicht mehr als gottgewollte Krönung einer gut gemeinten, gut gemachten Schöpfung aus der Intention der Liebe, sondern als unbeabsichtigtes, kosmologisch unbedeutendes und vorübergehendes Randphänomen eines sinnleeren Universums.“ (R. Dawkins) Die Frage ist nun, inwiefern eine Seele auf dem Weg zur Transzendenz, in der Welt glücklich sein darf. Wäre die materielle Welt gänzlich glücklos, wäre das eigene erfahrene Leiden die Grundmotivation zur Gotteshinwendung. Dies aber ist kein Antrieb der Liebe, da dieser um das eigene Selbst kreist und nicht um Krishna um Krishnas Willen. Ist nun Glücklich-Sein in der Welt Sünde? In der Sprache sind ureigene Wahrheiten verborgen. Im Deutschen wird das Wort „Heide“ (= Ungläubiger) unter anderem verwendet, um andere Begriffe zu verstärken. So ist ein besonders grosses Spektakel ein „Heidenspektakel“, eine übermächtige Angst eine „Heidenangst“ und ein richtig toller Spass ein „Heidenspass“. Im Falle des „Heidenspasses“ besitzt die Wortzusammensetzung eine zweite, tiefere Bedeutung: Das Kompositum deutet darauf hin, dass die konsequente Ausrichtung am Spass, an der Freude im Diesseits, eine zutiefst heidnische Lebenseinstellung ist. Das kleine, irdische Glück war stets eine Domäne der Heiden. Gute Christen dagegen waren auf „Höheres“ aus, auf das Himmelreich, das über das „irdische Jammertal“ hinwegtrösten sollte. Von daher hat es schon seine Richtigkeit, dass wir das Wort „Heidenspass“ kennen, aber religiöse Äquivalente wie „Christen-, Muslimen- oder Hindu-spass“ vergeblich im Wörterbuch suchen. Zudem finden sich in den heiligen Unterweisungen der Bibel und auch der Bhagavad Gita viele Aussagen, die interpretiert werden könnten als Bestärkung in der Weltabkehr. Jesus predigt, dass eher ein Kamel durchs Nadelöhr käme als ein Reicher in den Himmel, und die Gita (2.44) spricht von der Unmöglichkeit die klare Entschlossenheit zu entwickeln, Krishna in Liebe und Hingabe zu dienen, wenn jemand noch an Sinnengenuss oder Reichtum haftet. Zugegeben: Der scharfe Gegensatz zwischen dem heidnischen Hedonismus (von griech: hēdone = Freude, Lust) und der abendländischen, christlichen Jammertalsrhetorik mag heute abgeschwächt sein, Aber in Zeiten, in denen sich das Christentum selbst noch ernster nahm, konnten die Gläubigen gar nicht anders, als mit „heiligem Zorn“ gegen den „durch und durch unchristlichen Hedonismus“ zu Felde zu ziehen. Gute Beispiele hierfür sind Papst Innozenz III., der mit seiner Schrift „Über die Verachtung der Welt und über das Elend des Menschen“ die irdische Qual als Königsweg zu Gott bestimmte, oder der jüngst heilig gesprochene Opus-Dei-Gründer Josemaria Escriva, der - in der Mitte des 20. Jahrhunderts! – unter grossem klerikalen Beifall verkündete: „Ich nenne dir die wahren Schätze des Menschen auf dieser Erde, damit du sie dir nicht entgehen lässt: Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Schmerz, Schande, Armut, Einsamkeit, Verrat, Verleumdung, Gefängnis.“ (Escriva, Josemaria (1982): Der Weg. Köln, Spruch Nr. 194) Das gesamte Mittelalter war geprägt von dieser starken Jenseits-Orientierung: Die Entbehrung in der Welt würde dann im Ewigen vergolten. Angesichts dieser enormen Verherrlichung des irdischen Leidens muss man sich nicht wundern, dass Legionen frommer Gelehrter den freundlichen Philosophen des irdischen Glücks, Epikur, zu einem der ernstesten Feinde der „frohen Botschaft“ erklärten und dafür sorgten, dass der Begriff „Epikureer“ zu einem beliebten Schmähwort avancierte. Der Name des alten Griechen, der immerhin drei Jahrhunderte vor der Ankunft des Messias lebte, musste nun zur Kennzeichnung einer verdammungswürdigen Lebensweise herhalten, wurde er doch der Inbegriff des innerweltlich Geniessenden. So wundert es nicht, dass ausgerechnet „Epikur und seine Jünger“ von Dante literarisch in die Hölle verbannt und als „Erzketzer“ einem ewigen Martyrium in „Flammensärgen“ ausgeliefert wurden. (Dante (1321/1978): Die Göttliche Komödie. München, X. Gesang.) Auch in der Vaishnava-Tradition findet man negative Bewertung des Weltgenusses. Dieser wird mit harten Worten verdammt (z.B. Bhagavatam 2.3.19). Es werden vielerlei Warnungen ausgesprochen, nicht den Sinn in den Sinnen zu finden, da man sonst als Tier wiedergeboren werden könnte. Um solche Warnungen noch zu festigen, wurden sogar Höllen erfunden (Srila Bhaktivinoda Thakur sagt in seinem Artikel „the bhagavat“, den er bereits 1869 verfasste, dass die Höllenbeschreibungen im Bhagavatam eine Interpolation von Brahmanen seien, die ihrer Morallehre mit Hilfe von Höllendrohungen ein wenig mehr Gewicht zu verleihen suchten.) Da heisst es, dass Fleischesser für lange Zeit in siedendem Öl gekocht würden (5.26.13) und jemand, der vom moralischen Pfad der vedischen Vorschriften abweicht, erwartet eine spezielle Hölle, wo er ausgepeitscht wird und wenn er schmerzgepeinigt umher rennt, rennt er in Palmblätter, die wie die Klingen von Schwertern sind (5.26.15)….Solche Drohgebärden sind dem entkrampften Sein nicht unbedingt dienlich. Epikur übrigens fand über viele Jahrhunderte weit mehr Feinde als Nachahmer. Schon die Stoiker versuchten noch in vorchristlichen Zeiten seine Schriften zu vernichten. Die meisten Gelehrten strebten nach Höherem, nach einem alles umfassenden Sinn, der über die lächerlichen paar Erdenjahre hinausgehen und den Tod eliminieren sollte. Sie fanden diesen „Übersinn“ in den verschiedenen Religionen, die angaben, einen über den Sinnen liegenden, also übersinnlichen Sinn stiften zu können. Allerdings verbanden sie diese Sinnstiftung an einen Preis: Die Verachtung der Sinnenwelt und das Aufgeben des innerweltlichen Glücklichseins. Bei Augustinus, dem Kirchenvater, der vor seiner Bekehrung zum Christentum ein recht ausschweifendes Leben geführt hatte, ist diese Verschiebung gut zu beobachten. In seinen berühmten „Confessiones“ (Bekenntnisse) heisst es: „Nichts hielt mich vom tiefern Abgrund der fleischlichen Lust zurück, als Furcht vor dem Tode und vor dem Gerichte.“ Allein die Angst vor dem göttlichen Richter und der Glaube an einen von ihm vorgegebenen „Sinn des Ganzen“ verhinderten, dass Augustinus sich den Genüssen des Lebens hingab. Also verzichtete er auf den „Heidenspass“, aber dieser diesseitige Verzicht verklärte sich ihm zu einem jenseitigen „Gewinn“, denn schliesslich dachte er dadurch „das eigentliche Leben“ (das Leben nach dem Tode) erwerben zu können. Das ist ein Tauschgeschäft mit fatalen Folgen: Denn für viele reicht die zu erwartende himmlische Glückseligkeit nicht, die Jahre hier noch zu überbrücken. Das hat eine religiöse Verdriesslichkeit als Folge. Die Verheissung des ewigen Lebens war für Augustinus eine derart frohe Botschaft, dass er für sie nicht nur die bittere Pille der diesseitigen Lebensverneinung schluckte, sondern auch die Angst vor Gott zu seinem Lebensbegleiter machte. Viele Menschen fürchten sich vor Gott. Für sie ist Gott eine Bedrohung, der sie bestrafen und an ihnen Rache üben will. Man erlebt sich hilflos ausgeliefert an einen Gott, der es nicht durch und durch gut meint. Um ihn irgendwie gnädig zu stimmen und seiner Grimmigkeit zu entgehen, tut man alles, was er erwartet. Das nennt man die religiöse Praxis in Angst. Man ist ständig auf der Hut, und lebt in Angst, es ihm nicht recht machen zu können. Natürlich kennt Gott auch Strenge und ist nicht ein „Kuschel-Gott“, den man einfach für seine Bedürfnisse einspannen kann. Er soll einen herausfordern und ermahnen. Entscheidend darin ist, dass er die Seele darin bedingungslos annimmt und liebt. Es ist ein zentrales Verständnis, niemals aus der Liebe Gottes herausfallen zu können. Bertrand Russell schreibt in „warum ich kein Christ bin“ (1927), dass Religion hauptsächlich auf Angst gründe. Die Angst vor dem Unbekannten und in einer unsicheren Welt zu leben generieren den Wunsch, bei einem grossen Bruder Sicherheit zu finden. Es wunderte ihn nicht, dass Religion und Grausamkeit Hand in Hand durch die Geschichte gingen, da beide aus der Angst entspringen. Wenn Gott aber als den ständigen Aufpasser und Beobachter vermittelt wird, wird statt des Urvertrauens die Urangst zum Grundgefühl. In allem fühlt man sich kontrolliert, eingeengt, beobachtet und beurteilt. Gott wird als ein Buchhaltergott, ein Willkürgott, angesehen. Ein Gott, der einen nichts gönnt. Im Buch „Die neue Geschichte der Mouchette“ von Georges Bernanos beschreibt er ein Rebhuhn, das sich in der Metallschlinge eines Wilderers verfangen hat. Ein Mann tritt nun in die Lichtung. Das Rebhuhn reisst in seiner panischen Angst an der Metallschlaufe und zerrt sich somit in den Tod. Wir sind die Rebhühner in der Falle des Wilderers. Unsere Angst zwingt uns, uns an der Leine, die uns gefangen hält, hin und her zu zerren, um in die ersehnte Freiheit zu gelangen. Aber was wir machen, ist tödlich. Es gibt eine Alternative, die der denkende konditionierte Geist nie für möglich hielt. Ein Vertrauen aufzubringen, dass der Mann, der in die Lichtung tritt, gar nicht der Wilderer ist, sondern nur die Drahtschlinge öffnen will. In der genauen Selbsterforschung taucht auf, dass die Angst gar nicht die Wahrheit sprach. Säkulare Weltanschauung als Heilung von religiöser Verkrampfung und der Angst „Das Universum, das wir beobachten, hat genau die Eigenschaften, mit denen man rechnet, wenn dahinter kein Plan, keine Absicht, kein Gut oder Böse steht, nichts ausser blinder, erbarmungsloser Gleichgültigkeit.“ Richard Dawkins in Und es entsprang ein Fluss in Eden. Das Uhrwerk der Evolution. München., S.151 Dieses Verständnis, so trostlos es anfänglich tönen mag, ist effektiv einen anfänglichen Befreiungsschlag gegen die latente Gottesfurcht, die einen den Frohmut vermasseln möchte und die als ständige Last auf dem Gemüt liegt. Es befreit von einem verängstigen Dasein in Gottesfurcht. Ausserdem darf nicht übersehen werden, dass das Verlöschen im Nichts immer noch die bessere Alternative ist, als postmortal für immer und ewig im Höllenfeuer zu schmoren, wie es angstmachende religiöse Traditionen lehren. Denn: Die Aussichten auf das Leben nach dem Tod sind in den meisten Religionen für die Mehrheit der Menschen (inklusive aller Andersglaubenden) alles andere als rosig. So verkündet auch der christliche Messias, der jeden, der nicht an ihn glaubt, rigoros ins ewige Feuer schickt: „…die Pforte ist weit, die ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dahin ist schmal, und nur wenige finden ihn” (Matthäus 7,13-14). Die vermeintlich „frohe Botschaft“ von der Überwindung des Todes ist in erster Linie eine brutale Drohbotschaft und das hat vor allem strukturelle Gründe: Mit einer kleinen Dosis Zuckerbrot und eine grossen Dosis Peitsche lässt sich weit besser herrschen, als wenn das Zuckerbrot für jeden jederzeit zur Verfügung stünde. Seltsamerweise werden solche Religionen auch heute noch aufgrund dieses menschenverachtenden Dressuraktes als wertvolle Sinnstiftungsagenturen geschätzt. Deshalb ist das Distanz-Nehmen von Religion ein erster verständlicher Befreiungsschlag, ein Entledigen von Altlasten, um mit frischem Lebenspuls auf eine freudvolle Existenz hinzuzugehen. Von der Stille zur Liebe Schon das Pantoffeltierchen sucht angenehme und meidet unangenehme Reize. Doch wenn der Mensch diese reflexartige Bewegung zur Lebensmaxime macht, bleibt er unerfüllt und leer. Denn selbst wenn alle sinnlichen Impulse zufrieden gestellt sind, ist das zwar Befriedigung, aber stellt noch lange keine Zufriedenheit dar. Der innere Weg zieht nicht in einen Krieg mit der Welt und stellt sich nicht gegen sie, sondern er erweitert nur die Perspektive über die begrenzte Welt hinaus. Mit Ersatzbefriedigung kann man nicht Zufriedenheit ersetzen, mit kleinen Gefälligkeiten und bequemer genehmer Befriedigung überhaupt kann man sich nicht zufrieden geben. Befriedigung ist nicht Frieden, sondern nur eine Imitation davon. Das heisst nicht, dass man keine Befriedigung mehr erfahren dürfte, sondern man vermag sie einfach nur vom Frieden zu unterscheiden. Die stille Freude des Seins, das unspektakuläre Erleben, ewig zu sein, ist eine Freude, an welcher sich keine Befriedigung messen kann. Im Bemühen nach Bedürfnisbefriedigung existiert nicht Zufriedenheit, sondern es generiert nur neue Bedürfnisse. Neue Waren wiederum führen zu neuen Bedürfnissen. Wenn man selbstentfremdet lebt (ausserhalb der Seele), zwängen sich wesensfremde Bedürfnisse ständig auf und die angestrengte Erfüllung ihrer erzeugt den Nimbus von Glück. Aber in der Anhaftung daran verfestigt man eigentlich nur die Selbstentfremdung. Erwerben, Besitzen, Erweitern…. Das sind eigentlich ausgediente Paradigmen. Die Seele sehnt sich nach Abbauen, Abgeben, Loslassen und sich zu verneigen in Freiheit. Nach der Freude der bedingungslosen Hingabe zu Gott, zu Radha Krishna. Der innere Weg muss nicht unangenehm sein, doch orientiert er sich an einem gänzlich anderen Parameter. Religion vermittelt einen letztlichen Sinnhorizont, was ein Weg ist, auf Dauer Leichtigkeit und Glück zu erfahren. Philosophie geht davon aus, dass der Mensch nur glücklich wird, wenn er seinem Wesen gemäss, das heisst aus der Perspektive der Seele heraus, und im Einklang mit Gottes Wunsch lebt. Die Verlockung des schnellen Genusses ist immer nah. Aber die Sucht nach kurzfristigem Spass verdirbt einem auf die Dauer den Zugang zu Glück. Das deutsche Wort „Spass“ kommt von italienischen „spasso“ und meint ursprünglich: Zerstreuung, Zeitvertreib. Spass ist etwas anderes als Freude. Wenn die heiligen Traditionen vor maya warnen, vor der Verblendung, dann wird oft ein fundamentaler Fehler gemacht. Die Täuschung und das Irreale werden mit der materiellen Welt gleichgesetzt. Dann würde die Überwindung der Illusion die Ablehnung Welt bedeuten. Maya ist aber nur eine innere Haltung eines Lebewesens, Gott, den absoluten Mittelpunkt von allem, auszuschliessen und somit die Welt um sich selbst und für seine eigene Befriedigung drehen zu lassen. Im Sanskrit wird diese Unterscheidung sehr deutlich gemacht. -Guna maya (die Ingredienz) Das ist die materielle Energie, die ewig ist und den Lebewesen als Raum zur Verfügung gestellt wird, ihre Verblendung zu leben. Sie ist wirklich, da sie eine Funktion der Energie Gottes darstellt, ist aber in einem ständigen Wandel begriffen. -jiva maya (die Verblendung) Die Verblendung besteht darin, etwas nicht in Verbindung mit Gott zu sehen. Da alles einen Bezug zu ihm hat, ist die Blickweise der Ausklammerung Gottes eine unwirkliche Perspektive. Gott gewährt dem Lebewesen die Ausblendung seiner selbst durch diese verblendende Kraft von ihm, wenn das Lebewesen die Gleichgültigkeit zum Liebesaustausch mit Gott aufrecht erhalten will. Wenn mich jemand mit einem Stock schlägt, würde ich ja auch nicht den Stock bestrafen, also die guna-maya, denn dieser ist ja nur das neutrale Medium. Jiva-maya, die Täuschung, die eigentliche Täterschaft der Abwendung, wird von mir erzeugt. Die Haltung, in den Kampf gegen die Sinnesobjekte zu treten (den Stock zu schlagen) ist eine sehr direkte Art der Verknüpfung mit ihnen. Wovor die Religion liebevoll warnt, ist nicht das schöne freudvolle und glückliche Leben hier in der Welt, sondern nur die Haltung, alle Hoffnung auf Erfüllung in die Welt hinein zu projizieren (Bhagavatam 5.14.23). Materielles Leben ist nicht gleichzusetzen mit dem gegenwärtigen Aufenthaltsort dieses Körpers. Es besteht aus der Grundausrichtung des Bewusstseins. Nicht die Welt ist leidvoll oder elend, sondern der eigene Umgang mit ihr und die Art und Weise, wie man die Welt versteht, kann unter Umständen Leid erzeugen. Aber genau dieser Umgang kann auch korrigiert werden. In der Bhagavad Gita (5.13) spricht Krishna davon, dass man glücklich in der Stadt der neun Tore leben kann. Nämlich wenn die jiva-maya als solche erkannt wird. Die Religionen verkünden oft, dass in der Gottesausblendung Verdammung herrsche. Die Gita (14.6) spricht aber davon, dass es auch Glück in der Gottesabgewandtheit gibt. Wäre dies nicht der Fall, wäre die Zuwendung zu ihm ein alternativloser Zwang. Dann aber wäre Liebe verunmöglicht. Der innere Weg lässt einen erkennen, dass wesenhaftes Glück nicht einfach in der Befriedigung von Reizen liegt, und dass das Loslassen von der Hoffnung und Erwartung nach Erfüllung aus den äusseren Dingen und Umständen bereits mehr Freude schenkt als die Erfüllung dieser. Die unerschöpfliche kontinuierliche innere Freude lässt sich in zwei Kategorien aufteilen: -Die Freude des Friedens (brahmananda), die in der Erkenntnis des Selbst, der ewigen Seele, wurzelt. Wie Wolken am Himmel, ziehen Gedanke, Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen in diesem weiten inneren Raum vorbei, ohne effektiv Spuren zu hinterlassen. Sie alle tauchen auf und vergehen dann irgendwann wieder. Aber dieser Raum, aus welchem die klare Beobachtung der phänomenalen Welt geschieht, kommt und geht nie und bewegt sich in keiner Weise. Erfahrungen, ob hohe oder tiefe, heilige oder profane, frohe oder alptraumhafte, kommen und gehen einfach wie endlose Wellen des Ozeans. Wenn man in der Seele ruht, alles Geschehen nur aus der Ferne wahrnimmt ohne zu interpretieren, ist Stille. Dann zieht es einen nicht mehr zu den Wonnen und den Qualen der Darbietungen der Erfahrung hin. Diese Erscheinungen ziehen an der Oberfläche des Bewusstseins einfach wieder ab. Identifiziertes Zuschauen lassen diese wirklich erscheinen. Nicht identifiziertes Zuschauen bewahrt den Raum zur Seele hin. Die Dinge, die man sieht, sind lustvoll oder enttäuschend, fröhlich oder traurig, ängstlich, gesund oder krank, banal oder absorbierend, aufregend oder langweilig. Aber der, welcher diese Zustände und Empfindungen erlebt, ist nie ängstlich, freudvoll und deprimiert. Er bleibt einfach frei von allen zeitweiligen Phänomenen, unberührt von Geburt und Tod. Umstände und Zustände in der äusseren Welt, tauchen auf und vergehen wieder, sind erfreulich oder betrüblich, angenehm oder schmerzhaft, aber die Seele ist nichts von all dem. Sie kommt und geht nicht. Sie bleibt immer die Gleiche. Die Seele wankt nicht, wenn alles wankt und sie tritt nie in den Strom der Zeit ein. Yo na hrsyati na dveshti (Bhagavad Gita 12. 17) Das ist nicht ein Zustand grundlegender Betrübtheit und leeren Teilnahmsigkeit, sondern einer stillen beständigen Freude, die quer durch alle Lebenserfahrungen hindurch, unabhängig ob sie beglückend oder tragisch sind, bestehen bleibt. Die Freude der Liebe (sevananda) Wenn es heisst, die Welt sei Leiden, dann ist damit ausschliesslich meine Verhaftung an die Welt und meine Verstrickung und Verknüpfung und die Absorption des Bewusstseins mit ihr gemeint. Es gibt kein Leid in Isvara-sristhi, in der Schöpfung des Herrn. Leid ist der Verlust der Erinnerung an unseren Ursprung. Wenn die Seele sich in dieser Erinnerung verankert, existiert eine unzerstörbare und durch keinerlei Ereignisse eingeschränkte Freude, die auch durch Widerwärtigkeiten und unerwünschte Umstände je gestört werden könnte (Bhagavad Gita 6.22). Religion tritt nicht in einen Krieg gegen das kleine Glück in der Welt, sondern betrachtet alles Schöne und Wunderbare einfach nicht als das Endgültige, sondern nur als eine zarte Spur, die Gott in die Welt hineingelegt hat als Hinweis auf ihn (Bhagavad gita 10.41). Wenn man jedoch das Heilige angestrebt weil man die Welt vermeiden möchte, erlangt man nicht die Transzendenz, sondern wird zurückgeworfen in die Begegnung mit der Welt. Versöhnung mit allem legt den Grundstein zum effektiven Fortschritt. Das ist der Zustand, in welchem Kompensation nicht mehr möglich ist. Die Bhagavad Gita (9.2) erwähnt auch, dass das Grundgefühl der Gotteszuwendung die beständige grosse Freude sei. Gott selber also möchte die Welt nicht als Jammertal sehen. Er ist nicht neidisch, wenn grosse Freude in ihr erlebt wird. Sie ist Hinweis auf ihn selber. Der Grund weshalb er die die heiligen Offenbarungen will ist ja gerade die Einladung an die Seele, Täuschung, Identifikation mit der äusseren Welt abzulegen, welche die Ursache von Leiden darstellt. „Im Kampf ist Welt und Ich, und nur in Gott ist Frieden, Weil Welt und Ich in Gott nicht weiter sind geschieden. Nicht durch Befriedigung befriedigst du die Triebe; Zufriedenheit gibt nur die Friedlichkeit der Liebe.“ Friedrich Rückert Epikur, der Philosoph des irdischen Glücks, ist also nicht ein Erzfeind des inneren Lebens. Seine Lehre legt nur die Grundlage für den inneren Weg.

11. Januar 2013

Spirituelle Aufarbeitung von Verbrechen

– Eine Reflektion zur brutalen Vergewaltigung einer jungen Inderin Bei Naturkatastrophen und schlimmen Delikten werden die betreffenden Personen psychologisch betreut und es wird ihnen Hilfe und Beistand zugestanden. Es bräuchte aber auch theologische Aufarbeitung, wie ein solches Geschehen mit einem gütigen Gott zu vereinen ist. Die jahrelangen Pestplagen und letztlich das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755, einer der dazumals grössten Städte der Welt, waren für das religiöse Kollektiv nicht mehr vereinbar mit war ihrem Gottesbild des gütigen Gottes und somit wurde dies ein äusserer Auslöser für das Zeitalter der Aufklärung. Ihr Gedanke war einfach: Gott existiert. Das Übel existiert. Wenn Gott existiert, dann ist Gott allmächtig, allgütig und allwissend. Weshalb existiert dann all das Tragische in der Welt? Das ist eine Frage, welche auch in unserer Zeit viele Menschen auf dem Herzen tragen. Die Gott zugeschriebenen Eigenschaften passen nicht zusammen mit dem Zustand und der Geschichte der Welt. Ein Gott, der Leid verhindern könnte und es nicht verhindert - müsste aufgrund unterlassener Hilfeleistung vernommen werden. Im Betrachten der Weltgeschichte erkennt man, dass die Welt nicht die Eigenschaften besitzt, die sie haben müsste, wenn sie von einem allmächtigen, allgütigen, allwissenden Wesen geschaffen worden wäre und noch immer von ihm erhalten würde. Das Universum hat genau die Eigenschaften, das es haben müsste, wenn es keinen Gott gibt, der das gedacht und geplant hat. Grausam, willkürlich, sinnlos… In der Genesis heisst es, dass Gott seine Schöpfung für gut befand. Ein allmächtiger und guter Gott dürfte nicht gleichzeitig so viele Beweise einer anscheinend durchdachten, geplanten Güte im Universum und so viele Zeichen einer berechneten, kalten Bosheit zeigen. Der agnostische Philosoph Bertrand Russell bekundete "höchstes Erstaunen" darüber, "dass Menschen glauben könnten, diese Welt mit allem, was sich darin befindet, und mit all ihren Fehlern sei das Beste, was die Allmacht und Allwissenheit Gottes in Millionen von Jahren erschaffen konnten". Er fragte: "Meinen Sie, wenn ihnen Allmacht und Allwissenheit und dazu Jahrmillionen gegeben wären, um ihre Welt zu vervollkommnen, dass Sie dann nichts Besseres als den Ku-Klux-Klan oder die Faschisten hervorbringen könnten?" Man geht aus von einem Gott der Güte, der Liebe, und man erlebt eine Welt voller Ohnmacht, voller Grausamkeit und Absurditäten. Ein allmächtiger Gott hätte viele Möglichkeiten, Leidende "aus dem Leiden zu ziehen" - was soll man davon halten, wenn er sie nicht nutzt? Was würden wir wohl von einer Mutter halten, die ihrem schwerkranken Kind eine heilende Medizin vorenthalten würde und darauf verweisen würde, dass sie ja bei ihrem leidenden Kind sei und ihm "beistünde"? Würden wir uns nicht an den Kopf fassen? Würden wir uns nicht fragen, ob man so einer Mutter nicht das Sorgerecht entziehen sollte? Ob man sie nicht auf ihren Geisteszustand untersuchen sollte? Die Theodizee-Frage (weshalb ein gutmeinender Gott Leid in der Welt zulässt und in diesem auch noch schweigt) hatte sich auch schon vor der christlichen Zeitrechnung der griechische Philosoph Epikur (314-270 v Ch.) gestellt gehabt. Das christliche Gottesverständnis verklärt dann einfach das Leiden als Gnade: "Gott ist bei den Leidenden. Gott zieht uns nicht plötzlich aus dem Leiden, aber wenn wir leiden und angefochten sind, steht Gott uns bei." Dieses Denken hat zur jahrhundertealten Erdenschwere des abendländischen Denkens beigetragen. Auf diese uralte, philosophische Frage, wie sich Gottes Gerechtigkeit und Liebe mit dem Leid dieser Welt und all ihren Übeln vereinbaren liessen, antwortet ein Chor philosophischer Skeptiker vielstimmig durch die Jahrhunderte: "Entweder will er sie nicht verhindern, dann ist er nicht heilig, gerecht und gut; oder er kann nicht, dann ist er nicht allmächtig; oder er kann nicht und will nicht, dann ist er schwach und missgünstig zugleich; oder er kann und will es, - wieso gibt es dann diese Übel?" Da oft Antworten ausgeblieben sind, haben viele Menschen verständlicherweise die religiöse Gleichgültigkeit vorgezogen. Sie halten sich mit dieser Frage, die man auch als das "Theodizeeproblem" nennt, Gott vom Leibe. Es gibt auch theistische Ansätze, reif mit dieser Frage umzugehen. Das Leid der Welt ist weder ein Beweis für Gott noch ein Beweis gegen Gott. Aber es ist auf jeden Fall eine Herausforderung, nicht zu naiv von Gott zu reden. Das Leid stellt das eigene Gottesbild infrage und zwingt einen zur Reflektion. Naives Verständnis muss immer sterben, aber eine tiefe Auseinandersetzung mit Gott und wie das Weltgeschehen mit ihm vereinbar ist, kann auch zu einer reiferen Gottesbeziehung führen. *************************** Unser Planet soll offensichtlich nicht die Imitation des Paradieses werden. Solange wir in einer unvollkommenen Welt leben, wo die Illusion möglich ist, sich unabhängig von Gott zu wähnen, werden ungewünschte Lebensumstände natürlich sein. Man kann in einer ursprünglich widernatürlichen Umgebung, was die gesamte Schöpfung für die ewige Seele ja darstellt, das Schöne und Gute nicht als naturgegeben erwarten. Naturkatastrophen, sowie von anderen Menschen und vom eigenen Geist entstandene Unannehmlichkeiten und Ärgernisse werden unausweichlich unsere Begleiter sein. Die Bibel unterstreicht diese Tatsache mit den Worten, "dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet" und auf den Tag wartet, da sie frei wird "von der Knechtschaft der Vergänglichkeit". (Römer 8,21.22) Die Bhagavad Gita (8.15) spricht von der materiellen Schöpfung als „dukha-laya“ dem Ort der Beschwerden, in welchem Leiden zur inhärenten Arrangierung dazugehört. Denn die Schöpfung richtet sich nicht nach den eigenen momentanen Vorstellungen. Da wir von unserer Natur her unvergänglich sind, übertragen wir die Sehnsucht der Erfüllung im Beständigen in diese Welt hinein und die dadurch nicht erfüllte Hoffnung erzeugt die Leere der Enttäuschung. Gerade in der westlich christlich geprägten Kultur wird Leiden oft idealisiert. So hört man immer wieder, dass Menschen am Ende ihres Lebens zurückblickend sagen, dass die härtesten Zeiten die besten waren, in welcher sie verstanden haben, worauf es wirklich ankommt. Leiden solidarisiert die Menschen und es wird gedacht, dass es einem lernt, auf Gott zu vertrauen und seine Gegenwart aufzusuchen. Das ist aber nicht wirklich nötig. Ein glücklicher Lebensansatz wird nicht dem Leiden noch Bedeutung zuschreiben, um es so als Lebensnotwendigkeit hinzustellen. Die Bhagavad Gita beschreibt, dass nicht die Welt in sich leidvoll ist, sondern nur die nicht erfüllte Erwartung, die ich in sie hatte. „Die Natur gilt als die Ursache aller materiellen Ursachen und Wirkungen. Die Seele aber ist die Ursache von der Erfahrung von materiellem Glück und Leid.“ (Bhagavad Gita 13.21) Die Interpretation der Umstände, der gegebenen Geschehnisse, wie man sich in ihnen verhält, liegt in der Verantwortung der Seele. Sie nimmt die endlose Veränderlichkeit wahr und in der Identifikation mit der äusseren Welt hält sie diese für ihre eigene. Wenn der Körper alt wird, denkt man, man würde alt. Identifikation ist also ein Limitierungsprozess, der die unberührte Identität seiner Selbst an zeitweilige Phänomene anklebt. Identifikation ist, sich für etwas anderes zu halten als das, was man ist. Hält man sich für den Körper, sieht man die Welt nur noch aus dieser reduzierten Perspektive. Auch Gemütsstimmungen wie Wut können zum Identifikationsobjekt werden und somit zur Linse, durch welche man die Welt betrachtet. So ist Identifikation ein Interpretationsmuster. Im Tierreich existiert erzwungene Identifikation. Eine ewige Seele denkt plötzlich, sie müsse herum bellen – nur weil man sich gerade in einem Hundekörper aufhält. Als Mensch bestünde die Möglichkeit aus der Gesteuertheit der Körperprogramme herauszutreten. Wenn es heisst, die Welt sei Leiden, dann ist damit ausschliesslich meine Verhaftung an die Welt und meine Verstrickung und Verknüpfung und die Absorption des Bewusstseins mit ihr gemeint – also all die Hoffnungen und Erwartungen, die man auf sie übertragen hatte. Es gibt kein Leid in Isvara-sristhi (in der Schöpfung des Herrn). Das ist so befreiend! Krankheiten kommen, verursacht von der materiellen Natur. Aber es ist nicht vorbestimmt, dass diese zu einem Leid werden muss, denn dafür bin ich selber verantwortlich. Wir haben eine angewohnte Tendenz in uns, zur Welt hin zu reagieren. Aber alles ist immer in Krishnas Hände - und zu oft bewerten und kommentieren wir die Umstände, bewerten sie und leiden daran, dass sich unsere Hoffnungen nicht erfüllen. Nicht auf das Geschehen zu reagieren ist eine der wesentlichen Übungen im Yoga. Die reine Seele erfährt die materiellen Zustände nicht, es ist nur die Identifizierung, die ihr Bewusstsein an das weltliche Glück und Unglück ankettet. Man nimmt sie wahr ohne festzuhalten oder zu verdrängen. Sie sind vorbeiziehende Erlebnisse, aber erzeugen keine Resonanz mehr. Ohne Identifikation mit den Lebensgefühlen existiert nicht leere Gefühllosigkeit, sondern dies ist der Beginn der wirklichen Beziehung der Seele zu Gott. Widrige Erlebnissituationen erinnern auch daran, dass wir nicht in Kontrolle des Geschehens sind. Weder die Kräfte der Natur noch die Mitwelt von Menschen und Tieren vermögen wir zu beherrschen oder zu bezwingen. Diese Einsicht bewahrt uns vor der Hybris, uns zu übernehmen und dadurch uns zu überheben und wird uns in die Demut führen. Das alleine ist schon wertvoller als die Aufblähung des Ichs in einer Welt, wo ihm alles gelingen würde. Was wäre, wenn in der Welt alles nach der eigenen Vorstellung verlaufen würde? Erstaunlicherweise wäre selbst dann der genau gleiche Anteil Schwerheit und Leiden vorhanden. Denn Leiden ist nicht das objektive Erleben von Zuständen, sondern die eigene Reaktion auf diese hinzu. Wenn jemand im Glauben lebt, dass bestimmte Lebenszustände das Glück und Leid erschaffen würden, wird sein Leben zum Versuch, diese möglichst zu kontrollieren. Der innere Weg betrachtet als das Ziel des Menschseins nicht die Souveränität über alle Umstände, sondern das Mass an Liebe, welches man aufbringt unabhängig aller Lebenssituationen. Wir erfahren auf geheimnisvolle Weise, dass unser Glück nie abhängig ist, ob der Lebensverlauf glatt oder tragisch ist. Die Schöpfung ist nicht fehlerfrei-statisch angelegt sein, sondern dynamisch-wild, mit Erdbeben, Wirbelstürmen und unser aller Tod am Ende als Gewissheit. Dass wir zur Liebe fähig sind bedeutet auch, dass wir auch für Vertrauensmissbrauch, Lüge, Betrug, Verrat, Enttäuschung, Verletzung, Mord etc fähig sind. Liebesfähigkeit impliziert die Möglichkeit und das potenzielle Vermögen, auch anders zu handeln können. Eine heute perfekte Welt würde ich zudem morgen schon wieder verändern wollen, da auch sie mir nicht behagt auf lange Sicht. Wäre alles immer perfekt, wären wir immer stark, immer fehlerlos, könnten immer die volle Leistung geben und würden nie scheitern, geschweige denn böse Gedanken hegen, dann würden wir uns selbst genügen. Das Auf-Sich-Selbst-Bezogensein ist aber eine Erstarrung, die nicht auf ein Hinzu mehr fliessen kann. Der Vollzug einer Wende der Aufmerksamkeit vom Warum zum Wozu hin ist genau das, was einen inneren Weg ausmacht. Als Jesus am Kreuz hing und die berühmten Worte „Eli, Eli, lama asabtani“ ausschrie, da hat er möglicherweise gar nicht gefragt „Mein Gott, warum hat du mich verlassen?“, sondern „Mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“, denn im Hebräischen gibt es für „Warum“ und „Wozu“ nur ein Wort. Und in der Tat ist das „Wozu“ im Hinblick auf die Frage des Leides wichtiger ist als das „Warum“. Denn wenn man mitten in Schwierigkeiten steckt, dann macht es nun nicht mehr viel Sinn, in die Vergangenheit zurück zu schauen und zu lamentieren, warum das passiert ist. Nun tut sich eine neue Chance auf, weiter zu blicken und frei entscheiden, wie man auf die gegebene Situation reagieren möchte, was einem nun wirklich wichtig ist und wohin man sich nun orientieren und hinwenden möchte. Es ist nicht möglich, von der Welt her und von dem Geschehen darin Gott zu denken. Die Theologie kann nicht Kausal-Fragen beantworten ("warum ist es geschehen?"), sondern beleuchtet das Wozu. Es geht um die teleologische Frage, der Frage, was Gott mit uns beabsichtigt. Krankheit, Unglück, Schicksalsschläge werden schnell als Strafe Gottes für das Fehlverhalten der Menschen interpretiert. Man hat durch Schuld den Himmel provoziert. Man will es verstehen und einordnen können. Wird die Welt nach einer moralischen Ordnung interpretiert, kommt sie einem häuslicher vor. Gott ist ein Vater, der seine Kinder lenkt - durch Lob, Strafe und Tadel. Wenn Frevler im Wohlergehen leben und Gerechte im Leiden, erwartet man vom Gottesrichter, dass diejenigen, die unserer Anschauung gemäss widrig handeln, gehörig bestraft würden. Das ist ein sehr naives und archaisches Gottesbild, von dem sich viele Menschen unserer Zeit intuitiv befreit haben. Wirklichkeit ist umfassender und verläuft nicht in solch primitiven Rache-Mustern. Aufgeklärte Religion fordert nicht Gerechtigkeit, sondern führt in die Liebe. Das theologische Problem darin ist ein falsches Naturverständnis. Die Natur ist Natur und man kann von ihr aus keine Rückschlüsse auf Gott ziehen. Religion bedeutet, sein Leben von Gott her liebend zu ordnen. Diese Liebe lernt man nicht in der Natur. In der Natur bewirken Schicksalsschläge die Ausschliessung aus der eigenen Gruppe. Eine Öl-Möwe wird vom Schwarm zerhackt, da sie anders aussieht. Die Schwachen und Kranken in der Natur sollen sich nicht fortpflanzen. Sie werden nicht zur Generation zugelassen. Sozial-Darwinisten legitimieren aus dieser Grausamkeit der Natur ein rücksichtsloses Weltbild, wo einfach nur der Stärkere überlebt (survival of the fittest). Der russische Anarchist Kropotkin schreibt in „mutual aid“ (1902), dass auch Mitgefühl, Barmherzigkeit und das Rückstellen eigener Interessen zugunsten Anderer Bestandteil der Natur sind. Aber die absolute Güte lässt sich nicht aus der Natur ableiten, da die Ambivalenz von Rücksichtslosigkeit und Mitgefühl inhärent in ihr existiert. Es ist grundlegend falsch, die Welt als ein Zeugnis von Gott zu betrachten, der in ihr seine Güte, Macht, Weisheit und Schönheit offenbare. In der Gita (7.4) sagt Krishna: abhinna prakritir astadha "Diese Welt ist meine abgesonderte Energie." Und diese kann man nie mit ihm gleichsetzen. Gott schwebt keine Welt vor, in der die Menschen nicht leiden. Der Gedanke an eine leidensfreie von Gott geschaffene Welt ist eine menschliche Projektion. Es ist eine Hoffnung auf einen Zustand des Ego, des Zustandes der Gleichgültigkeit zu Gott und der daraus folgenden der Identifikation mit Materie, in dem es sich wohl fühlen darf. Die Vorstellung von Glück, die dem Ego entspricht, ist diejenige einer diejenigen Krishna spricht in der Gita (8.15) davon, dass in dieser Welt aufgrund ihrer Zeitweiligkeit alle eigenen Vorstellungen, die wie Fixierungen des Geschehens darstellen, enttäuscht werden und dass letztlich jede persönliche Verhaftung im Drama endet. Gott schwebt nicht eine leidensfreie Welt vor. Da der Aufenthalt in dieser Welt von vornherein unnatürlich ist. Deshalb darf man die Gnade Gottes nie auf die körperliche und feinstoffliche Ebene reduzieren. Krishna will uns nicht die Traumidylle schaffen. Das wäre die Idee des Calvinismus, welche Gottes Gnade auf innerweltliches Wohlbefinden und Erfolg reduziert. Gott ist mehr als seine duale Schöpfung der materiellen Welt. Gott steht über Natur mit ihren widersprechenden Kräften (Bhagavad Gita 7.13). Die Natur nimmt keine Rücksicht auf ihre Geschöpfe. Religion kann deshalb ihre Grundlage nicht in der Natur finden. Pantheismus, Gott mit der Natur und den Abläufen in ihr zu indentifizieren, ist oberflächliche Schwärmerei, denn es gibt in dieser Natur auch die Grauenhaftigkeit und die Rücksichtslosigkeit, das Böse. Wenn man Gott auf die Natur, seine Schöpfung, reduziert, dann wäre diese Ambivalenz die verpflichtende Vorlage für unser eigenes Handeln. Dann müsste ich so umgehen, wie es die Natur tut (viele Fleischesser verteidigen ihre Mordeslust mit dem Argument, dass gewisse Tiere ja auch Fleisch essen würden) - aber genau das darf ich nicht. Der Mensch hat als einziges Wesen einen anderen Auftrag: Nicht nach dem Gesetz Gottes zu leben ("natürlich"), sondern nach dem Willen Gottes. Dharma ist nicht Ethik, sondern eine von Gott her definierte Verhaltensweise. Sri Krishna ist der Hintergrund jenseits der Phänomenalität dieser Welt. Augustinus schreibt in "Confessiones", wie er auf die Suche nach Gott geht und die Sonne, den Mond, die Sterne, die Wüste, das Meer, die Wunderbarkeit der Natur befragt und sie alle sagen ihm: "Ich bin nicht der Gott, nach dem du suchst." Krishna wohnt in der Sehnsucht nach einer Liebe, die in der Natur nicht zu finden ist. Die Natur ist nie der Ruheort der Seele - sie kann erst im Unendlichen ruhen, erst bei Gott. Der Mensch hat etwas, was es in der Natur nicht gibt - Religion, der Entwurf einer übernatürlichen Liebe, die auf Gott gerichtet ist und von da her in diese Welt hinein handelt. Es geht nicht darum, alles in dieser Welt zu lieben und es mit Gott gleichsetzen zu wollen, sondern die auf Gott gerichtete und genährte die Liebe wieder in die Welt hineinströmen zu lassen. Die Liebe Gottes lässt sich nie ergründen in der Natur, sondern trotz der Natur. Wenn man Gott nur auf seine Schöpfung reduziert, den König also nur noch als den Gefängniswächter betrachtet, wird man die Ambivalenz der Natur auf Gott übertragen. Das dualistische Gottesverständnis vermag auf die Theodizee-Frage keine Antwort geben und der Enttäuschungs-Atheismus wird darauf folgen. Leiden ist der Hinweis darauf, noch nicht angekommen zu sein. Noch nicht seine wirkliche Bestimmung zu leben und sich noch im Provisorischen aufzuhalten, eben ausserhalb seiner Nitya-sambandha (seiner ewigen Beziehung zu Radha Krishna). Es geht um unbedingtes und restloses Vertrauen zu Gott, trotz Unfähigkeit, das Rätsel des Leids und des Bösen enträtseln zu können. Man kann die genaue Ursache des Leides nicht immer "erklären", aber bestehen. Nachdem Hiob durch so viel Leid hindurch gegangen ist, sagt er am Ende des Buches in Hiob (42,5): "Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen." Ist Gott leiderzeugend? Hiob legt den Finger auf dem Mund und schweigt vor Staunen in Anerkennung des riesigen Ausmasses seines Nichtwissens. Er verliert die Grundlage, sich zu beschweren. Wie will ich einen langen Roman verstehen, wenn ich nur eine einzige herausgerissene Seite daraus gelesen habe? Aus der Perspektive der Reinkarnationen zerfällt die momentane Wertung. Wenn ich die eigene Lebensgeschichte nicht nur als den kleinen Ausschnitt dieses einen Lebens, diese Buchseite, betrachte, sondern aus vielen tausenden von Weg-Etappen, dann sehe ich auch mich in einem anderen Licht und vieles wird klarer aufgrund des Erkennens eines grösseren Kontextes. Die Anklage Gottes aufgrund des Leidens in der Welt beruht auf einem Lebensverständnis, welches sich stark an der äusseren Dualität orientiert. Dass nämlich das äusserlich Angenehme erstrebenswerter sei als das Unangenehme. Gott entlässt die Welt ihrer Autonomie... um des menschlichen Freiseinkönnens. Das heisst, er greift nicht ein in den Geschichtsverlauf des Weltgeschehens. Seine Intervention ist die ganz feine Schenkung des ersten Funkens von Sraddha - unverrückbarem Vertrauen, aus welchem heraus sich dann die ganze spirituelle Praxis ergibt. Reine Bhakti ist die bedingungslose Zuflucht in Gott. Da sie der Liebe entspringt ist sie natürlicherweise freudvoll in sich selbst und verlangt gar nicht noch zusätzliche Ergebnisse - auch nicht die Linderung von Leid oder die Befreiung von dem Dasein in der Welt. Wer auf Zeichen im Aussen wartet, tut dies vergeblich. Aber sein Wirken wird im Bereitstellen und Begleiten auf dem inneren Weg klar ersichtlich. Wenn Gott jedes Mal in den Lauf der Naturgewalten eingreifen würde, dann hätten wir eine perfekte Welt, wo alles am Schnürchen laufen würde. Wie ein Marionettenspieler hätte Gott alle Fäden in der Hand. Wo bliebe da noch Raum für Selbstständigkeit und Freiheit? Ebenso muss gefragt werden, was denn der Ausdruck "Herr der Schöpfung" eigentlich meint. Das heisst nicht, dass er alles "regiert", indem er ständig eingreift und wie ein Diktator alles bestimmt. In der Welt geht es mit rechten Dingen zu. Seine Intervention ist nicht auf der praktischen Ebene. Vielleicht greift Gott nicht so in unser Leben ein, wie wir es erhoffen - aber was würde dann passieren? Wenn Gott wie ein Weihnachtsmann auf unsere Gebete hören und uns alles geben würde, was wir wollten - wären wir dann der Erfüllung nur einen Schritt näher? Wenn Gott die Begehren des Lebewesens zufrieden stellen würde, dann wäre dies ja der von Gott unterstütze Eigenwille. Dies wäre die genaue Umkehr des tiefsten Gebetes, dass SEIN Wille geschehen dürfe. Es wäre zu vereinfacht zu denken, dass Gott unseren menschlichen Ansprüchen gerecht werden sollte. Wenn Gott dies tun würde, wäre die Motivation der Gotteszuwendung ein erfolgreicheres Leben im Aussen. Wieso will man von Gott Rechenschaft fordern, wenn Dinge komplett der eigenen Vorstellungswelt entgegen verlaufen? Das Loslassen der naiven Idee, dass Gott von aussen her einzugreifen hat in den Kosmos und da Wunder zu bewirken hätte, macht einen sensibel für die feinen Aufzeichnungen seines Seins im Innern. Das ist der Ort der Gottesantwort. Gott hat vorgesehen, dass die Schöpfung erst dann wirklich leidensfrei wird, wenn Schöpfung und Schöpfer sich verbinden, so dass die Kraft des Schöpfers durch das Geschöpf, den Menschen, in die Schöpfung hinein fliesst und er dadurch die Schöpfung für ihn durchlässig werden lässt. Die Sonne erzeugt keine Schatten. Sondern die Abtrennung und Zurückhaltung des Sonnenlichtes vor bestimmten Orten, erzeugt die Schatten. Gott erschafft nie Leiden und selbst der Erwachungsweg zu ihm hin kann leidensfrei verlaufen. Es ist die über unzählige Leben hinweg angewöhnte Selbst-Isolation vor ihm, die eigene Gottes-Entfremdung, die den Schatten erzeugte. Gott wollte und braucht die gesamte materielle Welt nicht. Aus seiner Perspektive wäre sie effektiv nicht notwendig. Doch gibt es keine Notwendigkeit für irgendeinen Menschen auf dieser Erde, aus dem Traum des Vergessen-Dürfens aufzuwachen, solange er nicht selbst in seinem Inneren diese absolute Notwendigkeit und Dringlichkeit annimmt und erkennt.